Der Tagesspiegel (09.09.2006)

Es gibt Menschen, die haben Glück im Leben. Fritz Lommatzsch zum Beispiel ist so einer. Er ist 18 Jahre alt und ein ziemlich hübscher Kerl, der Geld für modische Klamotten hat. Wenn er redet, wirkt er selbstbewusst, und nach dem Abitur will er mal Zahnmedizin studieren. Fritz Lommatzsch hat auch Freunde, und als es klingelt und die Schule aus ist, bleiben die Mädchen an seiner Seite und Jungs mit lässigen Langhaarfrisuren. Am 17. September wird der Gymnasiast wählen, zum ersten Mal in seinem Leben. Vielleicht FDP, sagt er. Wahrscheinlich aber NPD.

Es ist ein ungemütlicher Spätsommertag und im Allende-Viertel in Berlin-Köpenick geht nur auf die Straße, wer muss. Ein paar Rentner huschen hinüber zur Kaufhalle, vorbei an blau-weißen Plattenbauten, die mal zu den besseren Quartieren Ost-Berlins gehört haben. Früher haben hier etliche DDR-Funktionäre gewohnt, bei der Bundestagswahl hat die Linkspartei hier im Viertel fast 49 Prozent der Erststimmen geholt, und vor der alten Schule wacht noch wie einst die Büste des Chilenen Salvador Allende.

Allende, sagt Fritz Lommatzsch, das ist vorbei. Seine Schule heißt jetzt 11. Gymnasium, und manche hier verstehen das mit der Völkerfreundschaft etwas anders als die Eltern. „Gute Heimreise!“ hat die NPD auf ihre Plakate geschrieben, zu sehen sind da türkische Frauen, die schwere Taschen von dannen schleppen. „Die bringen’s auf den Punkt“, sagt Lommatzsch und lacht. Die etablierten Parteien, das sind für ihn lauter alte Leute, lasche Strukturen. Bei der NPD, meint er, ist da mehr los, „die machen viel Jugendarbeit und sponsern Computer für die Schulen“.

Nun könnte man Leute wie Fritz Lommatzsch belächeln, gäbe es nicht diese Prognose, die der NPD bei der Wahl in Berlin ungewöhnliche Ergebnisse vorhersagt. Laut Wahlinformationsdienst „election.de“ könnte es der Partei erstmals gelingen, in vier Bezirken über die Drei-Prozent-Hürde und in die Rathäuser zu kommen. Betroffen ist keineswegs nur der Osten, sondern neben Lichtenberg, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf auch der Westbezirk Neukölln.

Sollte es kommen, wie die Wahlforscher sagen, verdankt die NPD das wohl nicht nur der Tatsache, dass die rechten Parteien sich die Stadt untereinander aufgeteilt haben und nirgends gegeneinander antreten. Auch der Wahlkampf selbst hat eine neue, aggressivere Qualität. Diesmal setzt die NPD auf die Jugend: auf Aktivisten der Straße, Erstwähler und die Gruppe „U 18“, die Unter-18-Jährigen, die dieses Jahr zum ersten Mal ihr Kreuz machen dürfen.

Wer sich fragt, was eigentlich los ist in den Bezirken, in denen also angeblich mehr junge Leute denn je den braunen Truppen hinterherlaufen, der trifft auf eine Generation, die so alt ist wie die Wende und mit Rechtsextremismus groß geworden ist. Sehr gelassen, selbstverständlich reden viele über das Thema, so als ginge es nur um irgend so eine Partei, die man testen kann wie ein neues Getränk.

Kurz nach eins vor der Tür des 11. Gymnasiums, Fritz Lommatzsch steckt sich eine Zigarette an. Neben ihm steht ein Mädchen, das wohl SPD wählen wird, auf der anderen Seite eine, die mit den Grünen liebäugelt. Dann ist da noch einer mit einem fuchsroten Zopf, den man rein optisch eher ganz links einordnen würde. „Entweder NPD oder nichts“, sagt er, und keiner in der Runde zuckt auch nur mit der Wimper.

Nein, sagt Fritz Lommatzsch, hier muss man sich wegen Politik nicht zerstreiten, auch mit den Lehrern nicht, die bestimmt wissen, dass er „eher national“ eingestellt ist. Kritisiert haben sie ihn deshalb nicht, „wegen des Neutralitätsgebots“, glaubt er. Und seine Eltern, machen die keinen Ärger? „Überhaupt nicht.“ Der Vater ist Bauunternehmer, verdient gut und wählt CDU, gegen die Einstellung seines Sohnes hat er offenbar nichts. Schließlich wählen etliche in der Baubranche rechts, wegen der ganzen Ausländer.

