Hier soll es Neonazis geben? Die Sonne scheint vom strahlend blauen Himmel auf den Helmholtzplatz. Die Kinderwagendichte ist hoch, jungdynamische Jogger laufen Slalom um junge Muttis und Vatis. Ein friedliches Bild drängt sich dem geneigten Beobachter auf. Seit jeher steht der Prenzlauer Berg in dem Ruf, ein »Szenekiez« für die Alternativen und »Kreativen« zu sein.
Und dennoch, auch in diesem Stadtteil kommt es zu rassistischen Übergriffen. Die Berliner Opferberatungsstelle Reach Out hat für das laufende Jahr bislang neun rechte Übergriffe verzeichnet. Sie beruft sich auf Zeitungsartikel, Polizeimeldungen und Berichte von Antifagruppen und Opferberatungsstellen. Erst Ende August wurde ein Mann aus Kamerun in der Ostseestraße angegriffen, mit einem Schirm geschlagen und in rassistischer Weise beleidigt. Im Jahr 2005 gab es insgesamt sieben gewalttätige Übergriffe im Prenzlauer Berg.
Nicht erst in den neunziger Jahren gab es viele Neonazis im Bezirk. Bereits 1987 griffen nach einem Rockkonzert rund 30 Skins eine Veranstaltung in der Zionskirche an und schlugen auf Besucher ein. Die »Freiheitliche Arbeiterpartei« (FAP) war bis zu ihrem Verbot im Jahr 1995 sehr aktiv. Aber weder diejenigen, die am »Helmi« in der Sonne sitzen, noch Passanten in der Schliemannstraße wissen etwas von Neonazis im Kiez. Eine junge Frau meint, dass ihr Nichtwissen auch daran liegen könne, dass sie »nicht genau genug hinguckt«. Eine andere, die seit 13 Jahren im Prenzlauer Berg wohnt, sagt dagegen: »Es sind nicht mehr so viele Nazis wie früher, aber es gibt sie.« Bedroht fühle sie sich nicht. »In meinem Alter falle ich wohl aus der Opfergruppe raus.«
Bis vor kurzem habe es mit den »Nationalen Aktivisten Prenzlauer Berg« (NAPB) eine aktive Kameradschaft im Bezirk gegeben, berichtet David S. von der Antifaschistischen Aktion Prenzlauer Berg (AAPB). Es habe Verbindungen zu anderen rechten Gruppen gegeben. Dafür stehen etwa Ines Wegner, die auch der im Jahr 2005 verbotenen Kameradschaft »Baso« angehörte, oder Stefanie Piehl, die nach dem Verbot einen Posten bei den neu gegründeten Jungen Nationaldemokraten Berlin übernahm, wie Fight Back 03, eine Antifa-Recherchebroschüre, mitteilt. Die NAPB hat sich besonders mit Plakat- und Aufkleberaktionen hervorgetan. »Einmal haben sie mit Schablonen an die Wände ›Israel, du Opfer‹ und darunter ein Hakenkreuz gesprüht«, erzählt S.
»Piehl und Wegner sind vor gut einem halben Jahr aus dem Prenzlauer Berg weggezogen. Die Propagandageschichten haben danach beinahe von einem Tag auf den anderen aufgehört«, berichtet er weiter. Die Übergriffe aber wurden nicht weniger. Eine andere Gruppe ist die »Kameradschaft Phönix«, der ebenfalls enge Verbindungen zu den »Autonomen Nationalisten« um die verbotene »Kameradschaft Tor« in Lichtenberg und die »Baso« nachgesagt werden. Die »KS Phönix« sei jedoch eher ein Freundeskreis und trete kaum öffentlich auf. Dass die NAPB so plötzlich ihre Aktivitäten eingestellt hat, ist für David S. ein Zeichen dafür, »dass Neonazis im Prenzlauer Berg nicht viel auf die Reihe kriegen, wenn sie keine Führung haben«.
»Die Gewalt tritt in der Hälfte der Fälle eher spontan als geplant auf«, bestätigt Tim Köhler von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR). Er meint, dass man von organisierten Rechten im Prenzlauer Berg nicht wirklich sprechen könne, weist aber auch darauf hin, dass Rückzugsräume, wie die Kneipe »Sparstrumpf« an der Greifswalder Straße, nach wie vor bestünden.
»Die Sache mit dem alternativen Bezirk war schon immer eine Mär«, sagt Oliver Gerhard. Er hat von 1991 bis 1999 im Kiez gewohnt und war in einer von vier Antifagruppen aktiv. »Das Bötzowviertel war eine Gegend, in die man nur ungern im Dunkeln geht, und das Verteilen von Flugbblättern vor der S-Bahn Greifswalder Straße glich bis Mitte der Neunziger einer Mutprobe.«
In der Winsstraße habe es eine Kneipe gegeben, in der uniformierte Neonazis jährlich Hitlers Geburtstag gefeiert hätten. Gerade außerhalb des S-Bahnrings hätten die Neonazis politisch agitieren können, weil ihre Propaganda dort auf fruchtbaren Boden gefallen sei. Das habe, so erzählt Gerhard weiter, auch daran gelegen, dass der Prenzlauer Berg eine stark proletarische Gegend gewesen sei, in der es kaum Zuwanderer gegeben habe. Mit beharrlicher Aufklärung, mit Informationsveranstaltungen und Infoständen sei es über die Jahre gelungen, die Neonazis zumindest so weit zurückzudrängen, dass sie nicht mehr politisch aktiv werden konnten.
Ende des vorigen Jahres wurde außerdem die Initiative Offener Kiez (IOK) gegründet. »Wir haben uns zusammengetan, nachdem es hier im letzten Jahr kurz hintereinander drei Naziaufmärsche gab«, sagt Ralf von der IOK. Die Gründungssitzung im Haus der Demokratie sei von Neonazis angegriffen worden, erinnert er sich. In der vorigen Woche haben Mitglieder der Kampagne gut 10 000 Flugblätter mit dem Titel »Keine Stimme den Nazis« im Kiez verteilt. Das sei nötig, weil es in der Vergangenheit Wahlbezirke gegeben habe, in denen rechte Parteien die Drei-Prozent-Hürde geschafft haben. Mit Sorge sieht die Kampagne gerade auf die jungen Wähler.
Für Tim Köhler liegen die Ursachen dafür, dass gerade Jugendliche für rechte Propaganda anfällig seien, darin, dass zwischen dem Babyboom und der Luxussanierung des Kiezes eine »Angebotslücke für 14- bis 16jährige« entstanden sei. »Dazu kommt eine Entpolitisierung und Ausdifferenzierung der Jugendsubkulturen. Die Jugendlichen sind als Kinder der neunziger Jahre an Rechtsextreme gewöhnt und haben keine dezidiert politische Gegnerschaft dazu.« So könne sich rechtes Gedankengut neben anderen Meinungen etablieren.
Ihre antifaschistische Aktionswoche Anfang September wertet die AAPB als Erfolg. Man habe eine Broschüre an Schulen verteilt, Konzerte, Podiumsdiskussionen und ein großes Skate-Jam organisiert. »Ein Grund, warum die Jugendlichen rechts werden, ist doch, dass es keine Alternativen gibt. Wir waren fast überrascht, wie viele Schüler die Angebote angenommen haben.« Das zeige, dass es einen Bedarf gebe, meint David. Es müsse um Sensibilisierung und Politisierung gehen, und nicht nur darum, »gegen Nazis« zu sein. »Der Hauptteil der Antifaarbeit ist inhaltlich. Ohne das ist alles Quatsch.«
(Peter Sonntag)