Die Präsenz der Rechten im Kiez war nicht zu übersehen. Seit mehr als zwei Jahren aber ist an der Wand kein Platz für rechtes Geschmiere. Ein überdimensionales Bild ziert die zehn Meter hohe Betonfläche. Der “Comic gegen Rechts”, den Jugendliche an die Wand gesprayt haben, ist das wohl auffälligste Ergebnis der Veränderungen, die der Weitlingkiez seit geraumer Zeit erlebt. Die Botschaft ist eindeutig: Hier ist kein Platz für Rechte.
Das Viertel rund um die Weitlingstraße am S-Bahnhof Lichtenberg gilt seit Jahren als Schwerpunkt der rechten Szene. Die Ursache liegt mehr als 20 Jahre zurück: Im April 1990 vermietete die Kommunale Wohnungsverwaltung Lichtenberg einer Gruppe Neonazis das Haus Weitlingstraße 122. Das wurde schnell zur Zentrale politischer Aktivitäten. Hier wurden Übergriffe und Veranstaltungen geplant, Waffen und Reisen organisiert – und das Viertel wurde zum Synonym für rechte Umtriebe. Schließlich wurde das Haus geräumt. Der schlechte Ruf blieb. Noch 2006, kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft, wurde das Gebiet zum No-Go-Area erklärt – Ausländer sollten es meiden. Zuvor war der kurdischstämmige Links-Politiker Giyasettin Sayan in der Straße überfallen worden.
Seit geraumer Zeit geben sich die politisch Verantwortlichen im Bezirk alle Mühe, positive Veränderungen im Viertel zu betonen. Der Kiez sei besser als sein Ruf, die Situation entspannter, die Straftaten seien rückläufig, ein Bündnis gegen Rechts wurde geschmiedet. Also alles nicht so schlimm? Oder versucht da jemand, ein Problem kleinzureden?
Geschäfte im Erdgeschoss
Das vermeintliche Paradies der Rechten ist einen Kilometer lang und reicht vom Bahnhof Lichtenberg bis zur Lückstraße. Vor einigen Jahren wurde die Straße saniert. Bäume wurden gepflanzt, der Asphalt ist makellos, es gilt Tempo 30. Die hell getünchten Häuser haben drei Etagen und Geschäfte im Erdgeschoss; Brillen, Taschen, Schreibwaren, Nagelstudio, Bestattungen – der übliche Branchenmix. 24 500 Menschen leben im Viertel, die Ausländerquote liegt bei sechs Prozent, die Arbeitslosenquote bei zwölf Prozent. Aber sagt das etwas darüber aus, welche Gesinnung die Menschen im Viertel haben?
Als Norbert Selbiger sein Geschäft vor elf Jahren eröffnete, waren die Rechten schon im Kiez aktiv – und sie kamen auch in seinen Juwelier-Laden. “Irgendwann hat mir jemand einen Himmler-Ring auf den Tresen gelegt und wollte, dass ich den kleiner mache”, erinnert sich der Goldschmied. Angesichts des Totenkopfringes, einer privaten Auszeichnung Heinrich Himmlers an SS-Angehörige, habe er nicht lange gezögert. “Die sind ganz schnell wieder rausgeflogen”, sagt Selbiger. Nein, Angst habe er nicht gehabt. “Man muss die nur ordentlich zusammenscheißen.”
Das klingt mutig. Aber man kann diesen Satz auch anders deuten – dass die Lage im Grunde beherrschbar ist. Diese Deutungsmöglichkeit ist das wohl größte Problem für den Kiez. Was immer die Leute sagen – es kann anders ausgelegt werden. Finden sie die Situation “nicht so schlimm”, heißt es, sie seien auf dem rechten Auge blind; sprechen sie von “Einzelfällen”, reden sie das Thema klein. Gestehen sie ein Problem ein, ist es riesig. “Wenn zehn Leute im Kiez randalieren, schreiben das alle”, sagt Goldschmied Selbiger resigniert. “Aber wenn es zwei Jahre ruhig bleibt bei uns, ist das keine Zeile wert.”
