Verschwörungsideologische und rechtsoffene Akteur_innen mobilisieren unter dem Label “Pfingsten in Berlin“ zu mehreren Versammlungen zwischen dem 21. und 24. Mai 2021 in die Hauptstadt. Mit bewusst offen und anschlussfähig formulierten Forderungen versuchen sie, das sich ausdifferenzierende Spektrum von Gegner_innen der Corona-Maßnahmen wieder stärker zusammenzubringen.
Seit mehreren Monaten wird auf einer eigens dafür erstellten Homepage ein viertägiges Aktionswochenende bundesweit beworben. Es soll am Freitag, den 21. Mai, mit einer Autokorso-Sternfahrt zum Theodor-Heuss-Platz beginnen und am Samstag, den 22. Mai, mit vier Schweigemärschen zum Großen Stern im Tiergarten fortgesetzt werden. Eine zentrale Kundgebung im Tiergarten ist am Pfingstsonntag geplant. Zum Abschluss sind am Pfingstmontag über ein dutzend Kundgebungen in mehreren Berliner Bezirken angemeldet.Am Mittwoch, den 19. Mai 2021 wurden einzelne Veranstaltungen verboten, darunter die Aufmärsche am Samstag und die Kundgebung am Sonntag. Die Organisator_innen wollen juristisch dagegen vorgehen und mobilisieren weiter nach Berlin. Im verschwörungsideologischen Milieu, das haben die vergangenen Monate gezeigt, führen Versammlungsverbote allerdings nicht zu einem Abflauen der Mobilisierung, sondern haben vielmehr einen verstärkenden Effekt nach dem Motto: „Jetzt erst recht!“
Eine detaillierte Übersicht der Anmeldungen aus den verschwörungsideologischen und rechtsoffenen Spektren und alle Informationen zu den Gegenprotesten der Berliner Zivilgesellschaft sowie den Verboten finden sich auf der Webseite unseres Partnerprojekts Berlin gegen Nazis.
Handlungsleitend: Verschwörungsideologische Annahmen
Der thematische Schwerpunkt der Homepage „Pfingsten in Berlin“ liegt – ausgehend von einem veröffentlichten „Manifest“ – auf der Verteidigung beziehungsweise Rückerlangung angeblich nicht mehr gewährter Grundrechte. Die Einschränkung dieser Grundrechte würde von „medialen Angstkampagnen“ durch zensierte Medien begleitet, heißt es dort. Eine sofortige Beendigung aller staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie, auf einer Grafik als „P(l)andemie“ bezeichnet, wird gefordert. Diese Motive sind bereits von den seit mehr als einem Jahr stattfindenden Versammlungen verschwörungsideologischer Akteur_innen in Berlin bekannt. Sie werden bei „Pfingsten in Berlin“ bemüht gemäßigt präsentiert, um den Anschein einer breiten Bewegung zu erwecken, der es vorrangig um die Verteidigung von Grund- und Menschenrechten, der Meinungs- und Pressefreiheit, letztlich der Demokratie geht.
An verschiedenen Stellen, in denen die Organisator_innen bzw. ihre Unterstützer_innen ihre Inhalte konkretisieren, wird jedoch deutlich, dass es keineswegs um eine legitime Kritik an den Maßnahmen geht, sondern verschwörungsideologische Annahmen handlungsleitend sind.
In einem von den Organisator_innen verbreiteten Video, bei dem u.a. „Prominente“ des Querdenken-Milieus für die Teilnahme werben, wird etwa auf die Verschwörungserzählung vom „Great Reset“ (1) Bezug genommen. Ein in der Szene prominenter Musiker spricht sich gegen das „installierte pharma-faschistische Gesundheitssystem“ aus, das angeblich dabei sei, „die Gesundheit unserer Kinder zu zerstören“. In einem eigens für die Pfingstveranstaltungen erstellten Lied, das als Video auf der Seite abrufbar ist, reißt der besungene Protagonist seinen Mundnasenschutz herunter und demonstriert gemeinsam mit anderen gegen die „Faschisten“. Es handelt sich hierbei um die in diesem Spektrum gängige Deutung, dass sich Deutschland mittlerweile zu einem faschistischen Staat entwickelt hätte oder zumindest auf dem besten Weg dorthin sei. Die Maskenpflicht wird als ein Ausdruck dessen verstanden. Dieser Auffassung nach dienen die Eindämmungsmaßnahmen grundsätzlich nicht dem Schutz der Bevölkerung, sondern werden – je nach Auslegung – wahlweise von der Regierung oder einer Elite genutzt, um die Demokratie abzuschaffen. Die Verantwortlichen dafür sollen laut dem Manifest „zur Rechenschaft gezogen werden“.
