Bundesweite Mobilisierung zu verschwörungsideologischen Versammlungen um den 1. August nach Berlin

Zum 1. August 2021 mobilisiert das verschwörungsideologische, rechtsoffene Milieu der sog. Querdenker anlässlich des ersten Jahrestages ihrer Großdemonstration erneut bundesweit nach Berlin. Mit dem bereits zu Beginn des Jahres angekündigten Event unter dem Motto „Sommer der Freiheit“ versucht die Szene, Sympathisant_innen aus dem vergangenen Jahr zu reaktivieren und an frühere, mittlerweile aber ausbleibende Mobilisierungserfolge anzuknüpfen. In emotionaler Ansprache wird an die große Zahl von Teilnehmenden im vergangenen Jahr erinnert – mit dem Ziel, erneut eine Aufbruchsstimmung zu verbreiten. Am bekannten Narrativ einer vermeintlichen „Corona-Diktatur“ halten die Organisator_innen trotz weitreichender Lockerungen der Pandemiemaßnahmen fest und versuchen, nun vor allem über eine angeblich bevorstehende Impfpflicht Ängste zu schüren. Wie im vergangenen Jahr ist auch am kommenden Wochenende eine große Anzahl Teilnehmender zu erwarten. Dem heterogenen Protestmilieu der „Querdenker“ gehörten in der Vergangenheit regelmäßig rechtsextreme Akteure an; antisemitische, NS-verharmlosende und verschwörungsideologische Inhalte waren regelmäßig akzeptierter Teil der Proteste. (1) Auch am kommenden Wochenende ist wieder mit solchen Äußerungen zu rechnen, wenn auch vermutlich innerhalb eines deutlich kleineren Rahmens.

Neben verschiedenen Versammlungen am Freitag und Samstag im Vorfeld sind, wie schon im Vorjahr, für den 1. August als Hauptveranstaltung ein Aufzug durch die Berliner Innenstadt ab 11.30 Uhr sowie eine Kundgebung auf der Straße des 17. Juni ab 15.30 Uhr angekündigt. Einen Überblick über alle Veranstaltungen und Aufzugstrecken sowie über Möglichkeiten für Gegenprotest bietet unser Schwesterprojekt Berlin gegen Nazis.


Mobilisierung

Anders als im Vorjahr lässt sich in diesem Jahr kaum eine Mobilisierung über das „Querdenker“-Milieu hinaus erkennen, dieses Milieu selbst wirbt jedoch äußert intensiv und professionell für den 1. August. Im Juni begann eine Social-Media-Kampagne, in der unter anderem nahezu täglich Szene-Prominenz in kurzen Videoclips mit Bezug auf die „Erfolge“ im vergangenen Jahr für das erste Augustwochenende wirbt. Unter den Aufrufenden befinden sich erneut bekannte und reichweitenstarke „Bewegungsunternehmer“, die mit verschwörungsideologischen Aktivitäten und Videos ihren Lebensunterhalt bestreiten, sowie rechtsoffene und rechtsextreme „Alternativmedien“. Die Zusammenarbeit mit diesen „Alternativmedien“ scheint zur Selbstverständlichkeit geworden zu sein. Ergänzend zu den Onlineaktivitäten war eine deutschlandweite Mobilisierungstour mit acht Bussen geplant, die in der Woche vor dem 1. August in verschiedenen Städten Kundgebungen durchführen sollten. Diese Tour findet zurzeit jedoch deutlich reduziert mit nur einem Bus und geringer Beteiligung an unterschiedlichen Orten statt. (2) Am 30. Juli soll dieser Bus in Berlin ankommen.

Ob die jüngsten Aktivitäten des verschwörungsideologischen Milieus in den von der Flutkatastrophe betroffenen Gebieten der Mobilisierung zuträglich sind oder ihr eher schaden, lässt sich nur schwer vorhersagen. Unterschiedliche Akteur_innen versuchten, sich direkt nach dem Hochwasser als Helfende zu inszenieren und instrumentalisierten das Unglück und die Betroffenen für ihre Zwecke. Nach der öffentlichen Kritik daran (3) scheinen diese Aktivitäten jedoch für einen Teil des Spektrums unattraktiv geworden zu sein; einige der Akteur_innen sind jedenfalls inzwischen wieder abgereist. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass ein Großteil des Milieus, statt am 1. August nach Berlin zu kommen, weiter im Katastrophengebiet bleibt. Ebenfalls nicht abschließend beurteilen lässt sich, inwiefern diese durchsichtige Instrumentalisierung des Leids auf potentielle Sympathisant_innen abschreckend gewirkt hat. Zumindest gelang es, medial Präsenz zu zeigen. Zu der am vergangenen Samstag als Auftakt des „Sommer der Freiheit“ ausgegebenen Kundgebung in Kassel konnten jedenfalls kaum Teilnehmende mobilisiert werden. Querdenken711 bewarb diesen Termin als Treffen, um sich auf Berlin vorzubereiten. (4)

