Zwanzig Jahre später hat sich diese Szene festgesetzt und kulturell ausdifferenziert. Fast alle Spielarten des Neonazismus sind in Lichtenberg vorhanden. Im Straßenbild sind Neonazis aber nicht mehr so präsent wie noch vor einigen Jahren. Das extrem rechte Milieu konnte weder durch die Antifa, zivilgesellschaftliche Akteure, den sehr engagierten Bezirk noch repressive Polizeiarbeit geknackt werden. Die Opferberatungsstelle “ReachOut” dokumentierte 2008 mindestens 15 (2007: 14) extrem rechte Attacken. Im Nachbarbezirk Friedrichshain wurden 30 (2007: 24) Gewalttaten gezählt. In Lichtenberg sind es meist rassistische Angriffe, in Friedrichshain trifft es eher Linke und Alternative. An vielen Angriffen in Friedrichshain waren Nazis
aus Lichtenberg beteiligt.
Infrastruktur
Sichtbar wird die Stärke des Milieus an den vielen Kneipen, Clubhäusern und Geschäften, die sich an ihr spezifisch extrem rechtes Klientel wenden. War es bis zu ihrer Schließung die Kneipe “Kiste”, wo sich die Kameraden trafen, so ist es heute das “Jägerheim”. Am 22. November 2008 fand dort ein Treffen des “Ring Nationaler Frauen” (RNF) mit circa 50 TeilnehmerInnen statt. Am 29. November 2008 fand in dem Lokal eine Mobilisierungsveranstaltung für die Berliner Neonazi-Demo am 6. Dezember 2008 statt. Redner war Thomas Wulff. Eine ebenfalls dort geplante Lesung der NPD mit Richard Melisch fiel aber an diesem Ort aus. Jeden Mittwoch traf sich auch der Kreis um die ehemalige NPD-Aktivistin Gesine Hennrich im “Jägerheim”.
Unweit von dem Lokal liegt das Clubhaus der “Kameradschaft Spreewacht”(KSW). Die Hausband der KSW ist “Legion of Thor”. Die Kameradschaft soll um die 10 Mitglieder im Alter von 35 bis 40 Jahren haben. Am 8. April 2006 wurde ein Konzert mit den beiden Berliner Bands “Legion of Thor” und “Spreegeschwader” im Clubhaus der KSW aufgelöst. Nazikonzerte fanden auch im Clubhaus von “Walhalla 92 Berlin” in Lichtenberg statt. Am 15. November 2003 sowie am 21. Februar 2009 löste die Polizei dort Rechtsrockkonzerte auf. Am 21. Februar 2009
sollten “Preussenstolz”, “White Society” und “Strafmass” auftreten.
Die Gruppe “Walhalla 92 Berlin” ist der Rockerszene zuzurechnen. Die wie Rocker auftretenden “Vandalen” besitzen ein Clubhaus in Berlin-Hohenschönhausen. Sie sind festes Inventar der Rechtsrockszene.
Ein wahres Imperium in Lichtenberg-Hohenschönhausen betreibt ein Netzwerk, das aus den Geschäften und Lokalen “Germanenhof”, “Odinsklinge”, “Kategorie C”, “Berliner Fußball Cafe” und “Ostzone” besteht. Sie fielen in der Vergangenheit durch eine extrem rechte Kundschaft auf. Und auch das Tattoostudio “Utgard” des Szeneaktivisten der 1990er Jahre Frank Lutz liegt in Lichtenberg. Die bei der extremen Rechten beliebte Modemarke “Thor Steinar” kann man im Stadtteil bei “Doorbreaker” im “Ringcenter” und im “Lindencenter” bekommen. Der neu eröffnete Laden “Horrido” verkauft “Erik and Sons” und Artikel der Band “Kategorie C – Hungrige Wölfe”.
NPD
Der in Lichtenberg ansässige “Kreisverband 5” der NPD setzt sich aus Manuela Tönhardt (Vorsitzende), Jahn Keller (Stellvertreter), Dietmar Tönhardt (Geschäftsführer) Karin Mundt (Schatzmeisterin), Henryk Wurzel (Rechnungsprüfer) und Ralf Potraffke (Beisitzer) zusammen. Dieser Kreisverband und die Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Lichtenberg sind nach den Querelen in der Berliner NPD in den letzten Monaten die aktivsten. Das Projekt “Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in kommunalen Gremien Berlin” beobachtete, dass diese Fraktion mit ihrer vergleichsweise hohen Zahl an Anträgen und Wortbeiträgen aus der sonstigen Arbeit der NPD in den Berliner Verordnetenversammlungen herausragt. Für die Neonazi-Partei sitzen Manuela Tönhardt, Jörg Hähnel und der Berliner DVU-Vorsitzende Torsten Meyer in der BVV. Fraktionsgeschäftsführer ist Dietmar Tönhardt. Die Arbeit der NPD-Verordneten in der Lichtenberger BVV hat sich seit ihrem Einzug 2006 professionalisiert. In jeder Sitzung werden Anträge gestellt und Reden gehalten, die sich zwischen Kommunalpolitik, Geschichtsrevisionismus und Rassismus bewegen.
Aktionsorientierte
2001 gründete sich in den Kiezen um den Bahnhof Lichtenberg die “Kameradschaft Tor” (KS-Tor). Bis zu ihrem Verbot schuf sie das Phänomen der sogenannten “Autonomen Nationalisten” mit. Nach dem Verbot der Kameradschaft, Knast für Aktive sowie Wegzug einiger Kameraden hat sich der Organisationsgrad der heute noch im Weitlingkiez lebenden aktionsorientierten Neonazis geändert. Sie bilden eher Cliquen als feste Kameradschaften. Aber die Themen blieben dieselben: NS-Verherrlichung und Anti-Antifa. Einzig übrig gebliebener Altaktivist aus KS-Tor Zeiten ist Björn Wild.
Der hohe Repressionsdruck auf das Umfeld und die losen Nachfolgestrukturen der KS-Tor schufen viele “Aussteiger”. Vor dem Beginn von Gerichtsprozessen sind die Aktivisten auf einmal Aussteiger und tauchen nicht mehr bei Aktionen auf. Vor Gericht wird diesen Aussteigerlegenden gern geglaubt. Letztes Beispiel hierfür ist der emsige Anti-Antifa Aktivist Alexander Basil. Doch oftmals werden nach einiger Zeit der Abstinenz Kontakte in die Szene wieder hergestellt. Ausstieg muss mehr bedeuten als nur eine Demopause.
(Fabian Kunow)
Der Rechte Rand | Nummer 119 | Juli | August 2009 | Seite 15