Von »katastrophal« bis »bei uns klappt alles super« reichen die Einschätzungen der neuen Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus. Vor einem Jahr stellte die Große Koalition die Bundesförderung für die lokale Arbeit gegen Rechtsextremismus komplett um. Die von Rot-Grün ins Leben gerufenen Programme Civitas, Entimon und Xenos liefen aus. Seit Januar bzw. Juli 2007 gibt es neue Strukturen, deren Ausrichtung von Anfang an heftig kritisiert wurde, gerade von Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis.
Vertreter verschiedenster Netzwerke, Initiativen und Beratungsteams berichteten dieser Tage bei gleich zwei Fachgesprächen in Berlin von ihren ersten Erfahrungen mit der Umgestaltung. Die Zwischenbilanzen der beiden Runden, die kurz nacheinander auf Einladung der Grünen und der LINKEN im Bundestag gezogen wurden, fielen sehr ähnlich aus: Die Unzufriedenheit überwiegt.
Die folgenreichste Neuerung ist: Der Weg zu den Bundesgeldern führt nun über die Länder und Kommunen. Sie haben viel Einfluss gewonnen bei den Entscheidungen über die Förderung von Projekten gegen Rechtsextremismus. »Dafür war von den Wissenschaftlern niemand, weil man die Kommunen immer als letzte zum Jagen tragen muss«, wiederholt Roland Roth die grundsätzlichen Bedenken der Fachleute. Der Politikprofessor von der Universität Magdeburg war an der Evaluierung der alten Programme beteiligt. Seine Erfahrung: Kommunen sind oftmals selbst Teil des Problems, haben jahrelang weggeschaut, schlicht keine Ahnung vom Thema oder verfolgen kurzfristigere Profilierungsinteressen.
Die 100 000 Euro im Jahr für einen Lokalen Aktionsplan (LAP) bekommt nur, wer sie beantragt. Was aber, wenn der Bürgermeister rechtsextreme Einstellungen in seinem Ort verharmlost, wie es nicht nur in Mügeln passiert? Was, wenn das örtliche Bündnis gegen Rechts als »Nestbeschmutzer« angesehen wird? Viele Gemeinden, die es nötig hätten, verzichten lieber auf die Gelder, als einzugestehen, ja, wir haben ein Problem. Andere gehen leer aus: Von 216 beantragten Aktionsplänen bekamen 90 den Zuschlag.
Geld verbraten
Bei der Erarbeitung eines lokalen Plans sollen die Kommunen die Zivilgesellschaft mit einbeziehen. In der Praxis läuft das häufig so, dass sie eine handverlesene Runde zusammenstellen – die »zahme Zivilgesellschaft«, die keine unbequemen Themen aufwirft, wie Bianca Klose vom Mobilen Beratungsteam in Berlin beklagt. »Freie Träger der Jugendhilfe zerstreiten sich nicht mit dem Stadtrat, von dem sie abhängig sind.« Das kann Stephan Meister vom Netzwerk Demokratische Kultur Sachsen bestätigen: »Zivilgesellschaftliche Initiativen dürfen nur noch mitwirken, so es Politik und Verwaltung genehm ist.« Das hat er selbst erlebt. Eine reine »Ämterrunde« sei der Ausschuss in Wurzen gewesen, der den Aktionsplan entwickelt und die Gelder verteilt hat. Erst nach einem Jahr habe man durchgesetzt, einbezogen zu werden. »Da waren aber die ersten 100 000 schon verbraten – für Kochen gegen Rechts«, sagt er bitter.
Es geht aber auch anders. »In Fürstenwalde«, erzählt ein Teilnehmer, »sitzen Punks von der örtlichen Antifa an einem Tisch mit dem Bürgermeister.«
Besonders kleine, unabhängige Initiativen sind Opfer des geänderten Verfahrens. Viele, in den letzten Jahren mühsam aufgebaut, mussten ihre Aktivitäten beenden. Denn der Bund fördert zwar Modellprojekte, aber nur zur Hälfte. Die andere müssen sich die Träger selbst suchen. Damit sind sie wieder auf das kommunale Wohlwollen angewiesen. Hinzu kommt, dass der Antragsaufwand enorm ist. »Die Kraft fließt in die Formulare, nicht in die Arbeit«, moniert Wolfram Hülsemann, Brandenburgisches Institut für Gemeinwesenberatung. Ohne großen Apparat im Rücken sind die seitenlangen Projektskizzen, Anträge, Abrechnungen, Begründungen kaum zu bewältigen.
Die Bekämpfung von Rechtsextremismus wird nicht in zwei, drei Jahren erfolgreich sein. Das wissen alle, die sich mit dem Thema beschäftigen. Umso erstaunlicher, dass die Programme so stark auf kurzfristige »Krisenintervention« setzen. Der Gedanke steckt in den Beratungsnetzwerken genauso wie in der Förderung von Modellprojekten und Einzelmaßnahmen im Rahmen der LAPs.
Alles nur Modelle
Der Zwang zum immer neuen befristeten Projekt ist schwer zu vereinbaren mit der eigentlich nötigen langfristigen Perspektive. Fritz Burschel soll mit einer 30-Stunden-Stelle und 200 000 Euro Beratungsnetzwerke in Bayern, dem größten Bundesland aufbauen. Er macht sich keine Illusionen: »Daraus können keine flächendeckenden Strukturen entstehen, die über Jahre arbeiten.« Für den Politologen Roth ist der Ansatz vergleichbar mit Schulprojekttagen: »Die finden zwei Mal im Jahr statt, die Schule bleibt letztlich davon unberührt.« Ohne längere finanzielle Absicherung könne der Transfer in den Alltag nicht funktionieren.
Einiges wird sich noch einrütteln. Vieles hängt von den Zuständen vor Ort ab: Gibt es einen engagierten Bürgermeister, Pfarrer oder Gesangsverein, was finanziert das Land? Das alles kann die »Webfehler«, wie Fritz Burschel betont, allerdings nicht beseitigen.
(Ines Wallrodt)