dpa (12.12.2006)

Die Schlagzeilen aus dem Berliner Bezirk Lichtenberg klingen noch immer bedrückend: Rechtsextreme greifen türkischen Dönerbuden-Besitzer an. Es hört sich nicht viel anders an als im Mai, als der türkischstämmige Linkspartei-Politiker Giyasettin Sayan vermutlich von Neonazis zusammengeschlagen wurde und vor der Fußball-WM eine Diskussion über “Angstzonen” aufflammte. Und doch kommt in dem Ostberliner Stadtteil langsam etwas in Bewegung. Die Stimmung drückt sich im Motto einer Kampagne von Jugendverbänden und Anwohnern aus: Hol’ dir den Kiez zurück. “Die Rechten bekommen Gegenwind”, sagt Björn von Swieykowski, der in Lichtenberg zur Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus gehört.

“Erhöhte Gefährdung”

Im Bezirk Lichtenberg reihen sich auf der Weitlingstraße auf den ersten Blick Dönerbuden, Internet-Cafés und Gemüselädchen so schmucklos aneinander wie in vielen Vorstädten ohne große Kaufkraft. Auf den zweiten Blick wirkt das Leben in der Straße nicht mehr ganz so alltäglich. Dann fallen die stämmigen, schwarz gekleideten Männer auf, die vor einem Tattoo-Studio stehen oder vor der Kneipe “Kiste”. Sieben angezeigte Gewalttaten von Rechtsextremen hat die Polizei in diesem Jahr bis Anfang Dezember im Kiez registriert. Der Verfassungsschutz spricht von einer “erhöhten Gefährdung” rund um die Weitlingstraße.

Risse im Gleichgültigkeitspanzer

Björn von Swieykowski will die Lage nicht schön reden, doch er ist optimistischer als im Mai. “Zum ersten Mal gibt es ernsthafte Bemühungen, hier etwas zu verändern”, sagt er. Seit den Überfällen auf Bezirkspolitiker seien mehr Anwohner als früher bereit, über die Kiezstrukturen nachzudenken und zu reden. Der bisherige Panzer aus Gleichgültigkeit und Klischeedenken bekomme Risse, urteilt der Streetworker. Das Bezirksamt und die Bürgermeisterin hätten das Thema Rechtsextremismus trotz leerer Kassen über Monate ganz oben auf der Agenda gehalten.

Folgen des gescheiterten NPD-Verbots?

Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch sieht rechte Gewalt auch als Folge des gescheiterten Verbotsverfahrens gegen die NPD. Die Rechtsextremen fühlten sich sicherer und seien deshalb aggressiver, sagt er. Björn von Swieykowski sieht die jüngsten Lichtenberger Gewaltausbrüche in einem anderen Licht. Es gebe nicht nur das wachsende Problembewusstsein im Weitlingkiez-Alltag, es gebe auch mehr Verurteilungen nach Gewalttaten. “Für die Rechtsextremen wird es enger”, beschreibt er die Lage. “Ihnen geht es jetzt um eine Art Revierverteidigung.” Das wäre eine gegenüber früher geschwächte Position.

NPD ergatterte drei Mandate

Lichtenberg hat in der rechten Szene einen fast mythischen Ruf. Rund um den Bahnhof hatte sich in den 90er Jahren eine Art “rechte Infrastruktur” etabliert: Ein NPD-Kreisbüro, junge Kameradschaften, Kneipen, Läden. Immer mehr Sympathisanten zogen dorthin, Streetworker schätzen den Kern der Szene heute auf 30 bis 40 Menschen. Die Gegend um die Weitlingstraße steht damit auch für den Versuch, mit Auftreten, Kleidung, Symbolen und Schmierereien eine rechte Alltagskultur zu etablieren. Bei der Wahl zur Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung im September erreichte die NPD sechs Prozent der Stimmen. Das reichte für drei Mandate.

(Ulrike von Leszczynski)

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