ND: Zehn Jahre Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR), das wird heute ab 19 Uhr im Lido in Kreuzberg gefeiert. Am Morgen ehrt zudem Sozialsenatorin Carola Bluhm (LINKE) das Projekt. Hätten Sie als Gründungsmitglied der MBR im Jahr 2001 gedacht, dass der Kampf gegen die extreme Rechte in dieser Form quasi zur Lebensaufgabe wird?
Klose: Wir hätten es damals nicht für möglich gehalten, dass die Mobile Beratung es schafft, sich in Berlin so zu etablieren. Dieser zehnjährige Geburtstag gibt unserer Arbeit recht, weil er zeigt, dass unser Ansatz ein Erfolgsmodell ist, mit dem man nachhaltig Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus bekämpfen und Bürgerinnen und Bürger unterstützen kann.
Was macht denn das Konzept der MBR so vorbildhaft?
Unsere Idee ist Hilfe zur Selbsthilfe. Das heißt, wir setzen selbst nicht Projekte um, sondern die Bürger/innen, die Kommunalpolitiker/innen, die Lehrer/innen, Jugendarbeiter/innen, die Vereine, also die Beratungsnehmer/innen machen das. Sie sind die Experten auf ihren Gebieten. Wir warten darauf, dass sie sich bei uns melden, sobald es ein Problem mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus gibt. Natürlich sind auch jene herzlich willkommen, die sich präventiv mit diesen Herausforderungen auseinandersetzen wollen.
Lässt sich beziffern, wie viele Menschen sich in den letzten zehn Jahren bei Ihnen gemeldet haben?
Ich lade Sie gerne ein, hier einen Tag zu verbringen, um zu sehen, wie viele E-Mails, wie viele Anrufe tagtäglich immer noch eingehen. Dabei gibt es zwei Fälle: Menschen, die eine Intervention wünschen, weil es vor Ort ein Problem etwa mit einem rechtsextremen Laden gibt oder ein Nachbar sich gestört fühlt von rechtsextremer Musik in der Nachbarwohnung. Der andere Fall sind langfristige Beratungen – dabei ist die Bandbreite enorm. Ob Wirtschaft, Bildung, Politik oder Sport: Es gibt keinen Bereich, in dem wir in den vergangenen zehn Jahren nicht beratend tätig waren. Dies alles zeigt, wie groß die Herausforderungen des Rechtsextremismus und Rassismus in unserer Gesellschaft sind.
Beratertätigkeit. Das klingt erstmal ungefährlich. Sie und andere Mitarbeiter der MBR wurden im Lauf der Jahre jedoch immer wieder von Rechtsextremisten bedroht.
Für uns belegt das den Erfolg unserer Arbeit. Denn die Rechtsextremisten fühlen sich gestört, sie können sich nicht entfalten. In Berlin ist es der rechtsextremen Szene nicht möglich, sich wie gewünscht in der Öffentlichkeit zu inszenieren, weil es eine starke Gegenbewegung gibt. Trotz aller persönlichen Drohungen gilt unsere Anerkennung jedoch vor allem jenen Menschen, die sich vor Ort für eine gelebte Demokratie einsetzen – und dies trotz einer zunehmenden Radikalisierung der rechtsextremen Szene.
Aber ist der gewalttätige Aktionismus der »Autonomen Nationalisten« nicht ein weiterer Beleg der Schwäche? Auch die NPD geriert sich in Berlin radikaler als 2001, weil sie kaum voran kommt.
Die rechtsextreme Szene in Berlin hat sich verändert. Sowohl im Outfit als auch in den Strategien spiegelt sich das urbane Umfeld. Die Rechten haben sich jedoch nicht nur aus sich selbst heraus verändert, sondern vor allem wegen des öffentlichen Drucks durch die Zivilgesellschaft. Und mit Blick auf die Verbote auch durch die staatlichen Organe. Dass mit der Schwächung der rechtsextremen Szene eine Radikalisierung einher geht, ist beunruhigend. Wir müssen daran festhalten, vor Ort zu sensibilisieren, Nichtbetroffene zu gewinnen und vor allem die Menschen dazu zu bringen, aktive Solidarität zu leben.
Nimmt man die spaltenden Thesen Thilo Sarrazins, sind wir von so einer Solidarität zurzeit meilenweit entfernt. Auch in Berlin haben sich rechtspopulistische Parteien, wie wir sie aus Nachbarländern seit Jahren kennen, gegründet. Ist das nicht auch ein Handlungsfeld für die MBR?
Natürlich werden wir auch in diesem Wahlkampf den demokratischen Parteien beratend zur Seite stehen, damit sie sich mit Blick auf Rechtsextremismus und Rechtspopulismus ausreichend gewappnet fühlen. In Zukunft würden wir aber tatsächlich gerne stärker das genannte Feld bearbeiten. Schließlich sind alle gefordert, den antimuslimischen Rassismus in seine Schranken zu weisen. Das hängt jedoch auch von unseren Ressourcen und Kapazitäten im Team ab.
Sie spielen auf die drohenden substanziellen Kürzungen von 20 000 Euro aus Bundesmitteln an, die der MBR drohen, weil sie die Extremismusklausel von CDU-Bundesministerin Kristina Schröder nicht unterzeichnen will.
Es ist sehr ärgerlich, dass unsere erfolgreiche und inzwischen vollkommen akzeptierte Arbeit nun von dem zuständigen Bundesfamilienministerium torpediert wird. Für uns ist diese Klausel antidemokratisch, weil sie einen Bekenntniszwang fordert – und eine Überprüfung unser Partner/innen auf Verfassungstreue. Das schürt Misstrauen und hemmt Engagement. Deshalb werden wir diese Klausel nicht unterschreiben und sind jetzt erstmalig auf Spenden der Bürgerinnen und Bürger angewiesen, die unsere Arbeit wertschätzen. Wir sind für jede Spende dankbar!
Beim letzten Mal, als ein Bundesprogramm gekürzt wurde, sprang der rot-rote Senat ein. Gibt es diesmal keine Signale aus der Landespolitik, die fehlenden Gelder zu kompensieren?
Der Senat trägt unsere Entscheidung, die Klausel nicht zu unterschreiben, mit. Da sind wir in einer privilegierten Position im Vergleich mit Kolleg/innen in anderen Bundesländern. Zudem kompensiert das Land Berlin tatsächlich einen Großteil der wegfallenden Bundesgelder. Das reicht aber bedauerlicherweise nicht.
Die MBR ist ein Exportschlager geworden, das könnte sich der Senat doch mehr kosten lassen?
Die Vernetzung und Verzahnung von Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und beratenden Projekten in Berlin ist vorbildlich. Hier wurden Standards in der Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus gesetzt, die sich bundesweit sehen lassen können: Der Senat zeigt sich hier weitaus demokratischer und vorbildlicher, als es eine solche Demokratieklausel überhaupt auf den Weg bringen kann.
Spendenportal: www.berlin-gegen-nazis.de