(30.04.2012) Der Tagesspiegel: 1. Mai in Berlin. Ab 14 Uhr wird demonstriert – und gefeiert

Die Polizei hat ihre Strategie für die Walpurgisnacht und den 1. Mai klar vorgegeben: “Krawallmacher offensiv festnehmen, aber zugleich versuchen, mit allen friedlich klarzukommen, die sich ansprechen lassen.” So will sie am Montag und Dienstag die Demos unter Kontrolle halten. Dabei ist die Polizeiführung unter Druck, denn die Szene hat in diesem Jahr aggressiver als bisher mit der Mobilisierung begonnen. Beim Myfest soll bereits zum zehnten Mal friedlich gefeiert werden. Ein Überblick:

Antikapitalistische Walpurgisnacht

Bisher war die gewaltträchtige “antikapitalistische Walpurgisnacht-Demo” traditionell durch Friedrichshain und Prenzlauer Berg gezogen.

Diesmal wurde sie überraschend durch den Sprengelkiez und Brüsseler Kiez in Wedding verlegt wurde, also in das Gebiet zwischen S-Bahnhof Wedding, dem Nordufer am Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal, der See- und Müllerstraße. Das hängt mit dem neuen, in der autonomen und linken Szene äußerst zugkräftigen Thema der revolutionären 1. Mai-Demos zusammen: der Gentrifizierung. Der Verdrängung der angestammten Bevölkerung “durch den Teufelskreis aus Besitzerwechseln, Sanierungen und stark steigenden Mieten”, so ein Demoaufruf. Nicht nur Kreuzberg, Friedrichshain, Mitte und Prenzlauer Berg seien davon betroffen, sondern neuerdings auch Wedding, meinen die Protestler.

Die Protestveranstaltung startet um 14 Uhr mit Livemusik (Ska und Hip Hop) an der Gerichtstraße, Ecke Adolfstraße.

Unter dem Motto “Nimm, was Dir zusteht werden am Abend tausende Protestler durch den Kiez marschieren. Die beginnt um 20 Uhr am Bahnhof Wedding, 1500 Teilnehmer wurden bei der Polizei angemeldet, bewacht werden sie von bis zu 7000 Polizisten. Die Route führt über die Burgsdorfstraße, Lynarstraße, Sparrplatz, Sprengelstraße, U-Bahnhof Amrumer Straße, Ostender Straße, Genter Straße, U-Bahnhof Seestraße, Müllerstraße, U-Bahnhof Wedding.

Myfest

Seit 2003 trägt das von Anwohnern und Bezirksamt organisierte Myfest dazu bei, dass es in Kreuzberg am ersten Mai etwas friedlicher zugeht. In diesem Jahr findet es zum zehnten Mal statt, rund um die Kreuzberger Oranienstraße und Mariannenplatz.

19 Bühnen wird es in diesem Jahr geben, unzählige Essens- und Getränkestände und zehntausende Berliner und Touristen, die zwischen Oranienplatz und Görlitzer Bahnhof ausgelassen auf der Straße feiern. Rein rechtlich ist das Bezirksamt der Organisator des Myfestes. Tatsächlich haben die Anwohner bei der Organisation fast freie Hand. Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) greift nur ein, wenn es ernst wird. Wie im vergangenen Jahr, als plötzlich Dutzende Mitglieder der Hells Angels vor einer Bühne auf dem Oranienplatz Stellung bezogen und sich als offizielle Sicherheitsleute gebärdeten. “Wir haben uns mit den Veranstaltern darauf geeinigt, dass Rocker, gleich welchen Vereins, auf dem Myfest nicht hinnehmbar sind”, sagt Schulz. Es sei daher “auszuschließen”, dass in diesem Jahr wieder Hells Angels im abgesperrten Bereich einer Bühne auftauchen. Dafür sollen auch die rund 15 Mitarbeiter des Bezirksamts sorgen, die zusammen mit dem Landeskriminalamt die Einhaltung der Regeln auf dem Fest überwachen werden.