Am S-Bahnhof Schöneweide und sehr aufrecht im Regen steht der Mann, den Fritz Lommatzsch wählen will. Eckart Bräuniger ist Landeschef der Berliner NPD, er kandidiert in Köpenick, jetzt wartet er mit einem Packen Zeitungen am Infostand. Die Gegend ist beliebt bei der rechten Szene, die hier vom Bier unter Kameraden bis zu einschlägigen Kleidern und Tattoos viele Annehmlichkeiten findet.

Der Wahlkampf der NPD allerdings fordert in Schöneweide den ganzen Mann. Blicklos hasten die Menschen an Eckart Bräuniger vorbei, winken ab, weichen aus, wollen nicht mit ihm reden. Eine Rentnerin steckt verstohlen sein Infoblatt ein, dann steht er wieder lange und wartet. Bräuniger hat heute einen Schlips an und man sieht dem stämmigen Weinhändler nicht gleich an, dass er Härteres gewohnt ist.

Der 34-Jährige war mal Söldner in Kroatien, soll gute Kontakte zur Rechtsrock-Szene haben und zum Neonazi- Netzwerk „Blood and Honour“. 2004 nahm die Polizei ihn bei Wehrsportübungen mit Waffen in Brandenburg fest, mit Jungs der militanten „Kameradschaft Nordland“. Bräuniger wird vom Verfassungsschutz dafür verantwortlich gemacht, dass die Berliner NPD sich Gruppen öffnet, von denen sie sich bisher distanzierte: gewaltbereite Kameradschaften, autonome Nationalisten, einschlägig vorbestrafte Schläger.

Die Ergebnisse dieser Verbrüderung sind jetzt täglich in Berlin zu besichtigen. Bei einem Straßenfest an der Rudower „Spinne“ griffen Rechte einen Stand der Linkspartei an und beschossen die Kandidaten mit Leuchtspurmunition. Wenige Tage später bauten sich zwei Dutzend Leute aus dem Umfeld der NPD bei einer Wahlkampfveranstaltung von Klaus Wowereit auf. Kurz darauf mischten sich 20 dunkel gekleidete Herren unter Jusos im bürgerlichen Lichterfelde. Sie pöbelten so lange, bis die Veranstaltung abgebrochen wurde.

„Wortergreifungsstrategie“ nennt Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus solche Auftritte, die oft systematisch abgefilmt und zur Schulung junger Aktivisten benutzt werden. „Es geht darum, Veranstaltungen politischer Gegner argumentativ zu entführen“, sagt sie. „Leider werden da gewisse Teilerfolge erzielt.“

Auch Verfassungsschützer beobachten, was sich rechts außen zusammenbraut. „Die Einschüchterung politischer Gegner durch das Androhen von Gewalt sowie gewalttätiges Verhalten gegenüber Polizeibeamten hat zugenommen“, sagt Birgitta Löns, die Sprecherin des Berliner Verfassungsschutzes. Wo rechte Grüppchen bisher konkurrierten, werden Bezirke oft gezielt vernetzt, etwa Köpenick und Rudow. Ins Visier geraten auch Mitglieder der verbotenen Kameradschaft „Berliner Alternative Süd-Ost“, die in legale Verbände einsickern. „Einige haben in Absprache mit der NPD die Jungen Nationaldemokraten Treptow-Köpenick, Neukölln und Nordost gegründet.“

Hinterm S-Bahnhof Schöneweide, wo Eckart Bräuniger an der Schlechtwetterfront kämpft, macht man kein Hehl daraus, dass bei der NPD jetzt derber zugepackt wird. Beim Handgemenge in Rudow seien die „Betroffenen“, also die Rechten, „erst beleidigt und dann angegriffen“ worden. Im Übrigen, meint der NPD-Chef, seien doch „auch bei den anderen Parteien Leute dabei, die mal straffällig geworden sind.“ Patrioten sind ihm immer willkommen, sagt er, „da ist es uns egal, wie weit wir den Bogen spannen.“

