Wer etwas gegen das Image des Brückenkiezes als braune Hochburg tun will, und sei es mit einem fröhlichen Farbklecks, bekommt hier schnell Probleme.
“Was kann man tun?”
Die besondere Lage erklärt auch, warum an diesem Montagvormittag Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) das Graffito begutachtet: Er ist, begleitet vom Integrationsbeauftragten Günter Piening sowie Staatssekretärin Barbara Loth (CDU), auf “Tour für Demokratie” durch den Kiez. “Es geht immer um die Frage: Was kann man tun?”, sagt Thierse.
Kati Becker vom in der Brückenstraße ansässigen Zentrum für Demokratie weiß, dass es auf diese Frage keine einfachen Antworten gibt. Sie selbst ist im Kiez aufgewachsen und engagiert sich seit Jahren gegen die Neonazis. “Wir müssen den Teil der Gesellschaft sichtbar machen, der was gegen die Rechten hat. So lange, bis sich die Nazis hier nicht mehr wohlfühlen”, sagt sie.
Wie das denn nun aussieht, wenn Nazis sich eingerichtet haben, will Thierse heute in Erfahrung bringen. Die “Begehung des Problemkiezes Brückenstraße” muss allerdings aus Zeitmangel auf 15 Minuten verkürzt werden. Das reicht gerade, um einmal die Brückenstraße hoch- und runterzulaufen. Vorbei an der mehr als trostlos wirkenden Nazikneipe, an der Thierse von außen prüfend die Getränkekarte studiert. Im Angebot gibt es heute ein als “Odin-Trunk” bezeichnetes Honigbier.
Das unbebaute Grundstück neben der Kneipe gehört dem Liegenschaftsfonds Berlin. Ein Teilnehmer des Spaziergangs regt an, hier solle doch das Land aktiv werden und Wohnungen für Studenten bauen lassen – die könnten den Kiez positiv beleben. Günter Piening macht einen Alternativvorschlag: Statt Wohnungen schwebt ihm eine Gartenanlage nach dem Vorbild der Kreuzberger Prinzessinnengärten vor, am besten interkulturell natürlich und von den AnwohnerInnen gepflegt.
Wenn Kati Becker von den BewohnerInnen des Kiezes erzählt, scheint es allerdings eher zweifelhaft, ob diese für interkulturelle Gartengestaltung neben einer Nazikneipe zu gewinnen wären. Es gibt Menschen, die sich in Schöneweide seit vielen Jahren und mit viel Einsatz gegen die Rechten engagieren – doch es sind wenige. “Die meisten Leute hier beschweren sich über mangelnde Parkplätze statt über die Nazis. Die nehmen das gar nicht als Problem wahr, vom Alltagsrassismus mal ganz zu schweigen”, sagt Becker.
Scheiben eingeworfen
Für die AktivistInnen ist die Situation nicht einfach: Sie stoßen nicht nur vielfach auf taube Ohren, sondern müssen außerdem noch mit der ständigen Angst vor rechten Übergriffen leben. Auch im Zentrum für Demokratie werden immer wieder Scheiben eingeworfen und Rollläden beschmiert.
Es sei wichtig, dass ein öffentliches Interesse für das Viertel geschaffen werde, sagt Becker. “Wir müssen Berlin nach Schöneweide holen”, fordert auch Bianca Klose, Vorsitzende der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Sowohl die BerlinerInnen als auch die Landespolitik müssten die Probleme im Brückenkiez stärker als ihre eigenen wahrnehmen und die lokalen Initiativen unterstützen.
Vielleicht kann der heutige Spaziergang ja dazu beitragen, dass die Naziszene in Schöneweide nicht nur als Angelegenheit des Stadtteils wahrgenommen wird. Auch wenn Thierse den Brückenkiez ein “braunes Biotop” nennt – und so eher den Eindruck erweckt, es gehe um eine lokale Absonderlichkeit als um ein Problem, das alle etwas angeht.
Von Malene Gürgen