In der Nacht zum Mittwoch kam es in Berlin erneut zu Anschlägen von Neonazis. Gegen 0.30 Uhr warfen zwei Männer Pflastersteine auf das Büro der Bundestagsabgeordneten Halina Wawzyniak (LINKE) in Kreuzberg. Scheiben gingen zu Bruch. In Neukölln wurde das Fenster einer Privatwohnung eingeworfen, in dem ein Anti-Rechts-Plakat hing. Beide Vorfälle scheinen in Zusammenhang mit dem gewalttätig verlaufenen Aufmarschversuch von 110 Neonazis vom Sonnabend in Kreuzberg zu stehen. Denn rund um die Tatorte wurden NPD-Aufkleber entdeckt. Auch die zeitliche Nähe zu der Nazi-Aktion, bei der Migranten, Gegendemonstration und Polizisten von den Rechten angegriffen worden waren, deutet darauf hin. Von Wawzyniak war bekannt, dass sie am Sonnabend direkt vor Ort war.
Unklar blieb gestern, ob ein Brandanschlag auf Mülltonnen im Hof eines linken Hausprojektes in Kreuzberg ebenfalls von Rechten verübt wurde. In der Gegend kommt es nachts häufiger zu Vandalismus. Vor nicht allzu langer Zeit hatten aber auch in diesem Kiez Neonazis Graffitis gesprüht.
In einer ersten Stellungnahme erklärte Halina Wawzyniak, dass sie sich nicht von Nazis einschüchtern lassen werde. Die Innenpolitische Sprecherin der LINKEN im Abgeordnetenhaus, Marion Seelig, verurteilte den »feigen Angriff« auf das Büro.
»Es ist nicht das erste Mal, dass Rechtsextremisten auf Blockaden und Niederlagen bei Aufmärschen mit gewalttätigen Aktionen und Einschüchterungsversuchen reagieren«, sagt Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). Nach erfolgreichen Blockaden sei es immer wieder zu ähnlichen Einschüchterungsversuchen gekommen. Vor allem wären die nächtlichen Angriffe und das radikalere Gebaren aber eher Ausdruck der Schwäche als der Stärke der rechtsextremen Szene in Berlin. Was die Angriffe für die Betroffenen natürlich nicht weniger gefährlich mache. Insgesamt sei die rechte Szene in Berlin jedoch »übersichtlich«, so Klose. »Immer wieder sichtbar werden vor allem die sehr aktiven und militant auftretenden Personen, die je nach Anlass NPD oder das Autonome Nationalisten-Spektrum vertreten.« Wie auch Sebastian Schmidtke, der Landesvize der NPD ist, aber auch ein Internet-Portal betreibt, dass den Autonomen Nationalisten nahe steht. Er war es auch, der die gewalttätige Demonstration für die Autonomen Nationalisten anmeldete.
Ein erstes parlamentarisches Nachspiel hatte der Aufmarsch vom Wochenende unterdessen gestern im Verfassungsschutzausschuss. Die Opposition warf dem Senat dort vor, durch »bewusste Desinformation«, so der Abgeordnete Dirk Behrendt (Grüne), Migranten in Kreuzberg gefährdet zu haben. Die Polizei hatte im Vorfeld des Aufmarsches nicht einmal Journalisten Auskünfte zu der ausländerfeindlichen Aktion erteilt. Nur durch Zufall war überhaupt bekannt geworden, dass die Nazis in Kreuzberg marschieren wollen. Dabei wäre es naheliegend gewesen, die Anwohner zu warnen, kritisierte Behrendt.
Innenstaatssekretär Ulrich Freise räumte ein, dass der Einsatz »schiefgelaufen« sei. Künftig werde man eine andere Informationspolitik fahren, versprach er. Das Bestreben der 600 Polizisten, aber auch im Vorfeld sei es jedoch gewesen, linke und rechte Demonstranten zu trennen. Denn die Lageeinschätzung war, dass »bei einem direkten Aufeinandertreffen mit Beleidigungen bis hin zu körperlichen Auseinandersetzungen« zu rechnen sei.
Die Chefin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, erklärte, dass der Gewaltausbruch der Neonazis in Kreuzberg im Vorfeld nicht vorhersehbar gewesen wäre. »Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass geplant war, gewalttätige Bilder zu erzeugen«, sagte Schmid. Für die Zukunft sieht sie das nach diesem Wochenende jetzt allerdings anders: »Aus unserer Sicht ist mit weiteren Aktivitäten zu rechnen.«
Von Martin Kröger