(15.02.2007) Mut gegen rechte Gewalt

In einem Thesenpapier zum neuen Bundesprogramm “Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobile Kriseninterventionsteams gegen Rechtsextremismus” macht die Thüringer Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus auf gravierende Mängel in dem neuen Regierungskonzept aufmerksam. Auch die GRÜNEN kritisieren den Neuansatz scharf – als praxisferne Mogelpackung, die “bewährte Strukturen” zerbricht.

Vorgeschichte:

Unter dem Eindruck der Wahlergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern und aufgrund des öffentlichen Drucks entschied die Bundesregierung Anfang Oktober 2006, das zum Ende des Jahres auslaufende CIVITAS-Programm um ein halbes Jahr zu verlängern. Damit sollte die Weiterarbeit der Mobilen Beratungsteams und der Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer Gewalt so lange gesichert werden, bis eine Konzeption für deren dauerhafte Integration in die neuen Maßnahmen gefunden würde. Mit Verabschiedung des Bundeshaushalts wurden zusätzliche fünf Millionen Euro in den Einzelplan 17 (Haushalt des BMFSFJ), unter dem Titel “Beratungsnetzwerke” eingestellt. Damit wurde die Absicht erklärt, die oben genannten “Strukturprojekte” über das CIVITAS-Programm hinaus weiter fördern zu wollen. Allerdings wurde es versäumt, den Haushaltstitel vor seiner Verabschiedung inhaltlich eindeutig zuzuordnen. Für das BMFSFJ bedeutete dies eine nahezu freie Ausgestaltungsmöglichkeit im Rahmen der Rechtsordnung (hier: BHO). Ergebnis ist das uns jetzt vorliegende Programm.

Schon in ihrer gemeinsamen Entschließung vom 24. April 2006, mit dem Titel “Rechtsextremismus bekämpfen”, forderte der SPD-Parteivorstand und der SPD-Parteirat den Erhalt der Strukturprojekte. Entsprechend dieser Position begrüßte die Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese, am 20. Oktober 2006, die Bereitstellung der zusätzlichen fünf Millionen Euro, da dieses Geld notwendig sei, “um die Arbeit der mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen, die bisher aus dem Programm CIVITAS gefördert wurden, weiter zu entwickeln und auszubauen.” Der Vorsitzende der SPD, Kurt Beck, meldete sich am 31. Oktober 2006 in einem persönlichen Anschreiben an die Projekte zum Wort und betonte, dass mit diesem zusätzlichen Geld “Strukturprojekte der Arbeit für Demokratie und Toleranz auf eine langfristige Basis gestellt werden” können.

Am 31.01.2007 versandte der Staatssekretär im BMFSFJ, Gerd Hoofe, den Entwurf für ein neues 5-Millionen-Programm unter dem Titel: “Förderung von Beratungsnetzwerken – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus” an die Obersten Landesjugendbehörden. Kern des Entwurfs ist die “Einrichtung und Entwicklung von landesweiten Beratungsnetzwerken, aus denen anlassbezogen, unmittelbar und zeitlich befristet Mobile Kriseninterventionsteams gebildet werden”. Die Landesnetzwerke sollen von Landeskoordinatoren gesteuert werden. Die Steuerung des Gesamtprogramms übernimmt das BMFSFJ.

Thesen:

