Süddeutsche Zeitung (19.09.2006)

Mit Besorgnis haben Vertreter aller demokratischen Parteien auf die Erfolge der Rechtsextremen in den Berliner Bezirken reagiert und Unterstützung für Projekte gegen Rechts gefordert. Der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) warnte vor einem “Flächenbrand”. Der Einzug der NPD in die Bezirksverordnetenversammlung des Westberliner Stadtteils Neukölln zeige, dass Rechtsextremismus kein ostdeutsches Problem sei.

Nach den vorläufigen Wahlergebnissen wird die NPD mit zwei Abgeordneten ins Rathaus Neukölln einziehen, sie kam hier auf 3,9 Prozent. Auf Bezirksebene gilt in Berlin nur die Drei-Prozent-Klausel. Im Plattenbaubezirk Marzahn-Hellersdorf, immer noch einer Hochburg der Linkspartei, kam die NPD auf 6,4 Prozent der Stimmen. In Treptow-Köpenick erzielte sie 5,3 Prozent und in Lichtenberg, wo seit Jahren straffe rechte Strukturen aufgebaut werden, 6,0 Prozent. Überraschend gelang auch den Republikanern im bürgerlichen Pankow der Sprung ins Bezirksparlament. Anders als vorhergesagt, sitzen Vertreter rechter Parteien nun nicht in vier, sondern in fünf Berliner Rathäusern.

Zu den Gründen für die Erfolge der Rechten zählt nicht nur, dass NPD und Republikaner sich diesmal die Bezirke aufgeteilt haben. Auch der agressive Wahlkampf scheint Wähler mobilisiert zu haben. Der Streit über die Rütli-Schule in Neukölln oder der Protest gegen den Bau einer Moschee in Pankow, an dem sich auch die CDU beteiligte, haben den Rechten offenbar Wähler zugespielt. Allerdings warnen Kenner der Szene davor, den Rechtsruck nur auf kurzfristige Entwicklungen zurückzuführen.

“Man sollte nicht nur von Protestwählern ausgehen, bei vielen wird die Wahlentscheidung sehr wohl ideologisch begründet”, sagte Bianca Klose, Leiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin. Neben ausländerfeindlischen Inhalten komme gerade bei Jüngeren die Militanz der Rechten an. Die Beispiele Neukölln und Pankow zeigten, dass sich rassistische Einstellungen gen Westen ausbreiteten und in bürgerlichen Schichten salonfähig würden. Dazu komme eine wachsende Gleichgültigkeit in den demokratischen Parteien. “Es ist ein verheerendes Zeichen, dass die Projekte, die fünf Jahre lang Erfahrungen im Kampf gegen Rechts gesammelt haben, nun abgewickelt werden”, sagte Klose. Die Bundesregierung lässt die Programme “Civitas” und “Entimon” zum Jahresende auslaufen. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) versprach zwar, bis zum Aufbau neuer Projekte eine Übergangsfrist zu gewähren. Aus haushaltsrechtlichen Gründen sei es aber unmöglich, die etablierten Projekte dauerhaft weiterarbeiten zu lassen.

(Constanze von Bullion)

Zum kostenpflichtigen Artikel bei sueddeutsche.de