Speziell in Berlin ist ein deutlicher Anstieg rechtsextremer Übergriffe zu verzeichnen, besonders gefährdet sind Jugendliche aus dem alternativen Milieu.
„Ein kleiner Zopf am Hinterkopf lässt Geißler moderat punkig wirken. Damit fällt er im Städtchen Loburg auf. In der Nacht zum Heiligabend brachen zwei Rechtsextremisten Geißler den Kiefer“. Matthias Geißler ist eines der Opfer, welches vom Dessauer Opferberater Marko Steckel beraten wird. Nach dessen Erfahrungswerten werden die Täter immer jünger und hemmungsloser und jedes zweite Opfer laufe Gefahr, noch einmal angegriffen zu werden. Im Raum Dessau sei 2005 ein Anstieg der registrierten rechtsextremistischen Delikte von 121 auf 240 zu verzeichnen. Diese Angaben korrelieren mit den Ergebnissen der aktuellen Statistik der neun ostdeutschen Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten. So belegt die diesjährige Statistik ebenfalls eine Zunahme rechtsextremer Angriffe. Den Angaben aller Opferberatungsstellen zufolge ist in Berlin die Anzahl rechtsmotivierter Übergriffe verglichen zum Vorjahr sogar um fast ein Zweifaches gestiegen. Lagen im Jahr 2004 noch 54 Gewalttaten vor, stieg die Zahl der Fälle 2005 auf 103 und grenzt sich damit deutlich von der niedrigeren Zuwachsrate innerhalb der restlichen ostdeutschen Bundesländer ab.
Insgesamt nahmen die Opferberatungsstellen im Jahr 2005 Kenntnis von 614 rechtsmotivierten Gewalttaten, 63 Angriffe mehr als im Vorjahr. Die Beratungsstellen sprechen von mindestens 910 Betroffenen, wobei es sich in 300 Fällen um junge Menschen des linken und alternativen Milieus handelt. Im Gegenzug dazu wird die Zahl der rassistisch motivierten Übergriffe auf 182 beziffert. Ins Auge fällt demnach der Trend, dass insbesondere Gewalttaten gegen junge Menschen aus dem linken und alternativen Milieu zunehmen. Mit nahezu 90 Prozent der Straftaten dominieren ganz klar Körperverletzungsdelikte.
Brennpunkte rechtsextremer Gewalt
Die meisten Übergriffe wurden in Sachsen (154) verübt, gefolgt von Sachsen-Anhalt (129) und schließlich Brandenburg (128). Brennpunkt rechtsextremer Gewalttaten in Sachsen bleibt nach wie vor die Sächsische Schweiz. In Sachsen-Anhalt sticht die Harzregion hervor und in Brandenburg nimmt Potsdam mit 22 Angriffen eine herausragende Rolle ein.
Die in Berlin zu verzeichnende Zunahme rechtsmotivierter Straftaten wird hauptsächlich auf den Anstieg von Übergriffen in den Bezirken Treptow-Köpenick und Friedrichshain zurückgeführt. „Eine Gruppe von etwa 15 schwarz gekleideten Vermummten stürmt um eine Straßenecke und prügelt ohne ersichtlichen Grund mit Teleskopschlagstöcken und Flaschen auf zwei junge Männer ein. So schnell sie gekommen sind, so schnell sind die Schläger auch wieder weg“. Diese Szene aus dem linken Szene-Bezirk Friedrichshain , wird in der TAZ vom 17.03.2006 festgehalten. Der Polizei lägen keine Hinweise auf politische Hintergründe der Straftaten vor. Stattdessen sprechen die Beamten lieber von ‚Gewalt unter Jugendgruppen’.
Bianca Klose von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus in Berlin (MBR) stellt dem entgegen, dass es kein Zufall sein könne, „dass die Opfer der Übergriffe stets vom Aussehen her als links einzuordnende Menschen seien“. Darüber hinaus spreche das offenbar gut geplante Vorgehen der Täter gegen einen Fall von herkömmlicher Jugendgewalt. Eben diese Entwicklung wird in der veröffentlichten Statistik der Beratungsstellen konstatiert: Während es sich in den überwiegenden Anzahl von rechtsextremistisch motivierten Delikten um spontane Taten handele, stünden in den Schwerpunktgebieten Treptow-Köpenick und Friedrichshain vermehrt organisierte Gewalttaten auf der Tagesordnung. Diese Tendenz wird einer zunehmenden Strukturierung der rechten Szene zugeschrieben.
Ein Drittel der Opfer MigrantInnen, Aussiedler und Flüchtlinge
Betrachtet man die Zahlen die Beratungsfälle muss darüber hinaus aus geschlechtsspezifischer Perspektive betont werden, dass von insgesamt 794 beratenen Opfern die Ziffer der betroffenen Frauen (118) deutlich unter der Zahl der beratenen Männer (675) liegt. Bei ungefähr einem Drittel der KlientInnen handelt es sich um MigrantInnen, AussiedlerInnen und Flüchtlinge, welche damit die beratenen Opfergruppen zahlenmäßig anführen. Diese Übergriffe erfolgten überwiegend aus rassistischen Motiven. In der Statistik der beratenen Opfergruppen ragt ebenfalls die Gruppe der Jugendlichen aus dem linken und alternativen Milieu heraus.
Abschließend ist hervorzuheben, dass die veröffentlichten Daten lediglich einen Trend abbilden und von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Insbesondere in Thüringen müssen höhere Zahlen angenommen werden, da die Beratungsstellen durch eine geringere personelle Ausstattung nicht in gleicher Intensität operieren können und die Daten dementsprechend verzerrt sind.
In den alten Bundesländern existieren keine vergleichbaren Opferberatungsstellen. Zieht man die zeitgleich veröffentlichten Daten der offiziellen Bundesstatistik in die Betrachtung mit ein, wird ersichtlich, dass dieser Trend bundesweit auszumachen ist und der Anstieg rechtsextremer Übergriffe eine gesamtdeutsche Herausforderung ist.
(Zusammengestellt von Heike Böttcher)