In einem Videokanal verschwörungsideologischer Aktivist_innen, von denen einer bereits von gegen Geflüchtete gerichtete Versammlungen bekannt ist, werben mehrere Mitorganisatorinnen für die Pfingstveranstaltungen. Eine bezeichnet die aktuelle Impfkampagne als „Genozid an der Menschheit“, eine andere wettert gegen „die Systempresse“. Eine dritte Mitorganisatorin sagt im selben Video, Bill Gates wolle sieben Milliarden Menschen impfen lassen und kommentiert dies mit den Worten: „Mengele war bescheiden, der hat nur ein paar tausend Juden als Laborratten missbraucht.“ Zudem äußern sie die Hoffnung, dass Teilnehmende über ihre bisherigen, verschwörungsideologisch geprägten Kreise hinaus erreicht werden können. Deswegen gelte auch ein allgemeines Flaggenverbot, damit die dadurch hervorgerufene „Spaltung“ überwunden wird und sich „alle Menschen“ eingeladen fühlen. Es fällt auf, dass nicht die Inhalte und Präsenz von Rechtsextremen und Reichsbürgern auf den vergangenen Versammlungen kritisiert wird, sondern die mediale und zivilgesellschaftliche Thematisierung dieser Teilnehmenden.
NS-Verharmlosung, Antisemitismus und Offenheit gegenüber Rechtsextremen: Die Milieus der Organisator_innen
Ein Blick auf die federführenden Personen der Pfingstaktionen lässt die Mobilisierungstaktik als altbekanntes Mittel erscheinen. Mehrere der sich verantwortlich zeichnenden Personen fielen in der Vergangenheit bereits durch die Organisation der verschwörungsideologischen Versammlungsreihe „Der Schweigemarsch“ in Berlin auf und sind dem „Netzwerk Impfentscheid Deutschland“ zuzurechnen, mit dem sie schon vor der Corona-Pandemie rechtsoffene Demonstrationen gegen einen vermeintlichen „Impfzwang“ durchführten. Auf einer Demonstration im Zentrum Berlins im September 2019 waren diverse Verschwörungsnarrative identisch mit denen der großen Versammlungen der verschwörungsideologischen „Querdenken“-Spektren des Jahres 2020 in Berlin. Mehrere Personen der Pfingstmobilisierung waren zuvor ebenfalls bei den rechtsoffenen „Mahnwachen für den Frieden“ aktiv.(2) Die „Friedensmahnwachen“ (2014), die „Impfgegnerdemos“ (2019) und der „Schweigemarsch“ (2020/21) sind allesamt als rechtsoffen einzustufen und waren verschwörungsideologisch geprägt. Immer wieder kam es auf diesen Versammlungen zu NS-relativierenden Vorfällen.
Dass solche von den Veranstaltenden nicht nur geduldet werden, verdeutlicht u.a. das Facebook-Profil einer der verantwortlichen Personen: Dort wird unter anderem ein Judenstern mit der Aufschrift „nicht geimpft“ sowie ein Foto einer antijüdischen Boykottaktion der SA aus den 1930er Jahren mit folgender Beschreibung gezeigt: „Mal sehen wann bei mir die Zündschnur brennt und ich die Flucht ergreife bevor es heißt, deutsche meidet Ungeimpfte.“ Im April veröffentlichte er zudem ein Bild, auf dem er das Infektionsschutzgesetz mit den NS-Ermächtigungsgesetzen von 1933 gleichsetzt. Über den Werdegang dieser Person berichtete auch der Tagesspiegel: „Der Berliner Aktivist Andreas M. zum Beispiel. Im Sommer 2014 beginnt sein Engagement bei den Montagsmahnwachen. Ein Jahr später verbreitet er bereits Inhalte des Compact-Magazins und der rechtsextremen Identitären Bewegung, warnt vor der ‚Diktatur-Zentrum-BRD-GmbH‘ und postet dazu eine Zeichnung des Bundestags, auf dem die israelische Flagge weht. Im Sommer 2020 ist er im ‚Querdenken‘-Camp angekommen, dem Zeltlager der Coronaleugner im Berliner Tiergarten.“ (3)
Als „Netzwerk Impfentscheid“ beteiligte sich der Zusammenhang Ende August 2020 mit einem eigenen Lautsprecher-LKW an der bundesweiten Querdenken-Demonstration in Berlin. Er war zudem einer der Hauptprotagonist_innen für die Mobilisierung zum 18. November 2020 nach Berlin, als mehrere tausend Personen, darunter zahlreiche Rechtsextreme, gegen die Änderung des Infektionsschutzgesetzes demonstrierten und es zu gewalttätigen Ausschreitungen kam. An den seit Oktober 2020 regelmäßig stattfindenden „Schweigemärschen“ beteiligte sich meist eine vierstellige Anzahl an Personen, zudem fanden parallel in anderen Städten Veranstaltungen unter dem gleichen Namen und mit ähnlichen Teilnehmendenzahlen statt, was eine bundesweite Vernetzung zeigt.
