Westfälische Nachrichten (24.10.2006)

Pfarrer Albrecht Hoffmann aus dem Ostberliner Bezirk Lichtenberg-Hohenschönhausen sieht am NPD-Stand einen alten Bekannten wieder. Er geht rüber. “Was machst Du denn hier?” – “Das geht Dich gar nichts an”, antwortet der. Plötzlich ist der Pfarrer von fünf Hunden umringt. “Ich fühl mich wie im Gefangenenlager”, sagt er und geht zurück zu seinem CDU-Wahlkampftisch nebenan. Seit der Wende ist er politisch aktiv, damals saß er am Runden Tisch, um die Stasi aufzulösen. Jetzt kämpft er gegen die Nazis. Manchmal hat er den Eindruck, es sind die gleichen Leute, die dahinterstecken.

Bei den Wahlen im Oktober haben die Rechtsextremen in allen Berliner Bezirken zusammengenommen insgesamt zwölf Sitze erringen können. Morgen kommen die so genannten Bezirksverordnetenversammlungen zu ihren ersten Sitzung zusammen. In fünf der zwölf Kommunalparlamente sind Republikaner und NPD jetzt vertreten. Lichtenberg ist eins davon, der Berliner Stadtteil ist mit seinen 260000 Einwohnern allein fast so groß wie Münster. Drei Sitze hat die NPD dort jetzt. Die CDU von Pfarrer Hoffmann kommt auf fünf. Die SPD hat 17 und Linke/PDS 23. Im Berliner Osten ist die Welt noch dunkelrot. Das treibt den Pfarrer genauso um wie der Erfolg der Rechten.

Die NPD hat im Osten zwei Gesichter, zum einen gehören Hunde und Schlägertruppen, das andere zeigt friedliche Kommunalpolitiker, die sich bürgerlich geben und freundlich grüßen. Die NPD-Spitzenkandidatin in Lichtenberg heißt Manuela Tönhardt und ist DVU-Mitglied. Sie verkörpert die Zusammenarbeit der unterschiedlichen rechten Parteien. Die Kulturwissenschaftlerin engagiert sich gegen einen “Interkulturellen Garten” in Lichtenberg und pflegt ansonsten das harmlose Image.

“Die NPD-Strategie war erfolgreich”, erklärt Dr. Esther Lehnert von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (MBR). Auf der einen Seite gebe es ein scheinbar legales Antlitz, auf der anderen die gewalttätigen Kameradschaften, die – streng organisiert – das Rückgrat der rechten Szene bildeten. Während des Wahlkampfs wurden Veranstaltungen der SPD gestört, in Marzahn wurden SPD-Wahlkampfhelfer beim Aufhängen von Plakaten beleidigt und schwer verletzt. Auf einen PDS-Stand wurden Bierflaschen geworfen. “Die Szene ist alles andere als demokratisch und eine massive Bedrohung”, sagt sie.

Doch als Reaktion empfiehlt Lehnert den Politikern jetzt nicht die eingeübte Abwehrhaltung. Diskutieren ist angesagt. Sie berät die Abgeordneten der übrigen Parteien vor Ort, wie sie sich im Umgang mit den rechten Parlamentariern verhalten sollen. “Die Auseinandersetzung ist wichtig.” Parlamentarische Tricks, welche die Rechten ausgrenzen würden, wären gefährlich. “Die NPD gefällt sich in der Opferrolle”.

Auch Pfarrer Albrecht Hoffmann will es so halten. Nur wenn man sich den rechten Argumenten stelle, könne man auch deren Wähler wieder gewinnen. “Das sind nicht alles echte Rechte”, sagt er. Viele seien nur anfällig für deren Reden. Beispiel: Ausländer. “Im Osten Berlins gibt es die Erfahrung des Fremden nicht”, sagt er. Überhaupt eine europäische oder internationale Orientierung sei vielen unbekannt. “Manche hoffen einfach, in Arbeit zu kommen, wenn die NPD gewinnt.” So unrealistisch und naiv diese Sicht auch sei. Das Umdenken in den Köpfen brauche aber eben Zeit.

Rechtsradikalismus ist im Osten Berlins keine Mode, nichts groß Auffälliges mehr, sondern schlichter Alltag geworden. Die Szene hat sich professionalisiert, auf den rüden Auftritt kann man oft verzichten, wenn die gezielte Attacke der Kameradschaft sitzt und vielleicht rechte Musik-CDs am Schulhoftor verteilt werden. Und in der Politik sitzt man endlich im parlamentarischen Nest. Dort wo man hin wollte. “Die größte Gefahr ist die Normalisierung der NPD und ihres Gedankengutes in der Gesellschaft”, sagt Ester Lehnert. Die Normalität fängt gerade an.

(Volker Resing)

“Der Artikel liegt bei den Westfälischen Nachrichten nicht online vor”