(16.04.2012) Der Freitag: Klamotten mit Haken

Womöglich hat es Thor Steinar deswegen hierher verschlagen. „Tønsberg“ heißt der Laden, der hier im Oktober 2011 eröffnet hat. Auf der Berliner Allee sind mehr Autos und Straßenbahnen unterwegs als Laufkundschaft. Aber die bei Neonazis begehrte Kleidungsmarke konnte sich an angesagteren Standorten bislang nicht halten: Den Tønsberg-Laden in der Rosa-Luxemburg-Straße musste die Betreiberfirma Skytech wegen Anwohnerprotesten und Vermieterkündigung zwei Jahre nach der Eröffnung schließen. Die andere Filiale liegt im Studenten-, Familien- und Hausbesetzerkiez Friedrichshain, Unbekannte decken sie regelmäßig mit Farbbomben ein. Bis 2015 wird das so weitergehen, dann muss Thor Steinar gemäß des gerichtlichen Vergleichs mit dem Vermieter raus.

„Die tragen auch Adidas“

In Weißensee täuscht die Ruhe. Farbbomben sind inzwischen an der Tønsberg-Fassade zerplatzt, schwarzer Teer klebt an der Hauswand. Eine Schaufensterpuppe trägt ein hellgrünes T-Shirt, Aufdruck: „National Park Berchtesgaden – Frische Luft & Gute Laune“. Sinnleeres stilisiertes Motiv – oder Hommage an Hitlers Obersalzberg-Faible?

Im Laden sieht es so steril aus wie in jedem beliebigen Sportklamottenstore: blank gewienerter Boden, von alten Glasperlenleuchtern hell beschienene Wände, Regale mit akkurat gestapelten Jeans und Hoodies. Aus Lautsprechern dudelt die Werbeschleife eines Radiosenders. Die Verkäuferin schüttelt den Kopf, als sie auf die Frage antworten soll, ob geplant sei, die Schmierereien zu beseitigen. Was sie dazu sagt, dass der gerade erschienene Brandenburger Verfassungsschutzbericht Thor-Steinar-Motive einmal mehr als „identitätsstiftendes Erkennungszeichen unter Rechtsextremisten“ ausgewiesen habe? „Die tragen auch Adidas und Nike.“

Und der Vorwurf des Antifa-Bündnisses „Kein Kiez für Nazis“, das „Tønsberg“ „stärke das Selbstwertgefühl lokaler Neonazis, die gern mal ihnen unliebsame Personen zusammenschlagen“? „Ja klar, wir machen die hier drin richtig scharf und schicken sie dann raus auf die Straße. Blödsinn.“

Fakt ist: Rechte Übergriffe rund um den Antonplatz gibt es immer wieder. Im Januar nahm die Polizei in der Berliner Allee eine Rechte fest, weil sie einen Punk beschimpft und ihm eine Bierflasche über den Kopf gezogen hatte. Derweil regt sich Protest gegen Thor Steinar sogar im eigenen Lager, wenngleich mit anderen Motiven: Vereinzelte Neonazigruppen wettern mit Pamphleten, Thor Steinar ziehe den Kameraden ihr knappes Geld für teure Markenartikel aus der Tasche. Das Label sei in der rechten Szene jedoch noch immer beliebt, erklärt die Mitarbeiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (mbr), Annika Eckel. „Bis heute sind bei jeder rechtsextremen Demonstration viele Thor-Steinar-Klamotten mit den typischen Runensymbolen oder Bezügen zur deutschen Kolonialgeschichte zu sehen.“

Offen für neonazistische Lesarten ist die Bildsprache zweifelsohne. Mal mehr, mal weniger subtil: „Expedition Ostafrika“ steht auf einem Shirt, „My Home Is My Castle“ auf einem anderen, darunter ein Maschinengewehr, das aus einer Rune bestehende Marken-Logo und der Schriftzug „Division Thor Steinar“.

Antifas haben seit der Eröffnung im Oktober dreimal gegen die Dependance demonstriert, in Weißensee und am Geschäftssitz der als Vermieter registrierten GmbH in einem kleinen Ort bei Potsdam. Die Marke liefert etwas, das rar geworden ist in Zeiten, in denen selbsternannte „Autonome Nationalisten“ den linken Chic des Schwarzen Blocks kopieren und kaum einer noch mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln herumläuft: ein verlässliches rechtes Erkennungszeichen. Zumindest für die, die sich mit Neonazis beschäftigen. Thor Steinar ist im Bundestag sowie in Fußballstadien verboten.

Der Vermieter des Weißenseer Ladens, Klaus Rosenthal, hat diese Symbolik bislang eher ignoriert: Thor Steinar, die Marke kannte er nicht, sagt er am Telefon. Es habe jemand bei ihm angerufen und Interesse an dem leer stehenden Laden bekundet, Rosenthal fuhr raus nach Brandenburg, nach Mittenwalde, ins Lager von Thor Steinar, erzählt er. Er traf einen scheinbar solventen Interessenten. „Da waren ja keine Hakenkreuze auf den Klamotten drauf.“ Rosenthal hoffte nur, endlich einen Mieter, der verlässlich seine Miete überweist, für den Raum in Weißensee zu bekommen. Anders als die Vormieter, ein Importhändler und ein Betreiber von Muskelaufbaupräparaten.

Eine Filiale heißt „Brevik“

Rosenthal ist 70, er hat früher Immobilien gekauft und saniert. Für das Haus in der Berliner Allee bekam er keine Fördermittel, deswegen habe er es „bis heute an der Backe“. Sie hat ihn eingeholt, die Protestwelle, die bei Thor-Steinar-Eröffnungen losrollt, zuletzt in Chemnitz, als die Kette dort eine Filiale mit dem Namen „Brevik“ eröffnete. Damit wollte Thor Steinar nach eigenen Angaben an eine norwegische Stadt und nicht den ähnlich klingenden norwegischen Attentäter erinnern.

In Chemnitz wie in Weißensee folgten Demonstrationen, Flugblätter, einiges Medienecho. Höhepunkt des Protests gegen die Filiale in Weißensee: Eine Antifa-Kundgebung 50 Kilometer weit weg, im 400-Einwohner-Ort Potsdam-Grube, vor Rosenthals Geschäftssitz. Zur Thor-Steinar-Verteidigung kamen 30 Neonazis, die Polizei schirmte sie ab. Vermieter Rosenthal verpasste den Showdown: Er sei fast nie in Potsdam-Grube, sagt er.

Doch der Ärger über seine Mieter in Weißensee erreicht ihn auch auf anderen Wegen: Der CDU-Politiker Dirk Stettner hat bei Rosenthal angerufen. Stettner sitzt im Berliner Abgeordnetenhaus, seinen Wahlkreis hat er in Weißensee. Höflich fragte er, ob Rosenthal wisse, wen er sich mit Thor Steinar ins Haus geholt hatte. Kurz darauf meldete sich der SPD-Bezirksbürgermeister und empfahl ihm einen Beratungstermin bei der mbr, um die Mieter loszuwerden. Rosenthal wundert sich: „Vor einem Jahr sind unsere Politiker doch noch nicht so gegen die Rechten vorgegangen.“

Er will jetzt erstmal in den Mietvertrag schauen, drei oder vier Jahre würde der wohl noch laufen. Danach werde er sich von den Mietern trennen. „Vor einem Jahr“, als der Vertrag unterschrieben wurde, sagt er noch einmal, habe er ja auch nichts von der Thüringer Terrorzelle gewusst.

(_Sebastian Puschner_)

Zum Artikel bei freitag.de