An der Organisation der „Schweigemärsche“ als auch des kommenden Pfingstwochenendes sind neben den drei auf der Homepage genannten Personen weitere ehemalige Protagonist_innen der „Montagsmahnwachen für den Frieden“ beteiligt, wie aus einer eigenen Mobilisierungs-E-Mail sowie einem Bericht eines szenerelevanten, verschwörungsideologischen Alternativmediums hervorgeht. Wie schon bei den ersten „Schweigemärschen“ im Herbst 2020 dient als Impressumsgeber ein Ehepaar, das hinter den sogenannten Friedensfahrzeugen steht und seit April 2020 am Rosa-Luxemburg-Platz Teil der rechtoffenen Proteste sowie später kontinuierlich bei größeren Versammlungen im Bundesgebiet anwesend war. Auch sie sind bereits seit Jahren in verschwörungsideologischen Milieus der Friedensbewegung aktiv. Ebenfalls Teil des Organisationsteam für Pfingsten ist eine im Laufe des Jahres als Rednerin auf Querdenkenprotesten bekannt gewordene Ärztin, die von Pandemieleugnung bis zur Verharmlosung des NS, das gesamte verschwörungsideologische Repertoire bedient. (4)
Was ist zu erwarten?
Aufgrund der frühen Mobilisierung, den Teilnehmendenzahlen vergangener Veranstaltungen sowie der bundesweiten Vernetzung der Organisator_innen muss für das Pfingstwochenende von größeren Veranstaltungen als die derzeit in Berlin regelmäßig stattfindenden verschwörungsideologischen Versammlungen ausgegangen werden. Ob sich noch weitere (ggf. rechtsextreme) Gruppierungen an den Pfingstveranstaltungen beteiligen werden, wird sich mit der Intensivierung der Mobilisierung in den letzten Tagen vor dem Wochenende zeigen. Schon jetzt bewerben „Querdenken711“ und andere führende Protagonist_innen dieses Spektrums sowie einzelne Rechtsextreme in sozialen Medien die Termine. Zudem sind als Redner_innen altbekannte Personen der rechtsoffenen „Friedensmahnwache“ und aktueller Corona-Proteste aus verschiedenen Bundesländern angekündigt.
Trotzdem ist fraglich, ob wirklich Teilnehmer_innenzahlen in der von den Organisator_innen erwarteten Höhe erreicht werden. Die Mobilisierung zu Pfingsten bedient sich keiner emotionalisierenden „TagX“-Rhetorik oder Vergleichbarem, womit das Milieu zuletzt in Berlin angesprochen werden konnte. Ebenfalls abzuwarten bleibt, ob die kommenden Lockerungen der Maßnahmen eine sinkende Teilnahmebereitschaft am Protestgeschehen zur Folge hat, wie im vergangenen Jahr zu beobachten war.
Die aktuell verhängten Versammlungsverbote werden unabhängig vom Ausgang der Klagen dagegen keinen negativen Einfluss auf die Mobilisierung haben. Vielmehr dürfte das Gegenteil der Fall sein: Sie werden von den Organisator_innen genutzt werden, um anknüpfend an bestehende Widerstandsnarrative und Opferinszenierungen, die Bereitschaft zur Teilnahme in dem Milieu zu steigern.
Die Spanne der auf der Straße zu erwartenden Spektren wird voraussichtlich, wie bei vergangenen Veranstaltungen auch, von Corona-Relativierer_innen, Impfgegner_innen, augenscheinlich esoterischen Milieus, Pegida-Anhänger_innen und Mitgliedern evangelikaler Freikirchen über Teilnehmende der „Montagsmahnwachen für den Frieden“, Vertreter_innen verschwörungsideologischer „Alternativmedien“, „QAnon“-gläubigen „Reichsbürgern“, AfD-Mitgliedern und -Mandatsträger_innen bis hin zu klassischen Rechtsextremen und einer rechten Mischszene aus Hooligans, Gewaltprofis und „Bürgerwehren“ reichen.
(Stand 20. Mai 2021)
(1) https://www.rnd.de/politik/great-reset-was-die-verschworungserzahlung-so-gefahrlich-macht-VQ44NE735VF7DPGUPGS7JIOIDY.html
(2) https://rechtsaussen.berlin/2015/06/nicht-zu-unterschaetzen-montagsmahnwachen-fuer-den-frieden /
(3) https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/biografien-von-verschwoerungsideologen-erst-friedensaktivist-jetzt-corona-verharmloser/27064482.html
(4) https://taz.de/Razzia-bei-Aerztin-der-Leugner-Szene/!5742112/