Mut gegen rechte Gewalt-Portal (09.12.2006)

Zumindest zweieinhalb Stunden blockierte eine friedliche Allianz aus Anwohnern, Parteien und Antifa erfolgreich einen Aufzug von Rechtsextremisten mitten in einem Berliner Wohngebiet. Doch dann hatte die Polizei keine Lust auf Überstunden…

Berlin Treptow-Köpenick, am Mittag des 9.Dezembers 2006. Eigentlich schon seit 10 Uhr 30 wollten rechte Kameradschaftsmitglieder zeigen, dass sie rund um den S-Bahnhof Schöneweide Herr der Straße sind, aber zahlreiche Gegendemonstranten blockieren ihnen den Weg. 1000 Polizisten sind im Einsatz und lenken den Zug auf eine Ausweichroute.
Mitten in ein Wohngebiet.

Umringt von Schildern “Berlin gegen Nazis”, die das zuständige Berliner Bezirksamt in Zusammenarbeit mit der Berliner Mobilen Beratung gegen Rechts (mbr) aufgehängt hat, machen sich die kaum mehr als 100, großteils sehr junge Neonazis nun auf sehr viel engeren Nebenstraßen auf den Weg Richtung Rudow, einem Stadtteil von Berlin-Neukölln. Grinsend mit an der Spitze der Nazioffizierssohn und NPD-Chefhetzer Udo Voigt, der sich bewusst im Kreis der hier versammelten Kameradschaftsmitglieder zeigt, die zum Teil der inzwischen verbotenen Gruppe BASO angehören. Sie sind jetzt auch sichtbar zur Stütze der NPD geworden.

Doch schnell gerätder braune Zug ins Stocken. Beifall findet er nirgends. Bürger pfeifen, halten den rechten Mitläufern Luftballons mit der Aufschrift “Nein zu Neonazis” entgegen oder schwenken selbstgedruckte “Berlin ohne Nazis”-Fähnchen, ohne sich durch die massiv filmenden, fotografierenden und stinkefingerzeigenden Rechtsextremisten einschüchtern zu lassen.

Und dann, noch keine 400 Meter gelaufen, ist schon Schluss. Zumindest für zweieinhalb Stunden. Der Zug, der vorsorglich “bis 24 Uhr” angemeldet ist, um für ein “nationales Jugenheim” in Treptow-Köpenick zu demonstrieren, wie Voigt es nennt, wird mitten in einer Wohnstraße, der Hagedornstraße friedlich blockiert. Bürger mit Besen und Trillerpfeifen, Parteivertreter von SPD, Grünen, Linkspartei und friedlicher Antifa, haben die Wegstrecke versperrt

Eine Frau hält ein Plakat von Klaus Staeck mit dem Abbild von Skinheadhinterköpfen hoch mit der Aufschrift: “Herr, lass Hirn regnen auf diese Häupter”. Daneben tragen junge Leute ein selbstgemaltes Transparent mit dem Text: “Rechtsextreme – ihr Gesicht: Gewaltsamer Überfall gegen Musiker! Schwere Körperverletzung. Wir sagen ja zu einem überparteilichen Jugendzentrum. Aber von Demokraten!”.

Auch die Polizei zeigt lange Zeit mehr Sympathie mit den Gegendemonstranten. Als ein Journalist den blockierten Nazizug vor Pferdeäpfeln fotografiert, die die eingesetzte Polizeireiterstaffel hinterlassen hat, lacht in seinem Rücken ein Beamter: “Ein schönes Symbolbild!” Und in einem Hauseingang bedankt sich eine ältere Anwohnerin für den Polizeischutz vor den Neonazis und schimpft: “Was müssen diese Kinder für Eltern haben, die denen so viel Müll erzählen. Die sind doch verkantet im Kopf! Wenn die so viel schlimmes erlebt hätten wie ich in dem Dritten Reich, von dem die so schwärmen – ich hab’ dabei gestanden, als ein Nazioffizier ein vor Hunger schreiendes Kind im Kinderwagen einfach erschoss”.

Während die Nazis frustriert weiter ihre Gegner ablichten, winkt ihnen die Antifa scherzend mit einer la-ola-Welle. Auf deren “Nie wieder Deutschland!”-Rufe (damit ist das Deutschland gemeint, das die Nazis wieder wollen in den Grenzen des Dritten Reichs), skandieren einige Rechtsextremisten im Gegenzug: “Nie wieder Israel!”. Ein NPD-Bezirksverordneter ergreift das Mikrofon und wettert: “Heute halten uns die Linken auf. Aber wenn unsere Zeit gekommen ist, werden wir die Linken aufhalten – für immer!” Die Polizei hört weg und rechnet offensichtlich nach, was nun Überstunden kosten würden.

Das mag der Grund sein, weshalb sie plötzlich hart durchgreift – zumindest gegen die nach über zwei Stunden noch immer ausharrenden rund 80 Sitzblockierer. Juristisch muss ein anderer Grund herhalten: Die Zahl der Blockierer war etwas abgeebbt, nun wiegen juristisch die verbliebenen 100 Neonazis mehr. Um 14 Uhr 30 fängt die Polizei, die Gegendemonstranten von der Straße zu zerren, selbst, wenn die nur auf dem Bürgersteig sitzen. Aber sie nimmt sie nicht fest. “1 km Platzverweis” erteilt sie stattdessen den engagierten Antifaschisten. “Aber warum schicken die denn die Nazis nicht wieder zurück?” klagt eine Anwohnerin.

Als Antwort seufzt eine Polizistin: “So was blödes, jetzt sind wir wieder die Sündenböcke” und ein Beamter, den ein aufgebrachter Bürger zur Rede stellen will, raunzt zurück: “Ich kann doch auch nichts dafür, aber wer den Befehl jetzt nicht ausführt, kriegt doch ne’ Abmahnung!” Auf diese Weise ermutigt, setzen die Neonazis jubelnd ihren Zug durch die Hagedornstraße fort – vornean tragen sie nun ein Transparent “Schafft Platz der Deutschen Jugend”. Danke Polizei hätte auch drauf stehen können.

Damit die erklärten Antidemokraten aus dem NPD-Umfeld nun ungestört ihr demokratisches Recht auf Demonstrationsfreiheit auskosten dürfen, keilen die Ordnungshüter die verbliebenen Gegendemonstranten noch eine ganze Weile ein, von denen kaum einer diese überraschende Form von Freiheitsberaubung verstehen kann. Am Ende bleibt ein Schild zurück, aufgespießt in einer Vorgartenhecke: “Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim Nazi ist das andersrum!” Um 15 Uhr 15 ist der Spuk vorbei, die Hagedornstraße wieder frei. “Wenn ich meinen Sebastian da drin entdeckt hätte, ich hätte den sofort rausgezogen”, meint eine Anwohnerin, während ihre Nachbarn grummeln, “was das wieder alles gekostet hat”. Aber alle sind erleichtert: Sebastian war nicht bei den Rechten dabei.

(Holger Kulick)

Zum Artikel bei mut-gegen-rechte-gewalt.de