die tageszeitung (26.10.2006)

Annegret Gabelin ist eine gestandene Politikerin. 49 Jahre, studierte Philosophin, langjähriges Mitglied im Berliner Landesvorstand der PDS.Linkspartei. Doch den heutigen Abend erwartet sie mit Bangen: “Wer weiß, was die anstellen.” Die, das sind die Abgeordneten der NPD, die heute erstmals in den Berliner Bezirksparlamenten auftreten werden. In der ganzen Stadt konstituieren sich dann die Bezirksverordnetenversammlungen (BVV). In fünf der zwölf Parlamente werden auch die Mitte September gewählten Mandatsträger von NPD und Republikanern antreten.

“Der Umgang mit den Rechten wird keine leichte Sache, aber wir haben uns gut vorbereitet”, sagt Annegret Gabelin. Bereits eine Woche nach der Wahl begannen die Abgeordneten, sich mit Schulungen gegen die Rechten zu wappnen. Bis zu zwölf Treffen habe sie mit den Parteien veranstaltet, sagt Esther Lehnert vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus (MBR).

Ihr Team erteilte den Verordneten praktische Tipps im Umgang mit Rechtsextremen im Parlament. “Alle Anträge der NPD sollten strikt abgelehnt werden – selbst wenn es nur um einen Zebrastreifen geht”, rät Lehnert. “Es darf kein Gewöhnungseffekt eintreten.” Sonst beginne man auf einmal doch, mit den Rechtsextremen zu verhandeln. Auch sollten Abstimmungen, die nur mit Unterstützung der Rechtsextremen eine Mehrheit finden würden, erst gar nicht durchgeführt werden. Lehnert rät, die Rechten auch außerhalb der Sitzung zu meiden: “Keine Witze im Rathausflur, kein Pläuschchen am Mittagstisch.”

Mit Beginn der neuen Legislaturperiode will das MBR auch ein Argumentationstraining für die Parlamentarier anbieten. Dabei soll geübt werden, rechtsextreme Parolen zu dechiffrieren und spontan auf Propaganda-Auftritte zu reagieren. Um Tumulte im Parlament zu vermeiden, plädiert Lehnert für einen Anti-NPD-Abgeordneten: Abwechselnd solle aus allen Parteien ein Parlamentarier bestimmt werden, der bei der jeweiligen Sitzung möglichen rechten Propaganda-Auftritten verbal ein Ende setzt. Dies hält sie für effektiver, als wenn mehrere Abgeordneten ungeplant durcheinanderrufen.

Auch auf Berliner Landesebene wurde ad hoc auf den Einzug der NPD reagiert. Der SPD-Landesvorsitzende Michael Müller berief einen runden Tisch aller im Senat vertretenen Parteivorstände ein. Mit dabei hatte der Vertraute von Bürgermeister Wowereit einen Aktionsplan mit sieben Handlungsvorschlägen gegen die NPD. In dem Papier, das der taz vorliegt, fordert Müller, die “teilweise vorbestraften Verfassungsfeinde” hinter ihren bürgerlichen Masken zu enttarnen. Die Bezirksverordneten dürften sich nicht auf rechte Scheinargumente einlassen. Rechtsverstöße müssten konsequent verfolgt werden. “Die Auseinandersetzung muss selbstbewusst, eindeutig und abgrenzend sein.” Alle Parteien unterzeichneten das Papier.

Trotzdem bleibt die Sorge vor dem Eklat. Mit dem NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt und dem Kameradschaftsaktivisten Jörg Hähnel sitzen nun langjährige rechtsextreme Führungskader den ehrenamtlichen Bezirksverordneten gegenüber.

Die NPD selbst scheint von den Präventivmaßnahmen nicht sonderlich beeindruckt zu sein: Im Internet bezeichnet deren Berliner Vorstand die Schulungen der Demokraten als “lächerlich” und erklärt: “Wir pfeifen auf die Feindschaft oder Freundschaft der Blockparteien.”

(Konrad Litschko)

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