(11.12.2008) Presseerklärung DIE LINKE zum 6.12.2008

Erst einmal: Dank an alle, die sich am 6. Dezember an den Protesten gegen den Neonazi-Aufmarsch in Lichtenberg beteiligt haben und somit verhindern konnten, dass die Demonstration durch den Weitlingkiez führte. Es ist gut, dass diese Proteste von so vielen getragen wurden und sich friedlich manifestierten – da, wo sie nötig und effektiv waren. Die Polizeistrategie, die Proteste zu behindern bzw. an entfernte Orte zu »verbannen«, war falsch. Wir sind uns einig: Demokratisches zivilgesellschaftliches Engagement muss ermöglicht, nicht ausgegrenzt werden.

Das gesamte Geschehen um die (leider traditionelle) Dezember-Demonstration von Neonazis in Berlin beschäftigt seit Wochen eine Vielzahl von Aktiven in unserer Partei, im Umfeld unserer Partei und natürlich in vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Zusammenschlüssen. Auch wir waren als politisch Handelnde auf Bezirks- und Landesebene an diesen Verhandlungsprozessen, den Protesten selbst und deren Auswertung beteiligt. Da wir in letzter Zeit einige Anfragen zur Medienberichterstattung erhalten haben, möchten wir unsere aktuelle gemeinsame Einschätzung kurz darstellen.

1. Im Vorfeld: Polizei versucht, zivilgesellschaftliche Akteure rauszuhalten

Bereits im November haben wir kritisiert, dass die Gespräche zwischen Polizei/Versammlungsbehörde und Anmeldern von Gegenkundgebungen von Anfang an durch eine völlig intransparentes und teilweise irreführendes Verhalten der Behörden geprägt waren. So wurde in einer Unterredung am 5. November den zivilgesellschaftlichen Anmeldern suggeriert, dass der Versammlungsort der neonazistischen Demonstration noch nicht festläge. Als daraufhin vorsorgliche Gegenkundgebungen im Bezirk Lichtenberg angemeldet wurde, wurde jedoch behauptet, dass eine Anmeldung einer Neonazi-Demonstration in Lichtenberg bereits im August 2008 erfolgt sei. Dass solche Manöver das Gegenteil von vertrauensbildenden Maßnahmen sind, musste der Polizei klar sein – zumal wir es auch deutlich gesagt haben.

Um trotzdem noch eine bestmögliche Kooperation von Zivilgesellschaft und Polizei zu erreichen, haben wir uns über Wochen um Absprachen mit der Polizei und dem Innensenator bemüht. Die Kommunikationsbereitschaft von deren Seite blieb allerdings – um es vorsichtig zu sagen – völlig unzureichend. Der offene Brief von Christina Emmrich an den Innensenator vom 4. Dezember war das richtige Zeichen, auf diesen Missstand hinzuweisen.

In der Auswertung der Ereignisse vom 6. Dezember haben wir sowohl auf Landes- als auch auf Bezirksebene deutlich gemacht, dass der Polizeieinsatz vor Ort in vielfacher Hinsicht zu kritisieren ist. Sowohl im direkten Gespräch mit dem Innensenator als auch in der Sitzung des Innen-Ausschusses des Abgeordnetenhauses am 8. Dezember haben wir das falsche Vorgehen der Polizei an Tatbeständen, die wir selbst erlebt haben, oder die von anderen Anwesenden dokumentiert worden sind, thematisiert. Hier ist zu bemerken, dass es eine Vielzahl von Stimmen aus der Landes- und Bezirks-SPD gab und gibt, die eine mit uns übereinstimmende Kritik äußerten.

2. Demonstration und Protest am 6. Dezember: Polizei versucht, Protest klein und fern zu halten

Nach der Kommunikationsverweigerung seitens der Polizei im Vorfeld des 6. Dezember musste damit gerechnet werden, dass auch am Versammlungstag die Polizei versuchen würde, alleiniger Herr des Verfahrens zu sein und dies durch massiven Einsatz von Polizeikräften sicher zu stellen. Die Ergebnisse dieser »Einsatzstrategie« ließen sich dann den ganzen Tag beobachten. Bereits bei der Ankunft am S-Bahnhof Karlshorst wurden (durch Bundespolizei) unbegründete und massenhafte Platzverweise ausgesprochen. Der Zugang zur Matinee-Veranstaltung im Kulturhaus Karlshorst wurde durch flächendeckende und weiträumige Absperrungen den Besuchern (darunter auch vielen älteren Bürgern) unnötig erschwert oder gänzlich verwehrt.