  • Mit der Festlegung auf “Mobile Kriseninterventionsteams”, die “grundsätzlich anlassorientiert, unmittelbar und mit klarer zeitlicher Befristung” reagieren (vgl. Entwurf), verabschiedet sich die Bundesregierung von einem präventiven Ansatz der Arbeit gegen Rechtsextremismus. Es handelt sich in Form und Inhalt um einen Paradigmenwechsel, der die Diskussionen der letzten Jahre auf den Kopf stellt.
  • Eine kontinuierliche und strukturelle Förderung der Arbeit von Mobilen Beratungsteams und Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer Gewalttaten ist im Rahmen des Entwurfs nicht vorgesehen. Im Rahmen des Konzepts sollen explizit nur Maßnahmen der konkreten Krisenintervention mit einer Laufzeit von max. 3 Monaten gefördert werden. Damit kann kein Personal beschäftigt, kein Büro gemietet und kein Auto geleast werden, um zur Krise hinzufahren. Die Absichtserklärungen seitens der SPD-Vertreterinnen und -Vertreter, mit den zusätzlichen Mitteln die Strukturprojekte erhalten zu wollen, sind damit nicht umsetzbar. Vielmehr konterkariert es den politischen Willen der SPD, mit den zusätzlichen fünf Millionen neine langfristige Absicherung der Strukturen zu bewerkstelligen.
  • Das vorliegende Konzept einer reinen Krisenintervention steht im Gegensatz zu den Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitung des CIVITAS-Programms. Darin wird hervorgehoben, dass zivilgesellschaftliche Strukturen vor allem dort gefestigt und verstärkt werden konnten, wo es gelungen ist, Netzwerke vor Ort kontinuierlich aufzubauen.
  • Nach aller Erfahrung funktioniert Krisenintervention da, wo entsprechende Maßnahmen an kontinuierlich arbeitenden Strukturen anknüpfen können. Will man also eine kompetente Krisenintervention initiieren, müssen zunächst nachhaltig tragfähige Beratungssysteme abgesichert werden. Ist dies nicht gegeben, so verkommt Krisenintervention zu einer reinen Feuerwehrpolitik.
  • Der Programmansatz des Bundes ist Oberflächenkosmetik und wird die Länder vor erhebliche Umsetzungsprobleme stellen, vor allem, wenn mit dem Wegbrechen der Strukturprojekte die Kompetenzen von mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen nicht mehr zur Verfügung stehen. Ausschließlich staatliches Handeln stärkt keine Zivilgesellschaft.
  • Die Konzeption formuliert den Anspruch die Länder eng einbinden zu wollen. Schon der schematische Ansatz konterkariert diesen Anspruch. Ohne die Bedarfe der Länder abgefragt und ohne die gewachsenen Strukturen auf Landesebene berücksichtigt zu haben, wird ein immenser bürokratischer Apparat installiert, der Mittel verschlingen und in den meisten Ländern Parallelstrukturen zur Folge haben wird.
  • Das im Entwurf des Bundesprogramms vorgesehene Landesberatungsnetzwerk wird erhebliche fachliche Probleme zu bewältigen haben. Es ist angedacht, dass künftig alle Vorfälle an die Landeskoordinierungsstelle zu melden sind. Es ist aber nicht zu erwarten, dass z.B. eine Schule oder eine Einrichtung der Jugendarbeit bei einer Obersten Landesbehörde ein Problem anmeldet, welches letztlich ein Argument zur Kürzung von Mitteln bietet.
  • Der eingeschlagene Weg, den Programmentwurf als endgültige und unveränderbare Richtlinie für das Bundesprogramm über einen Staatssekretär an die Obersten Landesjugendbehörden zu verbreiten, ist undemokratisch. Damit signalisiert das Ministerium, dass kein Interesse an einer inhaltlichen Diskussion besteht. Auch auf eine Einbeziehung der Ergebnisse der Evaluation des CIVITAS-Programms sowie der durchführenden Wissenschaftler/innen wurde verzichtet.
  • Die vorgesehenen Kriseninterventionsteams werden auch langfristig keine fachlichen Rahmenbedingungen für eine gemeinsame Beratung vorfinden. Wegen der unterschiedlichen Hintergründe der ad-hoc zusammengesetzten Teams und der zeitlichen Befristung ihres Einsatzes, werden sich kaum Teamprozesse herausbilden, die beschreibbar und optimierbar sind. Skeptisch zu bewerten ist auch die verordnete Zusammenführung von staatlichen Institutionen, zivilgesellschaftlichen Interessengruppen und fachlich-professionellen Beratungsanbietern. Ihre Vernetzung ist sinnvoll, eine verordnete Kooperation ist realitätsfern.

