Rechtsextreme dürfen ihre Parteitage in steuerfinanzierten Rathäusern abhalten – auch wenn das Bezirken und Antifaschisten nicht passt. So habe die NPD wie jede Partei einen Anspruch auf öffentliche Räume – ohne Einschränkungen oder Sonderauflagen. Das entschied das Berliner Verwaltungsgericht am Freitag: „Eine nicht verbotene Partei kann sich darstellen, wie sie will – solange nicht gegen Strafgesetze verstoßen wird.“ Gleiches gilt für die rechtspopulistische Vereinigung „Pro Deutschland“, die sich an diesem Sonnabend zu ihrem Bundesparteitag im Rathaus Schöneberg trifft. Das Bezirksamt war vor Gericht gescheitert, den 100 erwarteten Pro-Deutschland-Anhängern seine Räume zu verwehren. Linke, Gewerkschaften, Grüne und die SPD rufen zu Protesten auf.
Am Rathaus sind ab 12 Uhr Kundgebungen unter dem Motto „Kein Fußbreit den Rassisten“ angemeldet, unterstützt vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). „Auch Organisationen scheinbar weichgespülter Rechtsextremer wie Pro Deutschland dürfen bei uns auf keinen Fall Fuß fassen“, erklärte Wowereit. Die Vorläuferinitiative der rechtspopulistischen Organisation begann vor fünf Jahren in Köln, mit Islamkritik sowohl Rechtsextreme als auch Nationalkonservative zu vereinen. Ziel ist der Einzug ins Abgeordnetenhaus 2011. Stimmen erhofft man sich etwa durch Forderungen nach einem Baustopp für Moscheen. Anhänger wetterten auch gegen „Schwulenparaden“, der Lesben- und Schwulenverband protestiert nun ebenfalls gegen den Parteitag. In der NPD gab man sich am Freitag selbstbewusst. Vize-Parteichef Frank Schwerdt bewertete das Verwaltungsurteil als „bedeutenden Sieg für einen Rechtsstaat“. Vor Gericht ging es um die Nutzung des Ernst-Reuter-Saales im Rathaus Reinickendorf für den NPD-Bundesparteitag im April 2009. Nach der Weigerung des Bezirkes, der Partei die Nutzung des Rathaussaales für ein Wochenende zu erlauben, klagte die NPD und bekam damals Recht. Das Bezirksamt hatte den Saal zuvor anderen Parteien zur Verfügung gestellt, es musste auch die NPD in die Räume lassen – der Gleichbehandlung wegen. Doch der Bezirk ließ die Rechtsextremen einen Mietvertrag unterzeichnen, wonach die Gäste umgehend des Saales verwiesen werden können, sollten bei dem Parteitag rassistische, antisemitische oder antidemokratische Äußerungen fallen. Dazu musste die NPD offizielle Beobachter des Bezirks auf dem Parteitag zulassen. Diese Auflagen wurden erst danach zur neuen Raumvergabepraxis. Und das störte das Verwaltungsgericht. „Eine gefährliche Klausel“, sagte der Anwalt der NPD vor Gericht, bekam vom Richtertisch aber zu hören: „Die anderen Parteien haben damit kein Problem.“ Gesetzlich seien diese „Nebenbestimmungen“ aber unzulässig, so das Gericht. Bis zum Verbot durch das Bundesverfassungsgericht seien Parteien privilegiert, deren Meinungsäußerungen dürften nicht beschränkt werden, solange sie nicht gegen Strafgesetze verstoßen. Und dafür sind Polizisten zuständig – auch ohne Sondermietvertrag.
Verwaltungsjurist Sven Richwin, der für die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“ (MBR) den Mustermietvertrag entwickelt hatte, erklärte dennoch: „Die juristische Auseinandersetzung mit rassistischer Propaganda fängt erst an.“ Denn die inhaltliche Bewertung des Mietvertrages muss das Zivilgericht vornehmen, hatten die Verwaltungsrichter gesagt. MBR-Chefin Bianca Klose warnte davor, dass Rechtsradikale in „symbolische Orte der Demokratie“ wie Rathäuser drängten. Öffentliche Räume müssten geschützt werden. Unter Fachleuten wurde der Mustermietvertrag gelobt, bei Juristen war er umstritten. Viele erwarten, dass das Zivilgericht den Vertrag nur in entschärfter Form für zulässig erklären werde. Dass etwa Beobachter des Bezirkes den Parteitag besuchen, könnte den Richtern missfallen. Ämter könnten aber dennoch reagieren, das Gericht sagte mit Blick auf die Bezirksvertreter: „Warum beschließen sie nicht, dass es im Ernst-Reuter-Saal keine Bundesparteitage für irgendeine Partei gibt?“ Wegen der „grundsätzlichen Bedeutung“ des Falls ist Berufung zugelassen.
Vor drei Wochen hatte NPD-Chef Udo Voigt gegen ein Hotel in Bad Saarow vor Gericht verloren. Das Hotel hatte Voigt wegen seiner politischer Überzeugung kein Zimmer vermietet. Das Landgericht in Frankfurt (Oder) wies Voigts Klage dagegen ab. Das Haus ist jedoch Privateigentum und darf seine Gäste aussuchen.
(_Hannes Heine/ Kerstin Gehrcke_)