Sonntagmorgen 5.45 Uhr, Berlin Friedrichshain: Der 22-jährige Jonas K. wird am Bahnhof Frankfurter Allee von vier jungen Rechtsextremen angepöbelt, geschlagen und getreten. Irgendwann bleibt Jonas K. bewusstlos liegen. Dann schleift ihn der 26-jährige Neonazi Oliver K. auf den Fahrradweg, legt ihn mit dem Gesicht nach unten und tritt ihm gegen den Hinterkopf. Jonas K. wird später lebensgefährlich verletzt auf die Intensivstation eingeliefert: Hirnblutungen, Jochbeinbruch, Prellungen.
Es ist eine Tat, die viele Berliner erschüttert hat. Zumal sie in einem bisher als alternativ geltenden Kiez stattgefunden hat: Friedrichshain. Grünen-Hochburg, Wohn- und Ausgehgebiet vieler Alternativer und Linker. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) spricht von einer “schrecklichen Tat”. Sein Parteikollege Andreas Geisel fordert “ernste Konsequenzen” für die Täter. Die Grünen appellieren für mehr Zivilcourage gegen rechts. Am Montag versammelten sich rund 150 Personen zu einer Mahnwache am Tatort. Antifa-Gruppen mobilisieren für Sonnabend zu einer Demonstration in Friedrichshain.
Wie genau es zu der Tat kam, ist noch immer nicht geklärt. Die vier 20- bis 26-jährigen Verdächtigen sollen den Abend im “Jeton”, einer bei Rechten und Hooligans beliebten Diskothek, verbracht haben. Auf dem Heimweg gerieten sie am Bahnhof Frankfurter Allee in eine Schlägerei mit einer Gruppe von zehn Linken. Diese hatten die Rechten auf ihre “Thor Steinar”-Kleidung angesprochen. Laut Polizei soll sich auch Jonas K. “aktiv” an der Schlägerei beteiligt haben. Deshalb ermittelt die Polizei auch gegen den 22-Jährigen. Warum dieser zurückblieb, als sich die Gruppen trennten, ist noch unbekannt. Die Neonazis hätten das Opfer weiter attackiert.
Seit Montagabend sitzen die noch am Tatort festgenommenen Rechtsextremen in Untersuchungshaft. Zeugen hatten die Polizei alarmiert, waren aber nicht eingeschritten. Gegen die Rechtsextremen bestehe ein dringender Tatverdacht des versuchten Totschlags, sagt Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Zwei der Beschuldigten bestritten eine Tatbeteiligung, die anderen würden schweigen. Die Polizei berichtet von einschlägigen rechten Propaganda- und Gewaltdelikten der Verdächtigen.
Am Dienstag nahm die Polizei auch einen 26-Jährigen fest, der zu der Gruppe der Linken gehört und einem der Neonazis eine Platzwunde zugefügt haben soll. Er sei “als linker Gewalttäter polizeibekannt”, so ein Sprecher. Jonas K. sei noch nicht vernehmungsfähig, schwebe aber nicht mehr in Lebensgefahr. Er habe die Intensivstation verlassen.
Die Tat im alternativen Friedrichshain habe viele aufgewühlt, sagt Sabine Kritter von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. “Der 22-Jährige wurde Opfer, weil er als Linker eingeschätzt wurde. Es hätte auch viele andere hier treffen können.” Kritter spricht von einer “extrem brutalen Tat, die es in dieser Stadt selten gab”. Das Areal um den Bahnhof Frankfurter Allee und das “Jeton” ziehe aber seit Längerem auch Rechte an. Erst im vergangenen März gab es einen fremdenfeindlichen Vorfall an fast gleicher Stelle: Eine Frau hatte einen Afrikaner auf dem Bahnsteig rassistisch beschimpft und ins Gleisbett gestoßen. Passanten zogen den Mann zurück auf den Bahnsteig. Laut Kritter gab es in Friedrichshain in diesem Jahr bereits sechs rechtsextreme Übergriffe. Berlinweit zählte der Verfassungsschutz 2008 1.377 rechtsextreme Straftaten, darunter 91 Gewaltdelikte. Im Vorjahr waren es 74 Gewalttaten.
Die vier Täter selbst sind keine Berliner. Sie kommen vom Berliner Stadtrand um das brandenburgische Königs Wusterhausen. “Die rechte Szene hat in dieser Gegend eine lange Tradition und ist sehr aktiv”, sagt Andrea Nienhuisen vom Mobilen Beratungsteam Brandenburg. Die Tat in Friedrichshain weckt Erinnerungen an einen Fall im brandenburgischen Potzlow: Dort wurde 2002 der 16-jährige Marinus Schöberl von Neonazis mit einem Nackentritt getötet. “Die rechtsextreme Szene hat in dieser Gegend eine lange Tradition und ist auch sehr aktiv”.
(Konrad Litschko)