Berliner Morgenpost (06.09.2006)

Die wiederholten massiven Störungen von Wahlveranstaltungen durch rechtsextremistische Gruppen in den vergangenen Wochen waren keine
zufälligen Spontanaktionen, sondern Teil einer von verschiedenen rechten Parteien und Organisationen gemeinsam festgelegten Strategie. Ziel dieses Vorgehens ist nach Erkenntnissen von Verfassungsschützern und Extremismusexperten anderer Organisationen die Einschüchterung demokratischer Politiker und ihrer Wähler.

Innerhalb von nur einer Woche störten rechtsradikale Gruppen fünf
Wahlveranstaltungen vor allem von SPD und PDS in Neukölln, Treptow und Lichterfelde. In zwei Fällen kam es dabei auch zu Übergriffen und
Sachbeschädigungen. Darüber hinaus wurden nach Polizeiangaben mehrfach Plakatkleber von Rechtsradikalen bedroht.

Hinter den massiven Störversuchen stecken nach übereinstimmenden Erkenntnissen des Berliner Verfassungsschutzes und der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus in Berlin (MBR) Gruppen aus der Kameradschaftsszene. Die wiederum ist personell eng verknüpft mit der
NPD. Nach dem Verbot zweier Neonazi-Kameradschaften im Frühjahr 2005
durch Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gründeten Mitglieder dieser Gruppen mit Billigung der Mutterpartei Kreisverbände der NPD-Nachwuchsorganisationen Junge Nationaldemokraten (JN) in Treptow-Köpenick, Neukölln und im Berliner Norden.

Es sind vor allem diese als extrem gewaltbereit eingestuften Neonazis, die in den vergangenen Wochen in großer Zahl und im typischen Outfit
(Glatze, Bomberjacke, Springerstiefel) immer wieder bei Wahlveranstaltungen auftauchten. Stets dabei: Die bekannte Neonazi-Größe René Bethage, vormals Chef der von Körting inzwischen verbotenen Berliner Alternative Südost (BASO).

Bethage und Kameraden sind bei diesen Auftritten vor allem damit beschäftigt, Teilnehmer und Zuschauer der Veranstaltungen zu filmen und
zu fotografieren. “Feindaufklärung” heißt das in der Neonazi-Szene, weiß Bianca Klose von der MBR. “Gekoppelt mit dem martialischen Auftreten der Rechten und ihren Pöbeleien ist das Filmen Bestandteil der “Einschüchterungsstrategie”, erläutert die MBR-Chefin.

Die Möglichkeiten der Behörden, gegen die Auftritte der Rechtsradikalen vorzugehen, sind begrenzt. Da nach Behördenerkenntnissen unter den Störern der Wahlveranstaltungen etliche Mitglieder der verbotenen Neonazi-Organisationen sind, will Innensenator Körting jetzt prüfen lassen, ob derartige Auftritte nicht als Versuch zu werten sind, die Kameradschaften trotz Verbots weiterzuführen. “Sollte dem so sein, werden umgehend Strafverfahren eingeleitet”, kündigte Körting gestern an.

Bis dahin will die Polizei nach Angaben von Polizeipräsident Dieter Glietsch bei Wahlveranstaltungen mehr Präsenz zeigen. Außerdem sollen, wie diese Zeitung erfuhr, im Umfeld der Veranstaltungen zusätzlich verdeckte Ermittler eingesetzt werden. Damit wolle man Aufmärsche rechtsextremer Gruppen frühzeitig erkennen und unterbinden, sagte ein Beamter.

Die NPD selbst gibt sich betont seriös. Immerhin hofft die Partei, in einigen Bezirken (darunter Neukölln, Treptow-Köpenick und Lichtenberg) die neu geschaffene Drei-Prozent-Hürde zu überspringen und in die Bezirksverordneten-Versammlungen einzuziehen.

Für die MBR besteht dennoch kein Zweifel, dass die Nationaldemokraten eng mit den immer wieder als Störer auftretenden Neonazis vernetzt sind.
Sicheres Indiz dafür ist nach Auffassung von Klose die Person des derzeitigen NPD-Landesvorsitzenden. Eckart Bräuniger kommt aus der Neonazi-Szene, war in den 90er-Jahren Söldner im Balkankrieg und wurde in der Vergangenheit mehrfach von der Polizei festgenommen.

(Hans H. Nibbrig)

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