Die Straße ist das, was ihnen geblieben ist: Hier sind sie wer. Wenn Jens, Matthias und Michael (Namen geändert) breitbeinig durch die Hochhausschluchten von Alt-Glienicke gehen, werden sie von anderen Jugendlichen mit Handschlag begrüßt. Das hilft ein wenig gegen die Langeweile, gegen die sie täglich anschlendern und antrinken. Der Arbeitsmarkt braucht sie nicht – von den drei jungen Männern hat nur einer die Hauptschule geschafft. Der Jugendclub will die selbst ernannten Neonazis nicht. In die Döner-Läden, Pizzerien und Cocktail-Bar wollen sie nicht gehen – das seien ja alles nur Ausländer, sagen sie. Die Wohnungen sind ihnen zu klein. Bleibt die Straße. Zwischen den elf-geschossigen grauen Plattenbauten hören sie Musik von rechtsgerichteten Bands und trinken ihr Nachmittags-Bier.
Hier, im Stimmbezirk 326, am südöstlichsten Rand von Berlin, hat die NPD ihr bestes Ergebnis erzielt: 19,8 Prozent. Mit drei Bezirksverordneten zieht die NPD ins Bezirksparlament von Treptow-Köpenick ein. Von 751 Wahlberechtigten gaben nur 202 eine gültige Stimme ab, 40 haben NPD gewählt, fast jeder Fünfte. Die NPD hatte in ihrem Wahlkampf Flugblätter gegen Hartz IV verteilt, fuhr mit Lautsprecherwagen durch den Kiez und verschenkte CDs mit stramm rechtem Inhalt auf Schulhöfen.
Keinen ausländischen Freund
Michael macht derzeit eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme als Tischler. Er ist 17 Jahre alt, bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung durfte er schon wählen – und er wählte NPD. “Die kümmern sich wenigstens”, meint er. Seine beiden 19- und 21-jährigen Kumpels mit den raspelkurzen Haaren nicken. Beide haben keine Arbeit, dafür aber einen “tiefen Hass” auf Ausländer. “National sein ist echtes Deutsch sein”, formulieren sie. Ihre Parolen hören sich einstudiert ein. Seit wann sie rechts sind, können sie nicht sagen. Persönlich kennen sie keinen Ausländer. Aber dass Türken Machos sind, das wüssten sie genau, behaupten sie. Im Ausland waren sie noch nie. Und da wollen sie auch gar nicht hin. Ihr größter Traum ist es, mal in die Münchner Allianz-Arena zu fahren. Die drei sind laut Forschungsgruppe Wahlen typische NPD-Wähler: jung, männlich und ohne Bildung.
Bei ihren Rundgängen durch den Kiez treffen sie durchaus auch andere NPD-Wähler. Eine 39-jährige arbeitslose Frisörin zum Beispiel. Sie zeigt stolz eine schwarz gebrannte CD des rechtsextremen Sängers Frank Rennicke auf der “Ich bin nicht modern – ich fühle deutsch” steht. Der singe human, sagt sie. Und dann kommt sie ins Jammern – gemeinsam mit den drei jungen Männern – darüber, dass an einer Hauswand “Fuck Nazis” stehe, dass sie immer die Bösen seien, und dass sie vor lauter Döner-Buden nicht mehr deutsch essen können. Überhaupt, Ausländer gäbe es hier zu viele. Dass die Quote im Bezirk aber gerade einmal 3,4 Prozent beträgt, das wollen sie nicht wahr haben.
Politik mit Häkelkrawatte
Das haben sie mit Eckart Bräuninger, der mit zwei anderen NPD-Verordneten in das Bezirksparlament einzieht, gemein. “Das sind sicher mehr”, behauptet er. Der 35-jährige Landesvorsitzende der NPD Berlin sitzt auf einer Bierbank im Hinterhof der NPD-Bundesgeschäftsstelle in Köpenick. Das gelbe Haus ist mit Stacheldraht und Kameras gesichert. Vor der Gewalt der Antifa müsse man sich schützen, sagt er. Der gelernte Außenhandelskaufmann aus Pankow hat einen Bürstenschnitt, trägt Anzug und Häkelkrawatte. Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus bezeichnet Bräuninger als “gewaltbereiten Führungsaktivist”, mehrmals wurde über ihn berichtet, er sei Söldner im Kroatienkrieg gewesen – aber dazu sagt Bräuninger nichts. Er will es aber auch nicht dementieren. Er spricht lieber über Wellness und Trimm-dich-Pfade in Treptow-Köpenick . Er sagt, er wolle den Tourismus stärken. Touristen aus dem Ausland seien ihm willkommen. Alle anderen Ausländer allerdings – auch die Wissenschaftler in Adlershof – sollten nur befristet in Deutschland arbeiten dürfen. Und wer keine Arbeit habe und kein Deutscher sei, solle das Land verlassen.
Kommunalpolitische Erfahrung hat Bräuniger nicht. Er bemüht sich um ein biederes Image, sagt, wie wichtig “sachliche Arbeit” und Sportstätten seien. So richtig hinterm Berg halten, kann er seine wahre Gesinnung aber nicht: Wenn er könnte, wie er wollte, fährt er fort, würde er das Holocaust-Mahnmal aus dem Stadtzentrum verbannen. Und dann sagt er noch, die Waffen-SS habe “genauso Pflicht wie andere Frontsoldaten” getan.
Richard Stöss, Parteien-Forscher an der Freien Universität, nimmt der NPD nicht ab, dass sie in den Bezirken tatsächlich Parlamentsarbeit leisten wolle. “Es geht denen um ihre rechtsextreme Ideologie und um Einfluss im Kiez.”
Was Udo Voigt, NPD-Bundesvorsitzender und auch Bezirksverordneter in Treptow-Köpenick, vorhat, bestätigt dies. Ein Programm für den Bezirk hat er nämlich noch nicht. Aber den Aufbau von NPD-Beratungsstellen plant er schon mal – angeblich für Hartz-IV-Empfänger. Bei Voigt, der den Parlamentarismus “nicht als Endstadium” begreift, klingt das bedrohlich.
(Miriam Müller)