Allerdings sind solche Versammlungen nur schwache Indikatoren. Sie zeigen zwar eine in dem Milieu vorherrschende „Demonstrationsmüdigkeit“, sind jedoch auch deutlich weniger intensiv und emotionalisiert beworben worden als das Augustwochenende in Berlin, für das neben der Teilnehmendenzahl des vergangenen Jahrs auch der Happening-Charakter sowie der „Auftakt für einen politischen Frühling“ beschworen wird. Großen Wert scheinen die Organisator_innen zudem auf Internationalität zu legen: Es wurden Redner_innen aus Großbritannien und Israel angekündigt sowie Flugblätter in verschiedenen Sprachen auf der Homepage angeboten. Hinweise auf größere Gruppen aus dem Ausland scheint es bisher aber nicht zu geben. Laut Ankündigung eines Organisators von „Querdenken711“ soll der Gründer der rechtspopulistischen und islamfeindlichen Partei „Die Freiheit“ am 1. August als Moderator fungieren.

Im rechtsextremen Milieu wird bislang nur vereinzelt für den 1. August geworben. Für diese Kreise ist vielmehr eine Mobilisierung in die Gebiete der Flutkatastrophe feststellbar. Die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ bewirbt für das Wochenende einen eigenen Aufmarsch in Österreich. Rechtsextreme aus dem heterogenen Milieu der „Reichsbürger“ kritisieren „Querdenken“ teilweise als „gesteuerte Opposition“ und ihre führenden Mitglieder als „Freimaurer“. Dennoch muss am kommenden Wochenende mit einer nicht geringen Zahl von Teilnehmenden aus diesen Spektren gerechnet werden, auch wenn die Teilnahme wohl kleiner ausfallen wird als im Vorjahr.

Generell lässt sich in diesem Jahr eine geringere Dynamik in der Mobilisierung feststellen. Für Busanreisen, die aus deutlich weniger Abfahrtsorten angeboten werden als im Vorjahr, verweisen die Organisator_innen auf ein Busunternehmen, das auch diverse rechtsextreme Veranstaltungen bewirbt und als buchbares Reiseziel anbietet. Insgesamt dürfte die langfristige und intensivierte Mobilisierung jedoch ihr Ziel nicht gänzlich verfehlen: Es ist mit einer vierstelligen Anzahl an Teilnehmenden zu rechnen.


Gefahrenpotential

Die angekündigten Versammlungen haben durch die hohe Aggressivität vieler Teilnehmender ein Gefahrenpotential. So war bei größeren Events aus dem „Querdenker“-Milieu in der Vergangenheit regelmäßig eine hohe Grundaggressivität feststellbar. Mehrfach kam es auch zu Ausschreitungen. (5) Auch am Wochenende ist eine mögliche Beteiligung von gewaltbefürwortenden und gewaltsuchenden Rechtsextremen, aber auch von radikalisierten Verschwörungsgläubigen nicht unwahrscheinlich. Das Potenzial rechtsextremer Gewalttäter_innen in Kombination mit der massiven Umsturz-Rhetorik in Reden aus dem „Querdenker“-Milieu sowie dem Selbstverständnis vieler Teilnehmender, sich im Kampf gegen eine Diktatur zu befinden, birgt für Personen, die als Feinde ausgemacht werden, die Gefahr von Anfeindungen und gewalttätigen Übergriffen im Umfeld der Veranstaltungen.

Über geplante Gegenproteste informiert unser Partnerprojekt Berlin gegen Nazis.

(Stand 28. Juli 2021)

(1) Vgl. frühere Einschätzungen der MBR Berlin zu Versammlungen aus diesem Spektrum, zu den verschwörungsideologischen Versammlungen in Berlin am Pfingstwochendende 2021 und der Querdenken-Mobilisierung für das erste Augustwochende 2020.

(2) https://www.mz.de/lokal/wittenberg/bundesweit-bekannte-querdenker-sprechen-in-wittenberg-3210971

(3) https://www.tagesschau.de/inland/hochwasserkatastrophe-querdenker-101.html

(4) https://www.tagesspiegel.de/politik/von-merkels-hinrichtung-fabuliert-querdenker-wollten-in-kassel-unruhe-stiften/27450518.html

(5) Unter anderem am 7. November in Leipzig: https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/leipzig-querdenken-demo-eskaliert-dank-einer-gerichtsentscheidung-a-547a5905-7887-451d-a4d7-78579cd5eab7; am 18. November in Berlin https://www.tagesspiegel.de/berlin/proteste-gegen-corona-politik-in-berlin-tritt-gegen-kopf-arm-ausgekugelt-hand-gebrochen-drei-polizisten-schwer-verletzt/26633970.html; am 20. März in Kassel: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-kassel-demonstration-reaktionen-100.html; und am 21. April in Berlin https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/rechte-youtuber-afd-esoteriker-querdenker-protest-gegen-bundes-notbremse-ohne-maske-mit-gewalt/27118962.html