Unter dem Druck der Ereignisse – erinnert sei in diesem Zusammenhang an den Einzug der NPD in den Schweriner Landtag sowie der abermals drastische Anstieg rechtsextrem motivierter Gewalt in vielen Bundesländern – hat sich der Deutsche Bundestag im vergangenen Jahr für eine Fortsetzung dieses Programms ausgesprochen. Eine Weiterführung der Strukturprojekte war dabei im ersten Entwurf des BMFSFJ nicht vorgesehen. Nach öffentlichem Druck sollten dann aber doch zusätzliche 5 Millionen Euro für diese Arbeit bereitgestellt werden.
Am 31.01.2007 versandte der Staatssekretär im BMFSFJ, Gerd Hoofe, den Entwurf über zukünftige Rolle der Projekte an die Landesjugendbehörden. Kern des Entwurfs ist die „Einrichtung und Entwicklung von landesweiten Beratungsnetzwerken, aus denen anlassbezogen, unmittelbar und zeitlich befristet Mobile Kriseninterventionsteams gebildet werden“. Die Landesnetzwerke sollen von Landeskoordinatoren gesteuert werden.
Diese ministerielle Vorlage, die am 28. Februar 2007 mit den Ländern verabschiedet werden soll, stellt aus unserer Sicht keine Fortsetzung, sondern eine weitgehende Revision der bestehenden Strukturprojekte dar und bedroht abermals deren Existenz. An die Stelle eines längerfristigen, am Bedarf von Opfern und betroffenen Regionen orientierten und präventiven Ansatzes soll eine zeitlich befristete, kurzfristige Krisenintervention treten.
Wir wenden uns gegen dieses Umsteuern,
- weil es von falschen Annahmen über die Verankerung von rechtsextremen Orientierungen, Milieus und Akteuren in unserer Gesellschaft ausgeht. Rechtsextremismus ist leider an zahlreichen Orten zu einer Dauererscheinung geworden, die nicht erfolgreich durch Kurzzeitpädagogik und -beratung angegangen werden kann;
- weil es die dringend notwendige dauerhafte Unterstützung der Opfer rechtsextremer Gewalt gefährdet, die oft Jahre auf Gerichtsverhandlungen etc. warten müssen. Ein behutsamer Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen kann durch kurzzeitige Kriseninterventionen ohnehin nicht befördert werden;
- weil es die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung und den versammelten Sachverstand in diesem Feld ignoriert, wie zuletzt bei einer Anhörung des zuständigen Bundestagsausschusses im November 2006 deutlich wurde; und
- weil bislang relativ unabhängige zivilgesellschaftlich orientierte Einrichtungen nun unter das Dach oberster Bundes- bzw. Landesbehörden gebracht werden sollen und damit als Akteure einer unabhängigen Öffentlichkeit ausfallen, die gerade im Umgang mit einem oft aus durchsichtigen politischen Interessen verleugneten Rechtsextremismus so wichtig ist.
Eine ähnliche Verstaatlichung zivilgesellschaftlicher Ansätze hatten wir schon im letzten Herbst mit Blick auf den ersten Teil des Fortsetzungsprogramms beklagen müssen.
Daher unser Apell:
Rechtsextremismus effektiv entgegen treten – Nachhaltigkeit und Kontinuität zivilgesellschaftlicher Ansätze fördern.
Das neue Programm “Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobile Kriseninterventionsteams gegen Rechtsextremismus” des BMFSFJ setzt zur Bekämpfung von Rechtsextremismus lediglich auf kurzfristige Krisenintervention. Die langfristig arbeitenden Opferberatungsprojekte und “Mobilen Beratungsteams” sollen nach dem Willen des Ministeriums in dieses “Feuerwehr-Konzept” eingebunden werden. Mit diesem Ansatz ignoriert das BMFSJ die Empfehlungen der wissenschaftlichen Begleitung des CIVITAS-Programms und anderer WissenschaftlerInnen, bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus auf Nachhaltigkeit, Kontinuität und Langfristigkeit zu setzen und die entsprechenden Projekte dementsprechend zu fördern. Zudem kritisieren die UnterzeichnerInnen, dass wieder einmal die Opferberatungsprojekte und Mobilen Beratungsteams über die weitergehende Perspektive ihrer Arbeit im unklaren gelassen werden – auch im Hinblick auf die Finanzierung durch den Bund.