Scharfe Kritik auch von den GRÜNEN

Monika Lazar, Fachpolitikerin der GRÜNEN im Bundestag nahm am Donnerstag, den 15.2. wie folgt zu dem Thema Stellung:

“Mit Tricks mogelt sich die Bundesregierung um den Willen des Parlaments herum, das mit dem neuen Fünf-Millionen-Programm bewährte Beratungsstrukturen gegen Rechtsextremismus erhalten wollte.

Eigenmächtig entschied die Bundesregierung, wofür das Geld ausgegeben werden soll – und wofür nicht. Dabei wurden die Bundesländer stärker und viel früher einbezogen als die Parlamentarier. Plötzlich liegt ein fertiges Konzept auf dem Tisch, das eines auf jeden Fall deutlich zeigt: Die Bundesregierung versucht mit allen Mitteln, den Beratungsnetzwerken eine reguläre Existenzsicherung vorzuenthalten. Statt eines langfristigen, soliden Ansatzes wird ein Plan aus dem Hut gezaubert, der den erklärten politischen Willen ebenso ignoriert wie die vernetzten, langfristig angelegten rechtsextremistischen Strukturen.

Kurzsichtig und gefährlich ist das Vorhaben, nur noch anlassbezogene, auf zwei bis drei Monate zeitlich befristete Krisenintervention zu fördern. Zu viele Fragen bleiben offen. Sollen sich zum Beispiel Opferberatungsstellen ständig auflösen und schnell wieder neu gründen, sobald es zu einem rechtsextremen Gewaltakt gekommen ist? Wer kümmert sich um die Nachbetreuung von traumatisierten Opfern; wer berät dauerhaft, um nachhaltig präventive Wirkung zu entfalten? Muss jedes Mal erst Schreckliches passieren, bevor der Bund bereit ist, Geld auszugeben?

Wir fordern die Bundesregierung auf, die Befristungsgrenze aufzuheben und so nicht nur Krisenintervention, sondern auch Prävention zu ermöglichen. Dazu ist Planungssicherheit für erfahrene mobile Beratungsteams und Opferberatungsstellen zu schaffen. Mit dieser Aufgabe soll innerhalb des Programms eine kompetente Stiftung oder ähnliche Institution beauftragt werden, die in enger Zusammenarbeit mit den Bundesländern fachlich fundierte Förderentscheidungen treffen kann.

Wir fordern die Bundesregierung auf, das Parlament, aber auch die Erkenntnisse aus den Evaluierungen, ernst zu nehmen und sich mit vorliegenden konkreten Vorschlägen zur Sicherung der Beratungsstrukturen konstruktiv auseinanderzusetzen anstatt sie ungeprüft zurückzuweisen.

Wir fordern die große Koalition auf, ihr JA zum Erhalt der Strukturprojekte, das im Beschluss des Fünf-Millionen-Programms zum Ausdruck kam, zu erneuern und den Eigenmächtigkeiten der Regierung einen Riegel vorzuschieben, bevor die bewährten Strukturen gegen Rechtsextremismus zerbrochen sind.”

Literatur, in der die Notwendigkeit langfristiger Ansätze begründet wird:

  • Heinz Lynen von Berg/Roland Roth (Hg.): Maßnahmen und Programme gegen Rechtsextremismus wissenschaftlich begleitet. Aufgaben, Konzepte und Erfahrungen, Opladen 2003.
  • Roland Roth: Gegenfeuer oder Strohfeuer? Die Programme gegen Rechtsextremismus und Gewalt, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 4/2003, S. 20-30

Dieses Thesen werden von allen mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen weitestgehend vertreten.

(Matthias Müller, MOBIT e.V.)

© www.mobit.org & www.mut-gegen-rechte-gewalt.de –
15.2.2006

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