Im vergangenen Jahr gab es in Berlin deutlich weniger rechtsextreme Gewalt als 2008, meldete am Dienstag ReachOut, die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt. Die Zahl rassistisch, antisemitisch und homophob motivierter Angriffe sei um fast ein Drittel zurückgegangen, statt 148 habe es nur noch 102 Vorfälle gegeben. “Das ist zunächst erfreulich. Bei näherer Betrachtung aber kein Anlass zur Entwarnung”, sagte ReachOut-Sprecherin Sabine Seyb. Auch 2007 habe es einen leichten Rückgang gegeben; in den Folgejahren seien die Zahlen wieder gestiegen.
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Leicht gesunken sei die Zahl rassistisch motivierter Angriffe. In 53 der 102 Fälle wurden Menschen aus rassistischen Motiven angegriffen, berichtete Seyb. Rassismus ist damit immer noch das häufigste Motiv für gewaltsame Übergriffe.
Die Sprecherin geht jedoch davon aus, dass sich in den nächsten Monaten die Zahlen noch erhöhen würden: “Aus Erfahrung erwarten wir umfangreiche Nachmeldungen für das letzte Jahr.” Außerdem wies sie auf eine große Dunkelziffer hin: Zahlreiche Gewalttaten würden gar nicht gemeldet. Zudem fehlen vor allem in Westbezirken Einrichtungen, die die Angriffe protokollierten. “Nur aus Neukölln und Reinickendorf gibt es zuverlässige Zahlen”, betonte Seyb.
Während ReachOut eine berlinweite Statistik führt, arbeiten die “Register” auf Bezirksebene. Auch diese Initiativen meldeten weniger Gewalt. Wie in den Vorjahren hatte Friedrichshain mit 17 Angriffen die höchste Rate, zum ersten Mal war mit Wedding ein westlicher Stadtteil auf Platz zwei. Zwar seien die Angriffe etwas seltener geworden, “das Ausmaß der Gewalt aber ist mittlerweile besorgniserregend”, erklärte Heike Weingarten vom Register Friedrichshain. “Immer mehr Opfer finden sich im Krankenhaus wieder.” Gerade in Friedrichshain würden oft junge Menschen angegriffen, die von den Tätern der linken Szene zugeordnet würden.
Auch berlinweit ist die Gewalt gegen linksalternative Jugendliche und Erwachsene stark zurückgegangen. Während es 2008 insgesamt noch 60 Angriffe gegeben hatte, waren es 2009 noch 27. Als Gründe nannten die Vertreter der Register gute Präventionsarbeit der Bezirke und Zivilcourage der Anwohner. Auch hielten sich viele Rechtsextreme derzeit auffällig zurück.
Die Register der Bezirke erfassen neben physischer Gewalt auch Vorfälle, die keinen Straftatbestand erfüllen: etwa das Plakatieren von NPD-Postern und Verteilen von Aufklebern. Hier meldeten alle Bezirke einen starken Anstieg. Grund sei die Bundestagswahl im September gewesen, erklärte Fei Kaldrack vom Register Pankow. Auch auf der Internetseite der Heinersdorfer Moschee habe es auffallend viele rassistische Kommentare gegeben.
Trotz teils erfreulicher Zahlen sei Zurückhaltung geboten, sagte Sebastian Wehrhan von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Als warnendes Signal nannte er die Drohbriefe, die in den letzten Wochen an Teilnehmer der Neonazi-Blockade am 13. Februar in Dresden verschickt worden waren. Deren Botschaft war: “Dein Leben interessiert uns brennend.” “Die Briefe zeigen, dass sich die Nazis empfindlich getroffen fühlen”, so Wehrhan. Gleichzeitig deute die Botschaft auf eine Radikalisierung hin und mahne zu Vorsicht.
(_Sebastian Kempkens_)