Die Zahl der so genannten Autonomen Nationalisten hat sich im vorigen Jahr auf 400 Personen verdoppelt, sagt der Bundesverfassungschutz. Wer sind diese Leute?
Autonomer Nationalist zu sein ist eine relativ neue Form des Rechtsextremismus. Neu ist daran ist allerdings weniger die Ideologie – sondern vor allem das vermeintlich moderne Auftreten und die Art des politischen Handelns.
Die Autonomen Nationalisten tragen Klamotten, die eigentlich aus verschiedenen Jugendkulturen kommen, von der Hip-Hop bis zur Metal-Szene. Oder sie kopieren das linksautonome Outfit: schwarze Kleidung, Basecaps, Lederhandschuhe, Sonnenbrillen. Das soll (nach dem Vorbild der Linken) ein einheitliches, vielleicht auch ein martialisches Bild abgeben.
Auch in dem, was sie tun um ihre Ideologie durchzusetzen, orientieren sie sich an den Linksautonomen. Sie haben erkannt, dass beispielsweise symbolische Hausbesetzungen, das Auftreten in Schwarzen Blöcken auf Demonstrationen oder Gewalt gegen Polizisten bei der jugendlichen Klientel besser ankommen, als langweilige Parteiversammlungen oder Kameradschaftsabende.
Also ist das Phänomen vor allem eine Art Werbung um den Nachwuchs?
Nicht nur. Die Entstehung der Autonomen Nationalisten hat auch mit dem wachsenden Druck zu tun, den Verfassungsschutz und Polizei auf die organisierte rechtsextreme Szene ausüben.
Diese hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie in der Lage ist, relativ flexibel auf Verbote und juristische Verfolgung zu reagieren.Deshalb gründeten sich in den 90er Jahren – nachdem viele rechtsextreme Organisationen und Parteien verboten wurden – die so genannten Freien Kameradschaften. Letztere haben inzwischen aber wieder an Relevanz verloren, einige sind auch verboten worden, zum Beispiel in Berlin.
An ihrer Stelle sind jetzt vor allem autonome Formen der Organisation entstanden. In diese Strukturen kann der Staat kaum noch eingreifen, da sie sich im Prinzip aus einzelnen Personen zusammensetzen, die sich ganz konkret und anlaßbezogen für rechtsextrem motivierte Taten zusammenfinden. Das ist vor allem für das militante, gewaltbereite Spektrum interessant.
Und wie ist der äußere Wandel zu erklären?
Die Hinwendung zur Jugend ist ein Trend, den man in den vergangenen Jahren innerhalb der gesamten rechtsextremen Szene beobachten konnte. Die Neonazis haben erkannt, dass sie junge Sympatisanten dort abholen müssen, wo sie sich befinden, in den jeweiligen Jugendkulturen nämlich.
Sie glauben, mehr Jugendliche für sich begeistern zu können, wenn sie auch denjenigen Subkulturen, die ursprünglich vielleicht gar nicht rechtsextrem sind, Angebote unterbreiten.
So haben Jugendliche mit rechtsextremer Orientierung in allen Jugendkulturen die Möglichkeit, einem rechten Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen. Darum gibt es inzwischen ja auch diese umfangreiche Kulturindustrie, die jungen rechtsextrem orientierten Leuten in all ihren Lebenslagen das anbietet, was ihr Herz begehrt.
Viele dieser Angebote sind erst auf den zweiten Blick als rechtsextrem zu erkennen.
Zuerst muss deutlich gesagt werden: Jugendkulturen sind nicht per se resistent gegenüber alltagsrassistischen und rechtsextremen Ideologien. Warum sollte – beispielsweise – ein Gruftie nicht auch ein Alltagsrassist sein? Anknüpfungspunkt ist deshalb weniger der Nationalsozialismus als vielmehr das weit verbreitete Rassismus-Potential in unserer Gesellschaft. Hier docken die Rechtsextremisten an.
Aber natürlich muss immer eine gewisse Affinität zur Gewalt und zur rechtsextremen Ideologie vorhanden sein. Ohne ist das nicht möglich. Auch mit einem gewissen rebellenhaften Auftreten versuchen sie, Jugendliche stärker einzubinden: „Wir gegen den Staat, wir gegen die Polizei, wir gegen die Juden“ ist in etwa das Motto.
Also doch ein Jugendphänomen?
Das primäre Angebot, der Erlebnischarakter und die Militanz, zielt natürlich vor allem auf Jugendliche. Diejenigen, die wir hier in Berlin als Autonome Nationalisten bezeichnen, sind vor allem Menschen zwischen Anfang 20 und höchstens Mitte 30.
Ob diese jungen Menschen über eine eher aktionsorientierte politische Phase hinaus auch in höherem Alter aktiv sein werden – und in welchen Strukturen sie das dann tun – wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Es kann genauso gut sein, dass gerade sie irgendwann die Lust verlieren.
Wie reagiert die rechtsextreme Szene?
Die Autonomen Nationalisten sorgen innerhalb der rechtsextremen Szene für Konflikte. Die NPD hat sich schon mehrfach von ihnen distanziert. Es gibt unterschiedliche Abgrenzungsbeschlüsse, in denen es allerdings weniger um die Ideologie geht (die ist mehr oder weniger deckungsgleich), als vielmehr um militante Symbolik und das für Rechtsextremisten bislang ungewöhnliche kämpferische Auftreten bei Demonstrationen.
Das läuft dem Anspruch der NPD zuwider, auf vermeintlich legalem Boden zu handeln. Und auch die Traditionalisten innerhalb des sogenannten Kameradschaftspektrums empfinden die Autonomen Nationalisten im Prinzip als einen Karnevalsverein.
Doch trotz der Beschlüsse des NPD-Vorstandes beobachten wir zumindest hier in Berlin, dass auch der Parteichef Udo Voigt die Abgrenzung nicht immer aufrecht erhält. Denn gerade hier ist die NPD nicht ausreichend organisiert, um auf die parteilich nicht gebundenen Rechtsextremisten zu verzichten. Zumindest in Berlin wird die Kooperation zwischen NPD, gewaltbereiten Kameradschaften und den Autonomen Nationlisten so bald nicht aufhören.
Das ist aber nicht überall so. Anhand unserer Beobachtungen in rechtsextremen Internetforen vermuten wir, dass es im Ruhrgebiet zu einer tieferen Spaltung gekommen ist. Dort wird jedenfalls viel intensiver diskutiert als in Berlin. Wir hoffen natürlich, dass sich die Konflikte noch verstärken.
(Joachim Wolf)