(15.12.2010) Mitteldeutsche Zeitung: Lichtenberg kämpft gegen schlechtes Image

Drei Mitglieder der NPD sitzen hier im Bezirksparlament. Anschläge auf türkischstämmige Linken-Politiker und einen Dönerbuden-Besitzer sorgten in den vergangenen Jahren für Schlagzeilen. Noch im März dieses Jahres ging das Auto der Linken-Politikerin Evrim Baba vor ihrer Wohnung in Flammen auf. Der Polizeiliche Staatsschutz vermutet die Täter im rechtsextremen Milieu. Heute kämpfen Anwohner und Jugendgruppen gegen das schlechte Image und die rechtsextremistische Szene von Lichtenberg.

“Wir tun alles, damit sich das Klischee ändert”, sagt Dietrich Lederer vom Lichtenberger Kulturverein. “Den Neonazis gefällt es hier schon lange nicht mehr.” Dennoch würden einige von ihnen versuchen, das Image aufrechtzuerhalten.

Seit nunmehr vier Jahren fördert der Bund einen lokalen Aktionsplan gegen Neonazis, von Jugendprojekten bis hin zu einer Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus. 440 000 Euro gab es dafür bereits vom Familienministerium, weitere 60 000 Euro sollen in den kommenden drei Jahren folgen.

In den 90er Jahren haben sich die Rechtsextremen hier eingenistet in der trostlosen Gegend um den Bahnhof. Kurz nach der Wende bezogen sie ein Haus in der Weitlingstraße und planten dort ihre Aktionen. Dieser “Mythos” habe im Jahr 2000 vermehrt jüngere Anhänger nach Lichtenberg geführt, berichtet Andreas Wächter, der die Projekte gegen Neonazis betreut. “Bis 2005 hatten wir relativ viele Wohngemeinschaften hier.” Etwa 25 Rechtsextreme hätten damals Aufmärsche und Aktionen organisiert, heute sind es nur noch vier. Die Zahl ihrer Anhänger sei allerdings höher.

“Die rechte Szene in Lichtenberg hat extreme Rückschläge erlitten”, meint Sabine Kritter von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Im vergangenen Jahr habe die Opferberatung “ReachOut” fünf gewalttätige Übergriffe von Rechtsextremen in Lichtenberg verzeichnet. 2008 seien es mit 14 Angriffen aber weit mehr gewesen. Für dieses Jahr lägen noch keine Zahlen vor. “Dass es einen Punkt gibt, wo sich Rechtsextreme sammeln – das gibt es einfach nicht mehr”, sagt sie.

Nach Angaben des Verfassungsschutzes formieren sich jedoch überwiegend gewaltbereite Berliner Neonazis im Netzwerk “Freie Kräfte”, einem losen Zusammenschluss mit rund 200 Anhängern. Rechtsextreme Parteien erlitten im vergangenen Jahr hingegen Rückschläge, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Die Mitgliederzahl der Berliner NPD sank um 30 Mitglieder auf 300.

Einschlägige Kneipen wie die “Kiste” seien seit Jahren geschlossen, nicht zuletzt wegen der Gegenwehr im Kiez, sagte Andreas Wächter. Im vergangenen Jahr habe eine Initiative einen «Werwolf»- Laden mit rechten Promo-Artikeln nach nur sechs Monaten wieder vertrieben.

Das bedeute allerdings nicht, dass sich die Neonazis aus der Hauptstadt zurückzögen. Mittlerweile gingen sie aber auch in Bezirke, in denen sie noch nicht so stark vertreten seien. “Früher haben sich Rechtsextreme gar nicht in solche Bezirke reingetraut, weil sie Angst hatten, sie werden von Linken verprügelt.” Zunehmend würden sie nun in Kreuzberg oder Friedrichshain aktiv. Optisch seien sie dort kaum als Neonazis zu erkennen. “Sie sind zeitgemäßer”, sagt Wächter. “Es ist seit Jahren nicht mehr so, dass Rechtsextreme mit einem Irokesen- Schnitt oder Tunnelohrringen rumlaufen.”

Antonia Lange

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