Berlin – Das Bundesfamilienministerium hat im Streit mit mehreren Initiativen gegen Rechtsextremismus einen Dämpfer bekommen. Der renommierte Verwaltungsrechtler Ulrich Battis von der Berliner Humboldt-Universität bezeichnet nach Informationen des Tagesspiegels in einem Gutachten eine umstrittene Extremismusklausel im Bundesprogramm “Toleranz fördern – Kompetenz stärken” weitgehend als “mit dem Grundgesetz nicht vereinbar”. Das von Kristina Schröder (CDU) geleitete Ministerium macht die Erteilung von Geldern aus dem 2011 startenden Bundesprogramm davon abhängig, ob Initiativen die anti-extremistische Erklärung unterzeichnen. Darin wird ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlangt.
Für Battis stellen Teile der Klausel einen Verstoß gegen Artikel 3 der Verfassung dar, in dem die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz garantiert wird. Auftraggeber seines Gutachtens sind die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, das Kulturbüro Sachsen, der Potsdamer Verein Opferperspektive und der Verein für Demokratische Kultur in Berlin.
Die Initiativen müssen dem Ministerium bestätigen, dass sie “eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit leisten” und erklären, “auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen”, dass Organisationen und Referenten, mit denen sie kooperieren, “sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten”. Die Initiativen sollen dazu Informationen über ihre Partner einholen: etwa durch Befragung weiterer Träger geförderter Maßnahmen und die Lektüre der Jahresberichte von Verfassungsschutzbehörden. Es dürfe keinesfalls, heißt in der Erklärung, der Anschein erweckt werden, einer Unterstützung extremistischer Strukturen werde durch materielle und immaterielle Leistungen Vorschub geleistet.
Viele Initiativen gegen Rechtsextremismus werfen dem Ministerium vor, es stelle sie so unter den Generalverdacht, linksextrem zu sein und verlange Gesinnungsschnüffelei. Im November gab es den ersten Eklat: Das Alternative Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz aus Pirna verweigerte die Annahme des mit 10 000 Euro dotierten Sächsischen Förderpreises für Demokratie und lehnte eine dazu verlangte “Ehrenerklärung” ab, die mit der Extremismusklausel des Familienministeriums identisch ist. Kritik an der Klausel äußern auch Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei sowie Wissenschaftler, Gewerkschafter und kirchliche Organisationen. Unter einer Online-Petition stehen mehr als 900 Unterschriften. SPD- Generalsekretärin Andrea Nahles sagte jetzt, die Erklärung sei “das Papier nicht wert, auf dem sie steht”.
Battis bemängelt in seinem Gutachten, das dem Tagesspiegel vorliegt, abgesehen von dem Bekenntnis zur freiheitlich- demokratischen Grundordnung im ersten Satz der Erklärung sei der Text mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar. Denn Initiativen, die staatliche Mittel beantragten, würden “auf eine gegenseitige, praktisch kaum durchführbare Kontrolle” verpflichtet, die “zu einer erheblichen Belastung der Zusammenarbeit der Gruppen und Initiativen führen wird”. Außerdem hält Battis mehrere Formulierungen für vage und moniert, damit werde das Bestimmtheitsgebot missachtet. Aus Sicht des Verwaltungsrechtlers ist es nicht zu verantworten, Initiativen staatliches Geld vorzuenthalten und sie damit ungleich zu behandeln, wenn sie die Erklärung nicht unterschreiben.
Das Familienministerium widerspricht: Eine Ungleichbehandlung von Initiativen finde nicht statt, heißt es in einer Stellungnahme zu Fragen des Tagesspiegels. Es gehe bei der “Demokratieerklärung” darum, zu verhindern, “dass extremistische Organisationen von uns unterstützt werden”. Das Ministerium verweist auf mehrere Initiativen und Organisationen, die die Erklärung bereits unterzeichnet haben. Bei den Initiativen, die das nicht tun wollen, ist zu hören, dass sie klagen werden, sollte das Ministerium ihnen Fördermittel verweigern.
Von Frank Jansen