Rechtsextremismus in Deutschland ist ein dauerhaftes Problem. Wahlerfolge rechtsextremer Parteien, eine anhaltend hohe Zahl rassistisch motivierter Gewalttaten, fremdenfeindliche und antisemitische Einstellungen sind kein vorübergehendes “Phänomen”, sondern permanenter gesellschaftlicher Alltag. Um Rechtsextremismus effektiv entgegen zu treten gibt es keine Patentrezepte oder kurzfristige Lösungen. Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus als Teil der politischen Kultur in Deutschland lassen sich nur mit auf nachhaltigen zivilgesellschaftlichen und pädagogischen Interventionen eindämmen.
Im Rahmen des CIVITAS-Programms für Demokratie und gegen Rechtsextremismus, das Ende Juni 2007 auslaufen wird, sind mehrere neue und nachhaltige Interventionskonzepte wie die Beratung für Opfer rassistischer und rechtsextrem motivierter Gewalt, Mobile Beratungsteams und Netzwerkstellen entwickelt worden. Ihre langjährige Beratungs-, Beziehungs- und Interventionsarbeit hat Vertrauensverhältnisse entstehen lassen und soziales Kapital geschaffen.
Eine ausschließlich auf kurzfristige Krisenintervention setzende Förderpolitik greift in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus zu kurz und würde den langfristigen Beratungsansätzen der erfolgreich arbeitenden nachhaltigen Projekte kontraproduktiv entgegenstehen. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen die Beratungsteams in Zukunft eine Beratung ausschließlich an einer Krise bzw. an einem krisenhaften Anlass orientieren und mit einer zeitlichen Begrenzung von zwei bis drei Monaten durchführen können. Unter diesen Bedingungen werden die Betroffenen rechter Gewalt, aber auch diejenigen, die vor Ort nach Lösungen und Interventionen suchen und daran schon seit Jahren arbeiten, keine Unterstützung erhalten können. Noch viel weniger werden damit vor Ort Kompetenzen entwickelt, eigenständige Problemlösungsstrategien zu erarbeiten und zu verankern. Gleichzeitig sind die Opferberatungen und Mobilen Beratungsteams in ihrer Arbeit erheblich gefährdet, weil Bundesmittel künftig nur noch für die kurzfristige und konkrete Krisenintervention genutzt werden dürfen.
Im Rahmen der zurückliegenden, wie auch in den gegenwärtigen Programm der Bundesregierung wurden und werden bereits viele kurzfristige Maßnahmen bewilligt und durchgeführt. Um so wichtiger sind auf Dauer angelegten Projektformen. Wir fordern die Bundesregierung dringend auf, die bereits in der Vergangenheit kritisierten Mängel kurzfristig ausgerichteter Maßnahmen gegen Rechtsextremismus nicht durch ein ausschließlich auf Krisenintervention ausgerichtetes Konzept zu ergänzen. Die demokratischen Initiativen und Netzwerke benötigen keine Politik der Strohfeuer sondern eine Beratung im Alltag, die nicht wieder verschwindet, wenn das Schlimmste scheinbar vorbei ist.
Unterzeichner/innen (Stand 28.2.07):
Prof. Dr. Roland Roth, Hochschule Magdeburg-Stendal,
Prof. Dr. Werner Bergmann, Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin
Prof. Dr. Benno Hafeneger, Uni Marburg
Prof. Dr. Albert Scherr, Pädagogische Hochschule Freiburg
Prof. Dr. Bernd Simon, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Prof. Christoph Butterwegge, Universität zu Köln
Dr. Andreas Zick, Professur für Sozialpsychologie, Technische Universität Dresden
Prof. Dr. Richard Stoess, Freie Universitaet Berlin
Prof. Roland Eckert, Universität Trier
Prof. Dr. Heinz Kleger, Universität Potsdam
Prof. Dr. Franz Josef Krafeld, Fachhochschule Esslingen
Prof. Dr. Birgit Rommelspacher, Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin
Prof. Dr. Uwe Hirschfeld, Evangelische Hochschule Dresden
Prof. Dr. Titus Simon, Hochschule Magdeburg-Stendal
Kontakt: Prof. Dr. Roland Roth, Hochschule Magdeburg-Stendal, Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen, Breitscheidstr. 2, 39114 Magdeburg, email: roland.roth@hs-magdeburg.de, Tel. 0391/8864297 bzw. 030/8344381