Es gibt Leute, die nicht ganz so begeistert von Bräunigers Erfolgen sind. Am Wahlstand der NPD steht ein älterer Herr mit mürrischem Gesicht. Der Regen hat sein Jackett durchweicht, die Schuhe sind nass, es ist kalt und wenig los. Klaus-Jürgen Menzel war mal NPD-Vize in Sachsen, jetzt hilft er in Berlin, auch wenn das hier nur ein Nebenkriegsschauplatz ist. „Wichtiger ist Schwerin, ein Flächenland“, murmelt er und meint die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern, wo die NPD womöglich in den Landtag kommt. Die Kameraden aus der Hauptstadt mit ihrem Sturm auf ein paar Rathäuser wirken daneben wie ärmliche Verwandte, vom Einzug ins Landesparlament träumt hier kaum einer. „Die Chancen sind gering“, sagt Menzel. „Berlin ist indifferent.“

Man könnte es auch anders ausdrücken. Im Jahr 17 nach dem Mauerfall haben sich in Berlin Strukturen gebildet, an denen rechte Parteien nicht ganz mühelos vorbeikommen.

Berlin-Marzahn, wieder Plattenbauten, wieder ein Bezirk, in dem die NPD mit viel Geld und Kleister um Jungwähler wirbt. Mittendrin steht die Döblin- Schule, ein schmuckloser Kasten, in dem wenig privilegierte Kinder unterrichtet werden. Viele hier sind von Geburt an lernbehindert, andere wurden vernachlässigt oder sind es noch. „Nur Außenseiter, Gangster und paar Normale“, sagt Sven, der in die 10. Klasse geht. Jetzt kniet er auf dem Boden eines Klassenzimmers und sortiert Karten, auf die komische Zeichen gedruckt sind.

Das Hakenkreuz legt er auf die rechte Seite, wo die rechtextremistischen Symbole hin sollen. Die Karte, auf der „Kameradschaften“ steht, legt er nach links. Nicht rechtsextremistisch, entscheidet er, Kameradschaft ist doch etwas Gutes. Die SS-Runen hat Sven noch nie gesehen, und das Logo der NPD schiebt er eine Weile hin und her, bis es neben dem Hakenkreuz landet.

Projektwoche gegen Rechtsextremismus heißt das, was sich hier abspielt, und es ist der Versuch, junge Leute aufzuklären, die zur Zielgruppe rechter Stimmenfänger gehören. Manche hier haben etwas Mühe, das Wort „Rechts- ex-tre-mis-mus“ auszusprechen. Kein Wunder, sagt Sven. „Bei uns hier heißt das nur Gewalt.“ Dass das eine mit dem anderen nicht identisch sein muss, das ist so eine Botschaft, die hier nicht nur den Schülern neu ist.

„Rechtsextreme, das sind auch für viele Lehrer nur die Schläger. Dass es schon vorher anfängt, auch bei der NPD, das ist manchmal schwierig zu vermitteln“, sagt Ricardo Taschke, der für die bezirkliche Koordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus arbeitet und die Projektwoche in der Döblin-Schule leitet. Taschke ist so ein Typ mit Zimmermannshosen und längeren Haaren, der einer ist von vielen Engagierten in Marzahn, die den Rechten den Wahltag vermasseln wollen.

Im Klassenzimmer werden Blätter verteilt, auf denen eine Art Stadtplan zu sehen ist. Eine Schule gibt es da, Wohnhäuser, eine Tankstelle. Die Schüler sollen ankreuzen, wo sie Erfahrungen mit Rechten gemacht haben. Steven macht fast überall Kreuze. In der Schule wurde einer als „Nigger“ beschimpft, erzählt er. Auf dem Spielplatz, „das ist ja normal, da lassen die Jugendlichen die Ausländer nicht Fußball spielen.“ An der Tankstelle haben Kunden Schwarze nicht tanken lassen. Am Treffpunkt haben sich Ausländer mit Deutschen geprügelt.

Dass Steven sieht, was viele nicht gesehen haben wollen, mag auch daran liegen, dass er zu denen gehört, die regelmäßig Schläge einstecken. Steven ist Deutscher wie seine Eltern, aber er ist klein und hat dunkle Augen, weshalb ihn manche „Fidschi“ nennen und angreifen. „Die denken, ich hab Zigaretten.“ Doch, sagt er, es ist ziemlich übel, auch in der Schule, „weil ich werde bedroht, wie in der Hofpause gerade.“

Es klingelt, die Pause ist aus, die Schüler setzen sich wieder. Irgendwann spielen sie dann wählen und schreiben auf, welcher Partei sie am ehesten vertrauen. Die meisten Stimmen gehen an die SPD, eine einzige an die CDU, keine an die NPD. Naja, sagt Sven, zwei Schüler fehlen ja leider heute. Es sind die beiden, die diese Fortbildung wahrscheinlich am allernötigsten hätten.

(Constanze von Bullion)

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