Sie protestierten auch ohne Anlass “gegen linke Terrorbanden”. Unter den Augen der Polizei wurde dabei mehrfach zu Gewalt gegen vermeintliche Gegner der Rechtsextremen aufgerufen. Über den Lautsprecherwagen verlasen die Neonazis Namen und Privatadressen von Journalisten, Gewerkschaftern und Mitarbeitern der Berliner Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus (MBR). Die Betroffenen wollen jetzt gerichtlich gegen die Drohungen vorgehen. Sie kritisieren gleichzeitig die Polizei, die trotz Hinweisen nicht eingriff.
“Das sind die Hintermänner! Das sind die Hetzer! Das sind jene, die in der Antifa das Wort führen. Das sind die, die die Kontakte bis ins Abgeordnetenhaus hinein halten. Damit die roten Mordbanden jederzeit finanziert werden”, rief Neonazi-Aktivist Lutz Giesen der johlenden Menge zu, nachdem er 20 Namen von angeblichen politischen Gegnern vorgelesen hatte. “Sie haben Namen und Adressen. Und wir werden sie nicht vergessen. Wir vergeben nichts. Wir schwören Rache!” Bei anderen Personen wurden später auch die Privatadressen genannt, gefolgt von dem Aufruf: “Wir kriegen Euch alle!”
“Es ist mir unbegreiflich, warum die Polizei bei diesem Aufmarsch nicht unterbunden hat, dass solche Namenslisten verlesen wurden und es zum öffentlichen Aufruf zu Straftaten und Bedrohungen kommen konnte”, sagte MBR-Chefin Bianca Klose dem Störungsmelder. Auch sie wurde über Lautsprecher als “geistige Brandstifterin” beschimpft. Bereits vor Samstag habe die Szene ein äußerst aggressives Verhalten gegen engagierte Bürger gezeigt. Allein das Motto des Aufmarsches “Vom nationalen Widerstand zum nationalen Angriff”, spreche eine deutliche Sprache, so Klose. Im MBR-Büro gingen bereits in der letzten Woche telefonisch und per Mail Drohungen ein.
“Solche öffentlichen Bedrohungen dürfen in einem Rechtsstaat nicht geduldet werden”, sagte Clara Herrmann, die für die Grünen im Abgeordnetenhaus sitzt. Sie kündigte an die Vorfälle mit einer kleinen Anfrage auf parlamentarischer Ebene anzusprechen. “Wichtig ist jetzt aber vor allem, die Menschen die dort bedroht wurden zu unterstützen und sich mit ihnen zu solidarisieren.”
Ungeklärt bleibt, warum die Polizei nicht sofort eingegriffen hat, nachdem die Drohungen über den Lautsprecherwagen gerufen wurden. Laut den Auflagen der Versammlungsbehörde waren Parolen, die zur Einschüchterung der Bevölkerung dienen, explizit untersagt worden. Die Polizei hätte den Aufmarsch demnach schon nach wenigen hundert Metern auflösen können.
Wie die rechtsextreme Szene an die Privatadressen der Betroffenen gelangt ist, scheint für die Betroffenen klar zu sein. Fast alle hatten in verschiedenen Gerichtsprozessen als Belastungszeugen gegen rechtsextreme Gewalttäter ausgesagt. Dabei erhalten die Anwälte der Gegenseite Einblick in die Akten. In der Vergangenheit ist die Naziszene offenbar schon öfter über diesen Weg an Namen und Adressen gelangt. Aus diesem Grund werden inzwischen bei Rechtsextremismus-Prozessen in Berlin die Adressen in den Akten geschwärzt.
Unverhohlene Gewaltaufrufe gab es aber nicht nur aus dem Aufzug heraus, sondern auch via Twitter. Laut NPD-Blog forderte die Marburger NPD über ihren Twitteraccount am Ende des Aufmarsches die “Kameraden” zum “munteren Zecken jagen2 auf. “Blanker Hass wird als Notwehr verkauft”, schreibt NPD-Blog in einem Kommentar dazu.
Von Johannes Radke