Als sie ihre Karriere in der rechtsextremen Szene startete, konnte es für Tanja Privenau nicht radikal genug zugehen. Drogendealern wünschte die damals 13-Jährige die Todesstrafe, Juden die Vernichtung und dem politischen Feind den «Tag der Abrechnung». Vor allem aber faszinierte sie die klare Rollenteilung. «Echte Mannsbilder gab es dort noch. Der Mann an der Waffe, die Frau am Herd», erinnert sich die Aussteigerin.
25 Jahre später sind aus den Heimchen am Herd heimliche Herrinnen geworden. Innerhalb der Rechtsextremen sind die Neonazi-Frauen heute der soziale Kitt, ohne den praktisch nichts mehr läuft. Nach aussen unterwandern sie dabei gezielt andere soziale Gruppen wie etwa Jugendtreffs. Und weil die Frauen nicht grölen, sondern über den Gartenzaun hinweg plaudern, wirkt die rechte Szene weniger brutal. Statt den Springerstiefeln wird das Image poliert. In Wahrheit aber denken die Frauen nicht weniger radikal und schrecken auch vor Gewalt nicht zurück. 30 Prozent der Neumitgliedschaften in der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) sollen Frauen sein, ebenso viele wie bei den etablierten Parteien. Und der Ring Nationaler Frauen (RNF), eine NPD-Unterorganisation, buhlt offenbar noch erfolgreicher um Mitglieder: Ihre Zahl hat sich laut eigenen Angaben innerhalb eines Jahres auf rund 150 verfünffacht. Qualitativ gewinnen Frauen ebenfalls an Einfluss: Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass sie den Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren «ideologisch modernisiert» haben.
Mitläuferin, dann Funktionärin
Auch Privenau ist über die Jahre bis in die Kaderspitze gestürmt. Nachdem sie mit der Neonazi-Ideologie von Kindesbeinen an aufgewachsen war, wurde die heute 38-Jährige zunächst Mitglied in der später verbotenen Wiking-Jugend. In der Szene fand sie auch ihren ersten Freund. Als Jugendliche schloss sie sich der – ebenfalls später verbotenen – Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei an. Danach leitete sie Freie Kameradschaften und brachte den rechten Nachwuchs auf Linie.
Zunächst musste sich Privenau gegen die Vorherrschaft der Männer durchboxen. Erst nach etwa zehn Jahren wurde klar: Aus der Mitläuferin war eine Funktionärin geworden. «Ich habe viele Demonstrationen angemeldet und in Mecklenburg-Vorpommern die sogenannten national befreiten Zonen mit aufgebaut», bekennt die Ex-Neonazi-Frau. Wenn es zu Krawallen mit der Polizei kam, schleuderte auch sie Pflastersteine gegen den «politischen Feind». Andere Aussteigerinnen berichten, dass sie bei Gruppengewalt gegen Einzelne Schmiere gestanden, mit dem Handy gefilmt oder selbst zugeschlagen haben.
Von aussen ist indes meist schwer zu erkennen, bei wem das Herz rechts schlägt. Als die NPD kürzlich in ihrer Parteizentrale in Berlin-Köpenick eine Versammlung zum 1. Mai abhielt, betreuten Neonazi-Frauen die Hüpfburg auf dem Hinterhof und sorgten für Speis und Trank. Auf Plakaten wirbt der RNF für ein Muttergehalt. Mit Blusen und Röcken oder Hosenanzug wirken die rechtsextremen Frauen allenfalls konservativ und adrett. Auf der RNF-Website etwa zeigt sich die 60-jährige Edda Schmidt aus Baden-Württemberg artig in trachtenähnlicher Rüschenbluse an der PR-Front, die 47-jährige Katrin Köhler aus Chemnitz mit geflochtenen Zöpfen. Wahlweise setzen sie sich für Brauchtum oder Alleinerziehende ein.
Unauffälliges Doppelleben
Solche Frauen lassen sich auch gerne in Elternbeiräte wählen; hier können sie die Gesellschaft relativ ungestört formen, während sie für die Aussenwelt ein Doppelleben führen. Stella Palau etwa hielt sich nach ihrem Umzug ins brandenburgische Hohen-Neuendorf zunächst mit politischen Äusserungen zurück. Mutterrolle statt Strassenkampf lautet die Devise: An vorderster Front sprach sie in einem alternativen Familienzentrum lieber über Ernährung und Kindererziehung. Erst durch einen Zufall erfuhren die Verantwortlichen dort: Palau ist Mitglied im NPD-Bundesvorstand. Im Familienzentrum ist sie heute unerwünscht.
«Die Frauen sind weniger sichtbar als die Männer», sagt Esther Lehnert von der Mobilen Beratung Rechtsextremismus (MBR) in Berlin. Immer noch greife das gängige Vorurteil, Frauen seien friedfertiger. «So sind sie als Rechtsradikale schwerer zu erkennen: Sie wirken sehr nett und bürgerlich.» Ein Trugschluss: «Die Frauen sind meist ideologisch gefestigter», sagt Lehnert.
Behinderten Sohn misshandelt
Tanja Privenau hat vor vier Jahren mit ihren fünf Kindern mit Hilfe der Aussteiger-Organisation Exit dennoch den Absprung geschafft. Ihr geistig behinderter Sohn wurde in Ferienlagern der mittlerweile verbotenen «Heimattreuen Deutschen Jugend» eingesperrt, gefesselt und verprügelt. Zu Hause warf ihr Ehemann beim Streit auch schon mal den Tisch durch das Zimmer, erinnert sie sich. Er brach ihr mehrere Knochen, darunter das Steissbein. «Ich habe mich gefragt, ob ich das für meine Kinder will – und bin dann aufgewacht», sagt Privenau.
Doch gerade für die 25 Frauen unter den 300 Aussteigern, die Exit bisher betreut hat, ist die Kehrtwende besonders schwierig. Häufig kommt es bei Paaren mit Kindern zum Sorgerechtsstreit. Privenau erzählt, ihr Ex-Mann sei während der Scheidung von den rechten Kameraden finanziell unterstützt worden. Sie dagegen habe nicht einmal Prozesskostenhilfe beantragen können. Denn dann hätte sie ihre neue Identität offenlegen müssen. Geld sei aber auch für die Therapien der Kinder notwendig gewesen. «Ich kann es Frauen nicht empfehlen auszusteigen. Es ist sehr gefährlich», warnt Privenau. «Ich zweifle jeden Tag daran, ob es mir noch einmal möglich sein wird, ein normales Leben zu führen.»
(Fabian Löhe)