Hessische / Niedersächsische Allgemeine (23.05.2006)

Nicht erst seit dem Überfall auf den kurdischstämmigen Linkspartei-Politiker Giyasettin Sayan am Freitag gilt Berlin-Lichtenberg als Hochburg von Rechtsextremen. Eine von etlichen in Deutschland. Über die Situation im Stadtteil und die Möglichkeiten, Nazis nicht das Feld zu überlassen, sprachen wir mit Björn Swieykowski von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin.

Wie groß ist das Problem Rechtsextremismus in Lichtenberg?

Björn Swieykowski: Es ist ein ernst zu nehmendes Problem – wie in allen Ostberliner aber auch in einigen Westberliner Stadtteilen. Und die Zahl der rechtsextremen Aktivitäten ist größer als die polizeiliche Kriminalstatistik vermeldet – weil Bedrohungen oder Übergriffe häufig nicht angezeigt werden.

Warum wird nicht angezeigt?

Swieykowski: Häufig haben die Opfer kein Vertrauen zur Polizei. Etwa, weil sie schon erlebt haben, dass Polizeibeamte unsensibel reagieren. Wenn jemand von Rechtsextremen angegriffen wird, Anzeige erstattet und dann als Nächstes zu hören bekommt: Du bist ja auch selbst schuld, wenn du um die Uhrzeit auf der Straße alleine herumläufst.

Würden Sie Ausländern raten, Lichtenberg zu meiden?

Swieykowski: Es gibt in Lichtenberg Gegenden, in denen sich rechtsextreme Übergriffe häufen. Potenzielle Opfer – nicht nur Menschen ausländischer Herkunft, sondern etwa auch Homosexuelle oder Jugendliche aus der linksalternativen Szene, meiden diese Gegenden. Wir nennen die nicht “No-Go-Areas”, sondern “Angstzonen”. Und in diesen Gegenden würde ich auch durchaus zur Vorsicht raten.

In Lichtenberg leben wirkliche rechtsextreme Kader – was können Bürger gegen diese Leute tun?

Swieykowski: Das sind Überzeugungstäter, häufig gewalttätig. Sich an denen abzuarbeiten, ist nicht sehr sinnvoll. Das sollte man tatsächlich den Sicherheitsbehörden überlassen. Besonders positiv ist hier in Lichtenberg, dass auch das Bezirksamt und die Bürgermeisterin das Problem erkannt haben und das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Rechts unterstützen. Seit 2003 gibt es einen lokalen Aktionsplan für Demokratie und Toleranz.

Und wie wehren sich die Bürger?

Swieykowski: Es gibt zum Beispiel Proteste gegen die Nazi-Demonstrationen, die hier immer wieder stattfinden. Dann dürfen auch Transparente ans Rathaus gehängt werden. Die Trommelgruppe der Gegendemonstranten darf dort auftreten, und die Bezirksregierung sorgt dafür, dass die Rechten nicht auf den Hauptstraßen marschieren können, weil dort Feste stattfinden. In Hohenschönhausen hat es außerdem schon zweimal ein Straßenfest speziell für demokratische und antifaschistisch engagierte Jugendliche gegeben – sie sollen eine Perspektive sehen, dort wohnen zu bleiben, obwohl es eine starke rechte Szene gibt. Und es gibt da ein sehr aktives Jugendbündnis.

In der Diskussion über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit steht Ostdeutschland momentan im Fokus – können sich die Bürger im Westen entspannt zurücklehnen?

Swieykowski: Das sollten sie auf keinen Fall tun – viele Umfragen weisen aus, dass rechtsextreme Einstellungen auch im Westen stark vertreten sind – und auch wenn die Gewalttaten pro Kopf dort weniger sind: Sie kommen vor.

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