Luigi M. vom Restaurant „Bella Mare“ in der Weitlingstraße in Berlin-Lichtenberg kratzt sich den Kopf. Nein, mit Rechtsradikalen habe er bislang keine Probleme gehabt. Bei ihm werde jeder Gast bedient, egal, welche Hautfarbe er hat. Aber dass vor kurzem nur wenige Meter vor seinem Lokal der kurdischstämmige Linkspolitiker Giyasettin Sayan von zwei rechtsextremen Schlägern, die „Scheiß Türke“ brüllten, zusammengeschlagen wurde, macht ihn wütend und besorgt.
Wie viele in der Weitlingstraße kennt er den dunkelhaarigen Abgeordneten, der migrationspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist und sich gegen den Rechtsextremismus engagiert. Vor acht Jahren hat der studierte Politologe und Sozialarbeiter mit dazu beigetragen, dass das Cafe „Germania“, ein bekannter Treff von Rechtsextremisten in Lichtenberg, geschlossen wurde.
Nach dem Überfall auf Sayan wehrt sich Berlin gegen den Vorwurf, rassistisch zu sein. Die Polizei hat ihre Präsenz in der Gegend um den Ost-Berliner Weitlings-Kiez und den Bahnhof Lichtenberg noch einmal verstärkt. Nicht ohne Erfolg. So hat eine Zivilstreife auf dem Bahnhof den 14-jährigen Steven R. festgenommen. Der Junge hatte aus einer Gruppe heraus den Hitler-Gruß gezeigt, als ein Mann, vermutlich ein Türke, vorbei ging. Bei dem Jungen wurde ein Butterflymesser gefunden. Auf dem Display seines Handys war ein Hakenkreuz zu sehen.
Es könne schon passieren, dass angetrunkene Rechtsradikale, so Hausmeister Peter Klawitter aus einer Nebenstraße der Weitling, nachts Nazilieder grölten. Manchmal mache die Polizei dem Treiben rasch ein Ende. Manchmal nicht. Kneipen wie die „Kiste“ gelten als Treffpunkt von Rechtsextremen.
Und die Wirtin der „Bauernstube“, die mit „Deutscher Küche“ wirbt, kommentierte die Ereignisse in der Straße so: „Linke Zecken haben bei uns nichts verloren.“ Dunkelhäutige sollten sich dort spät abends tunlichst nicht blicken lassen, meint der Hausmeister. Für den Abend ist eine Demonstration in der Weitlingstraße vorgesehen. Die „Antifa Hohenschönhausen/Lichtenberg“ ruft auf, gegen „Rassismus und Rechtsextremismus“ auf die Straße zu gehen.
Berlins Innensenator Erhart Körting (SPD) hält die Warnung vor bestimmten gefährlichen Stadtteilen, die dunkelhäutige Ausländer nicht betreten sollten, für falsch. „Wir müssen nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass es in Berlin regionale Unterschiede gibt. Aber ich bin gegen eine Warnung vor diesen Gebieten.“ Zuvor hatte er mit dem Afrika-Rat gesprochen und diesen Zusammenschluss von rund 20 afrikanischen Vereinen in Deutschland überzeugen können, keinen Atlas von „No-go-Areas“ heraus zu geben.
Englische Berlin-Reiseführer, wie etwa „Time Out“, warnen längst vor bestimmten Orten, etwa den Bahnhöfen Lichtenberg und Schöneweide oder der Haltestelle der Straßenbahn M 10 in Friedrichshain. „Vermeiden Sie die östlichen Vororte, wenn sie homosexuell oder nicht-deutsch aussehen“, warnt der Reiseführer. Und Moctar Kamara vom Berliner Afrika-Rat meint, dass er und seine Freunde eine „innere Landkarte“ haben, die ihnen sage, wohin sie zu bestimmten Zeiten nicht gehen sollten.
Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten ist im Ostteil der Hauptstadt besonders hoch, wenn auch vergleichsweise geringer als im benachbarten Brandenburg. „Wir haben nicht tatenlos zugesehen, was in Ost-Berlin passiert“, sagt Körting und verweist auf die gezielten Polizei-Einsätze und permanenten Verfolgungsdruck gegen rechte Kameradschaften.
Nach Ansicht von Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus trägt die Mehrheitsbevölkerung mit einem fehlenden Problembewusstsein entscheidend zur Entstehung von „Angsträumen“ bei. Die Betroffenen empfänden nur dann Angst, wenn sie das Gefühl hätten, dass umstehende Zeugen im Falle von verbaler oder physischer Gewalt gegen Minderheiten nicht einschreiten würden. Das verbreitete Weggucken tue weh. Der Appell der Beraterin, die sonst in Schulen und Problembezirken unterwegs ist, lautet deshalb: „Wir müssen das Klima der Angst durchbrechen.“
Die Polizei ist gestern Nachmittag schon mit mehreren Einsatzwagen in der Weitlingstraße, bevor die Demonstration gegen Rechtsextremisten beginnt. Und der Italiener Luigi gibt auf alle Speisen 40 Prozent Rabatt.
(Reinhard Zweigler)