Ein Jahr „Extremismusklausel“ und ihre Folgen: Kontrolle, Misstrauen und die Verstaatlichung zivilgesellschaftlicher Aufgaben

Vor einem Jahr kündigte die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder die Beklauselung des Engagements gegen Rechtsextremismus in ihrem Twitterprofil an: “In Zukunft werde ich von Initiativen gegen Rechtsextremismus, Linksextremismus oder Islamismus Bekenntnis zu unserer Verfassung verlangen.” Seitdem müssen alle Fördermittelempfänger von Bundesmitteln eine so genannte Demokratieerklärung unterschreiben, die mit dem Zuwendungsbescheid an die Träger ausgereicht wurde: Wer staatliche Fördergelder bezieht, muss sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen und für die Verfassungstreue seiner Kooperationspartner bürgen. Wer nicht unterschreibt, erhält kein Geld und macht sich aus Sicht der Bundesregierung politisch verdächtig.

Gesprächspartner/innen der Pressekonferenz

  • Steffen Richter (Vorsitzender des AKuBIZ, Sachsen) – Das AKuBiZ e.V. hatte 2010 den Sächsischen Demokratiepreises abgelehnt und damit die Debatte über die Extremismusklausel initiiert,
  • Sabine Seyb (Reach Out, Berlin) – “Demokratieerklärung” & Beratungsstandards einer Opferberatungsstelle
  • Herr Klausel (Inhaber der Firma Klausels Extremis-Mus = Pflaumenmusherstellung) – Erläuterung der Schwierigkeiten, mit denen die Firma seit Einführung der “Extremismusklausel” konfrontiert ist und Vorstellung der Mus-Kampagne
  • Timo Reinfrank (Amadeu Antonio Stiftung)

Begrüßung & Moderation

Presserklärung der BAGD vom 6.10.2011

Beschluss der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung vom 28.9.2011

Wir bekennen nicht, wir handeln! Demokratie braucht Vertrauen.

Die politische Einflussnahme staatlicher Behörden auf die Demokratie- und Menschenrechtsarbeit zivilgesellschaftlicher Initiativen und Fachträger hat insbesondere seit dem Antritt der schwarz-gelben Bundesregierung ein inakzeptables Ausmaß angenommen.

Dies zeigt sich zum Beispiel

  • in der Missachtung der Notwendigkeit einer breiten unabhängigen zivilgesellschaftlichen Engagementstruktur und damit einer demokratischen Kultur insgesamt,
  • in Vereinnahmungsversuchen seitens staatlicher Institutionen (Verfassungsschutz, Bundeswehr etc.) originär zivilgesellschaftlicher Arbeitsfeldern (Demokratiebildung, Engagementstärkung),
  • oder in der Zunahme an unverhältnismäßigen Kontrollinstrumenten in der Vergabepraxis von Fördergeldern an zivilgesellschaftliche Träger.

Wes Brot ich ess, des Lied ich sing?

Vor einem Jahr, am 06. Oktober 2010, verkündete Bundesfamilienministerin Kristina Schröder über Twitter, dass sie in Zukunft von “Initiativen gegen Rechtsextremismus, Linksextremismus oder Islamismus ein Bekenntnis zu unserer Verfassung verlangen” werde. Das angekündigte Kontrollinstrument wurde umgesetzt – in Form einer so genannten Demokratieerklärung, die mit dem Zuwendungsbescheid an die Träger ausgereicht wurde: Wer staatliche Fördergelder bezieht, muss sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen und für die Verfassungstreue seiner Kooperationspartner bürgen. Wer nicht unterschreibt, erhält kein Geld und macht sich aus Sicht der Bundesregierung politisch verdächtig.

Der anhaltende bundesweite Protest gegen die Verwaltungspraxis des Bundesfamilienministeriums zeigt, dass hier ein empfindlicher Eingriff in die Handlungsfreiheit zivilgesellschaftlicher Initiativen vorgenommen wird: Eine Ministerialverwaltung nimmt direkt Einfluss auf den Meinungs- und Handlungsspielraum von Freien Trägern. Dabei ist die “Extremismusklausel” nur ein Effekt einer langen Entwicklung hin zur Verstaatlichung der Zivilgesellschaft.

Zivilgesellschaft ist kein Subunternehmen des Staates!

Eine aktive und breite demokratische Initiativlandschaft ist ein unabdingbarer Bestandteil für die Entwicklung einer demokratischen Kultur. Zivilgesellschaftliche Arbeit besitzt eine notwendige Kritik- und Kontrollfunktion gegenüber staatlichem Handeln. Wer den Handlungsspielraum von nicht-staatlichen Initiativen einengt und zivilgesellschaftliches Engagement unter Verdacht stellt, betreibt einen anhaltenden Demokratieabbau. Demokratie schöpft ihr Potential zur Weitenentwicklung aus ihrer Kritik- und damit Veränderungsfähigkeit. Ein rein staatsfixiertes Demokratieverständnis, was die Beteiligung der Bürger_innen auf Wahlen beschränkt, kann keine gestalterische Kraft entwickeln.

Wir fordern:

  • die sofortige Rücknahme der so genannten Demokratieerklärung in der Vergabepraxis des Bundes und des Freistaates Sachsen
  • sowie Vertrauen und Handlungsfreiheit für die anhaltend schwierige zivilgesellschaftliche Arbeit gegen menschenverachtende Entwicklungen in der Gesellschaft!