Auch das polizeiliche Verhalten im Verlauf der Route wurde und wird von uns kritisiert. Dabei haben wir nicht nur den teilweise überzogenen Gewalteinsatz bei der Räumung von Sitzblockierern angesprochen, sondern auch die Situation nach der Auflösung der zweiten Blockade, als der Neonazi-Zug durch Spaliere abgedrängter Protestierender geführt wurde und Versuche von Gewalttaten der Neonazis nur mit äußerster Mühe unterbunden werden konnten.

Dass letztlich, also nach Räumung dreier Sitzblockaden, der Neonazi-Aufzug seine geplante Route durch den Weitlingkiez nicht nehmen konnte, begrüßen wir als Erfolg aller beteiligten Demokratinnnen und Demokraten, die sich beharrlich und in großer Zahl den Ewiggestrigen in den Weg gestellt haben. Dass sich breiter Protest gegen einen Marsch durch den Weitlingkiez bilden würde, war absehbar. Dies hat auch Christina Emmerich weit vor dem 6. Dezember deutlich gemacht und die Polizei gebeten, entsprechende Auflagen an die Neonazi-Versammlung zu prüfen. So hätten Gefährdungen einzelner, das Räumen von Sitzblockaden, bis hin zu unbegründeten Wasserwerfer-Einsätzen, von vornherein verhindert werden können.

Um zu untermauern, welche Effekte das polizeiliche Vorgehen am 6. Dezember hatte und wie breit die Kritik daran ist, bitten wir alle, die Kritik am Polizeieinsatz bzw. Beschwerden über konkretes Verhalten von Polizisten haben, dies schriftlich oder audiovisuell zu dokumentieren und dem Polizeipräsidenten und uns zukommen zu lassen.

Die Gefährdeeinschätzung der Polizei war davon geprägt, dass der bunte und ganz überwiegend friedliche Bürgerprotest als gewaltbereit stigmatisiert worden ist und deshalb so weit wie möglich abgedrängt werden sollte. Die so begründete Nicht-Zulassung der Protest-Kundgebungen in Sicht- und Hörweite der Neonaziversammlung halten wir aus zwei Gründen für falsch. Erstens wurde dadurch das grundgesetzlich garantierte Versammlungsrecht der Gegendemonstranten stärker als zulässig beschnitten, und zweitens wurden dadurch Aktionen provoziert, die die Sicherheit vieler Beteiligten aufs Spiel setzten.

Die Begründung der Auflage für die Neonazis, nicht durch den Weitlingkiez marschieren zu dürfen, kann selbstverständlich nur durch Abwägung von Grundrechten erfolgen (z.B. die Sicherheit für Leib und Leben ist nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln zu gewährleisten, die Grundrechte Dritter – z.B. Teilnehmer anderer Versammlungen – werden unverhältnismäßig eingeschränkt), die versammlungsrechtlich belastbar sind. Wie die Blockade am 8. Mai 2005 gezeigt hat, ist dabei auch die Quantität des zivilgesellschaftlichen Protests ein zentraler Faktor.

3. Was folgt?: Ernstnehmen der Zivilgesellschaft, keine Kriminalisierung von Protest

Dass inzwischen der Einsatzführer der Polizei, Hr. Knape, von sich aus auf Christina Emmerich zugegangen ist und sie zu einem Auswertungsgespräch eingeladen hat, begrüßen wir und sehen darin ein Zeichen, dass sich auch von Seiten der Polizei die Einsicht durchsetzt, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus und Neonazismus auf breites zivilgesellschaftliches Engagement angewiesen ist.

In Übereinstimmung mit unserem Koalitionspartner stehen wir weiter für polizeiliche Deeskalationskonzepte, die nur erfolgreich sein können, wenn die Kooperation mit der Zivilgesellschaft gesucht wird und Transparenz in der Vorbereitung gewährleistet ist.

Wir fordern die Einstellung der Ermittlungsverfahren gegen die Menschen, die sich friedlich den Neonazis in den Weg gestellt haben und deren Blockaden von der Polizei geräumt wurden. Insbesondere sind die Ankündigen der Polizei nicht haltbar, wonach Nötigungstatbestände vorgelegen haben sollen.

Quelle: www.die-linke-berlin.de