Insgesamt hat sich das Konzept am Myfest bewährt. Seit Silke Fischer 2002 die Idee zum Myfest entwickelte und bis 2009 selbst organisierte, hat sich das Gewaltpotenzial in Kreuzberg am Maifeiertag stark reduziert. Man werde daher am Grundkonzept nichts ändern. Dazu gehört auch das strikte Verbot von Flaschen und Dosen, das schon in den vergangenen Jahren gut funktioniert habe, meint Bürgermeister Schulz.

Rund um das Myfest

Die Revolutionäre 1. Mai-Demo führt auch in diesem Jahr direkt am Myfest vorbei. Unter dem Motto “25 Jahre Widerstand gegen Krieg, Krise und Kapitalismus” startet sie um 18 Uhr am Lausitzer Platz und führt über die westliche Oranienstraße und Wilhelmstraße zum Bebelplatz Unter den Linden. Die Polizei rechnet mit 15 000 Teilnehmern.

Außerdem werden auf dem Oranienplatz ab 13 Uhr mehrere Tausend Demonstranten erwartet, die in Richtung Kottbusser Tor marschieren wollen.

Für 17 Uhr ist eine Demo auf dem Mariannenplatz unter dem Motto “Verdrängung verhindern – Mieten senken – Immobilienkonzerne enteignen!” angekündigt.

Gewerkschaften

Die aus Gewerkschaftssicht “einseitige Sparpolitik zur Rettung Europas” ist in diesem Jahr das große Thema der traditionellen 1.-Mai-Demonstration des DGB. Ab 9 Uhr ruft der Gewerkschaftsbund zur musikalisch begleiteten Auftaktveranstaltung zwischen Hackeschem Markt und Spandauer Straße. Es soll dagegen protestiert werden, die Folgen der Eurokrise “auf Arbeitnehmer und sozial Schwache abzuwälzen”, wie es im Aufruf heißt. Die bisherigen Maßnahmen zur Währungsrettung führten laut DGB zu “Armut, Ungleichheit, Rezession und höherer Verschuldung”. Die Gewerkschaft wirft den EU-Regierungen vor, “einseitig zu sparen” und Wachstum zu gefährden.

Ab 10 Uhr bewegt sich der Demonstrationszug durch die Innenstadt zum Brandenburger Tor. Die Polizei rechnet mit 20 000 Teilnehmern, im vorigen Jahr demonstrierten rund 10 000 Menschen. Neben dem klassischen Marsch “für gerechte Löhne, soziale Sicherheit und gute Arbeit”, so der DGB-Aufruf, soll es am Dienstag auch einen Motorradkorso, einen für Fahrradfahrer und eine Skaterdemo geben.

Bei der Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor soll gegen 11.30 Uhr als Hauptredner der GEW-Vorsitzende Ulrich Thöne sprechen, auch wird ein Gastredner vom spanischen Gewerkschaftsbund CCOO erwartet. Danach ist ein Maifest auf der Straße des 17. Juni mit Livemusik der Showgruppe “Biba & die Butzemänner”, Hip-Hop und moderierten Gesprächen geplant, bis etwa 19 Uhr gibt es zudem Kinder- und Familienangebote wie Spiele, Musik, Essen, Trinken und Hüpfburgen.

Gegen Rechts

Mehrere demokratische Parteien haben für den 1. Mai Proteste gegen Kundgebungen der rechtsextremen NPD in Marzahn-Hellersdorf und Hohenschönhausen angemeldet. Die NPD hat laut Polizei ab 12 Uhr drei Veranstaltungen in Hellersdorf, an der Stendaler Ecke Quedlinburger Straße (12 Uhr) und Cecilien- Ecke Tollensestraße (13.15 Uhr), und in Neu-Hohenschönhausen an der Zingster Straße Ecke Falkenberger Chaussee (14.30 Uhr) angemeldet. Die Polizei rechnet mit rund 30 Teilnehmern. Die anderen Parteien rufen nach Angaben der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus und der Linkspartei um 12 und 13.15 Uhr an denselben Orten zu Protesten auf, außerdem ruft das Lichtenberger Bündnis für Demokratie und Toleranz zu einer Kundgebung um 14 Uhr am Lindencenter Prerower Platz auf, unweit der Zingster Straße.

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