Viele wollen inzwischen gar nicht über das Viertel reden – aus Sorge, falsch verstanden zu werden. “Ich weiß nicht, was ich Druckreifes über die Straße sagen soll”, sagt die Frau im Wäscheladen. Seit 16 Jahren sei sie hier, aber die Neonazis spielen bei Gesprächen in ihrem Geschäft keine Rolle. Und ja, sie fühle sich wohl hier. “Fragen Sie mal im Papierladen nach”, empfiehlt sie.
Dort steht eine kleine Frau hinter dem Tresen, auf der anderen Seite ein Mann mit Schiebermütze, ein guter Freund. “Die Gegend war nie richtig rechts”, sagt der Mann, der gleich um die Ecke wohnt. Das Thema sei aufgebauscht worden. Gehe es um Rechtsextreme in Berlin, werde immer wieder die Weitlingstraße gezeigt. “Und wo sollen Rechte demonstrieren, wenn sie woanders nicht dürfen? Die werden zu uns geschickt.” Damit werde ständig das Klischee bedient. “Dabei geht es bei uns schon lange nicht mehr um das Thema.”
Aber lange ging es genau darum, auch im Bezirksamt. “Eines der ersten Probleme, mit dem ich konfrontiert wurde, war der Weitlingkiez”, sagt Bezirkbürgermeisterin Christina Emmrich. Die Links-Politikerin, eine resolute Frau mit roten Haaren und starkem Sächsisch, hat stets betont, wie sehr ihr an Aktionen gegen Neonazis gelegen ist. Und Emmrich, die sich auch selbst an Protestdemos beteiligt, war längst nicht die einzige. 2006 wurde ein Lokaler Aktionsplan ins Leben gerufen, gefördert vom Familienministerium. Ein Bündnis für Demokratie und Toleranz wurde gegründet und ein Unternehmerstammtisch, gemeinschaftlich wurden rechte Schmierereien entfernt, Anwohner über Symbole und Zeichen der Rechten informiert. “Wir haben ein Riesennetz an Kooperationen geschaffen”, sagt Andreas Wächter, der den Aktionsplan koordiniert. 440.000 Euro wurden seit 2006 in den Kiez investiert, 124 Einzelprojekte umgesetzt. “Den Neonazis gefällt es schon lange nicht mehr hier”, sagt Wächter.
Der Streifenpolizist Peter Scharfenberg, der seit Jahren im Kiez arbeitet, formuliert es vornehmer. “Das subjektive und objektive Sicherheitsgefühl ist gestiegen”, sagt er. Auch die Zahl der “Kameraden” im Kiez sei kleiner geworden. Bereits vor drei Jahren konstatierte der Verfassungsschutz, dass es in Rudow in Neukölln signifikant mehr Straftaten von Rechtsextremen gebe. Auch in Friedrichshain und Pankow ereignen sich mehr Zwischenfälle als in Lichtenberg.
“Es hat sich wirklich viel getan”, sagt auch Sabine Kritter von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus. Die Kneipe “Kiste”, ein bekannter Nazi-Treff, habe vor Jahren schließen müssen; Infostände der Neonazis würden von Protesten der Anwohner begleitet. Aber weg seien die Neonazis natürlich nicht. “Einige der aktivsten Rechtsextremen wohnen noch im Kiez”, sagt Kritter. Und nach wie vor ereigneten sich in der Weitlingstraße die meisten Vorfälle im Bezirk Lichtenberg.
Pöbeln im Geschäft
Trong Nguyen (Name geändert) weiß das aus Erfahrung. Seit drei Monaten führt der Vietnamese einen Lebensmittelladen in der Weitlingstraße, und täglich bekommt er Besuch. “Der Mann geht durch den Laden und sagt: He, Dein Geschäft läuft nicht, Du bist gar kein Deutscher, was machst du hier?” Der Vietnamese, der im benachbarten Kaskelkiez einen Laden hat, wollte sich ein zweites Standbein schaffen. “Ich bin total enttäuscht von der Straße”, sagt Nguyen. Im Kaskelkiez würden die Leute ihm beim Auspacken seines Autos helfen, hier das. “Was heißt, ich bin Ausländer? Ich lebe seit 24 Jahren in Lichtenberg, ich bin doch auch in Vietnam Ausländer.”
Zusammengeschissen hat der Einzelhändler den rechten Pöbler nicht. Was er empfindet, ist nicht zu übersehen: Er hat Angst.
(Claudia Fuchs)