Es ist schwül. Die Vorgartenidylle in Heinersdorf, im Ostberliner Bezirk Pankow, wird in die dunkleren Farbtöne des frühen Abends getaucht. Für die Heinersdorfer Bürger das ideale Aufmarschwetter. Unaufhörlich strömen die Massen heran. In pinke Steppjacken oder beige Blousons gehüllt, aber auch in den landestypischen Jogginghosen und Hauspantoffeln geht es an diesem Donnerstag zum Volksfest. Heute heißt das Fest »Bürgerversammlung«. Die Bezirksverordnetenversammlung Pankow hat am Donnerstag voriger Woche eingeladen, um den Bürgern von Heinersdorf die Gelegenheit zu geben, mit Angehörigen der Ahmaddiyya-Muslim-Gemeinde und Politikern des Bezirks über den geplanten Neubau einer Moschee in Heinersdorf zu diskutieren. Die Versammlung wird begleitet von laufenden Fernsehkameras und einer behelmten Hundertschaft der Polizei.
Bereits am 9. März haben während einer Sitzung des Bauausschusses über 100 Bürger ihre Wut darüber zum Ausdruck gebracht, dass man sie nicht vorab über die Pläne zum Bau einer Moschee in dem Stadtteil informiert habe. In einem Flugblatt, das mit »betroffene Bürger« unterzeichnet war und an die 6000 Heinersdorfer verteilt wurde, hieß es, dass die höhere Arbeitslosigkeit unter den Muslimen »unser Hab und Gut gefährde«. Es rief unter dem Titel »Moschee im Dörfli nee!« zur Teilnahme an der Bürgerversammlung auf.
Bereits auf dem Weg zum Veranstaltungsort, der Turnhalle der Grundschule am Wasserturm, wird man mit der berüchtigten Berliner Schnauze konfrontiert. Auf die Frage, was hier eigentlich los sei, reagieren angespannte Rentner prompt: »Das ist eine Demonstration!« Jugendliche mit gefärbten Haaren bekennen: »Wir wollen hier keine Ausländer!« Eine halbe Stunde vor dem angekündigten Beginn der Veranstaltung platzt die Halle aus allen Nähten. Über 700 Leute sitzen und stehen auf engstem Raum beieinander. Niemand darf mehr rein. Der sichtlich verängstigte Vorsteher der BVV, Jens Holger Kirchner von den Grünen, versucht verzweifelt, die völlig aufgebrachten Leute vor der Halle zu beruhigen: »Ihr Anliegen wird heute live vom RBB übertragen!« Die Masse klatscht frenetisch, und dann buht sie wieder kollektiv, schließlich ist er ja einer der Politiker, von denen man sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen will. »Hauptsache, wir sind hier!« und »Wir lassen uns nicht über den Tisch ziehen!« rufen die Anwesenden. Die Versuche, den Eingang zu stürmen, sind augenscheinlich nicht dem Wissensdurst und dem Informationsbedarf geschuldet, sondern dem tief sitzenden Ressentiment gegen »die da oben« und die Ausländer.
In der Turnhalle kocht derweil die Stimmung schon auf einer höheren Flamme. Pöbeleien und Attacken wechseln sich ab mit wüsten Beschimpfungen von Türken, die »Frauen erschießen«, und mit Kommentaren von der Art: »Da muss man mit der Panzerfaust ran!« Die rund 50 anwesenden Neonazis, darunter auch der Vorsitzende der NPD in Pankow, Jörg Hähnel, lachen sich ins Fäustchen und halten sich gegenseitig den erhobenen Daumen entgegen. Draußen stehen sie in einer Gruppe und feixen: »Hast du das gesehen? Die Bürger, ey. Respekt!« Vor der Versammlung war es der evangelische Pfarrer Kaehler, der die Stimmung gegen die muslimische Gemeinde angeheizt hatte. Im Saal pöbelt René Stadtkewitz (CDU), Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, am lautesten.
Nachdem die Polizei alle Anwesenden gebeten hat, den Saal zu verlassen, weil die Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden könne, skandiert die Menge kollektiv: »Wir sind das Volk!« Auch die draußen Stehenden strecken die rechte Faust und stimmen in den Chor mit ein. Währenddessen eskortiert die Polizei die Mitglieder der Ahmaddiyya-Gemeinde durch die Menge hindurch in andere Räume der Schule. Die Leute rufen: »Haut ab! Haut ab!«
»Denen haben wir’s aber gezeigt!« kommentieren die Bürger und verlassen mit einem zufriedenen Lächeln das Gelände. Diejenigen, die vorgeben, wirklich diskutieren zu wollen, sind empört über die Politiker und fühlen sich »verarscht«. Kirchner, der für die schlechte Organisation, die niedrigen Renten und die Toleranz gegenüber Kopftuchmuttis verantwortlich gemacht wird, erhält in dem Tumult eine Morddrohung. »Da herrschte Lynchstimmung!« sagt Annabelle Wolf von den Jusos-Nordost entsetzt. Auch Catharina Schmalstieg von der Mobilen Beratung gegen Rechts ist völlig fassungslos: »Ich kenne ja die Argumente. Aber so etwas habe ich noch nie erlebt!«
Am Samstag marschieren dann unter dem Motto »Nein zur Moschee« rund 100 Neonazis durch Pankow. Begonnen wird am Bahnhof Wollankstraße, wo früher die Mauer verlief. »Der Osten wird sich nicht so entwickeln wie der Westen, wo Lehrer und Polizisten vor den Migranten kapitulieren«, verspricht Hähnel während seiner Rede. Zwar seien die Angriffe der Türken auf Europa in den Jahren 1529 und 1683 noch erfolgreich zurückgeschlagen worden. Doch ihr derzeitiger Angriff sei bisher der schwerste: »Heute Kreuzberg! Morgen die ganze Welt.« Der »Migrant« zwinge die Frauen unter das Kopftuch und entfremde die deutsche Heimat, meint die NPD. Die Forderung könne deswegen nur noch lauten: »Mehmet, Ali, Mustafa, geht zurück nach Ankara!«
Von den Bürgern, von denen die meisten noch am Donnerstag bekundeten, an der Demonstration teilnehmen zu wollen, ist nichts zu sehen. Mit den Rechten will man dann doch nichts zu tun haben, aber mit dem, was »drüben« los ist, auch nicht. »Das Boot ist voll!« meint ein Bürger am Rande des Aufmarsches. Zwar sind keine Menschen zu sehen, die klatschen, aber die meisten Anwohner und Gewerbetreibenden machen auf Nachfrage keinen Hehl aus ihrer grundsätzlichen Zustimmung zu den Ansichten der Neonazis.
Über die Moschee redet niemand. Alle sprechen nur davon, dass jeder, der nicht Deutsch lernen wolle, hier nichts zu suchen habe, die Jugendkriminalität steige, das Stadtbild und die Bevölkerungsstruktur zerstört werde und die Grundstückspreise sänken. Dass diese in Pankow so niedrig sind, war übrigens ein Grund dafür, warum es die Ahmaddiyya-Gemeinde überhaupt in den Osten getrieben hat.
(Nada Kumrovec)