Für das kommende Wochenende, 28.–30. August, mobilisieren bundesweit verschiedene Akteur_innen des verschwörungsideologischen Spektrums der „Corona-Proteste“ zu einer Großveranstaltung am Samstag sowie zu weiteren Events nach Berlin. Auch aus dem benachbarten Ausland kündigen sich Teilnehmende an. Insbesondere der Anteil an Rechtsextremen wird wegen der flächendeckenden Mobilisierung auch in diesen Kreisen deutlich höher liegen als bei den vergangenen Versammlungen: nahezu aus allen rechtspopulistischen und rechtsextremen Zusammenhängen, Spektren und Gruppierungen gibt es Aufrufe zur Teilnahme. Am Mittwoch, dem 26. August, hat die Berliner Versammlungsbehörde die anstehenden Demonstrationen und Kundgebungen teils verboten.
Das Verbot wird bereits juristisch angefochten.*) Ob es gerichtlich Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Die Organisator_innen der verschwörungsideologischen Proteste halten derzeit an ihrer Mobilisierung fest und rufen ihre Mitstreiter_innen zu zivilem Ungehorsam auf. Mit der Anreise zahlreicher Anhänger_innen nach Berlin sowie mit Demonstrations- und Kundgebungsversuchen ist auch im Falle eines bestehenden Verbots zu rechnen. Von dieser Mobilisierung geht eine erhebliche Gefahr hinsichtlich des Infektionsgeschehens in Deutschland aus, und darüber hinaus eine Gefahr für alle, die im Weltbild der Verschwörungsgläubigen als Gegner_innen markiert sind, etwa für alle, die sich an die Hygieneregeln wie die Maskenpflicht halten oder deren Einhaltung einfordern, Journalist_innen, Fotograf_innen, Menschen, die sich gegen Verschwörungsideologie und Rechtsextremismus positionieren, als jüdisch erkennbare oder für jüdisch gehaltene Personen, Politiker_innen und Polizist_innen.
Veranstaltungen des verschwörungsideologischen „Corona-Protestes“ sind auch für Freitag und Sonntag angekündigt. Außerdem soll es sogenannte „Protest-Camps“ in der Folgezeit geben. (1) Die Hauptveranstaltungen sollen ein Aufzug am Samstag ab 10.30 Uhr in der Straße Unter den Linden sowie eine separate Abschlusskundgebung ab 15.30 Uhr auf der Straße des 17. Juni um die Siegessäule sein. Wie schon bei der rechtsoffenen Großdemonstration gegen die Pandemieeindämmung am 1. August 2020 ist der zentrale Akteur in der Planung die Gruppierung „Querdenken 711“ aus Stuttgart.
Mobilisiert wird in verschiedenen Spektren. Seit Beginn haben wir es bei den „Corona-Protesten“ mit einem sehr heterogenen Milieu zu tun, das verschwörungsideologische Einstellungen zur Corona-Pandemie mit der Ablehnung der Eindämmungsmaßnahmen verbindet und verschiedene politische Lager zusammenbringen kann. Dies reicht von eindeutig rechtsextremen bis hin zu sich selbst als demokratisch-gesellschaftskritisch verstehenden Personen, wobei die vermeintliche kritische Haltung sich zumeist in der Ablehnung etablierter Medien, demokratischer Parteien und Politiker_innen und der gefestigten Mehrheitsmeinung der Wissenschaft erschöpft. Die unterschiedlichen Spektren eint lediglich eine diffuse Haltung des Protestes gegen „die da oben“.
Wie schon am 1. August ist der Aufruf zur Veranstaltung auch diesmal inhaltlich völlig offen – der einzige gemeinsame Nenner ist die Ablehnung der staatlichen Maßnahmen zur Pandemieeindämmung. So fühlen sich Menschen und Gruppierungen aus unterschiedlichen Spektren von solchen Events angesprochen, wie z.B. auch Impfgegner_innen oder das Esoterikmilieu. Die einzelnen Milieus sind bereits für sich genommen vergleichsweise mobilisierungsstark und können jeweils eigene inhaltliche Schwerpunkte in ihrer Agitation setzen.
Auch wenn die Hauptveranstaltenden von „Querdenken 711“ sich in ihrem Aufruf wie stets auf das Grundgesetz berufen, führte dies bereits in der Vergangenheit nicht zu einer Ablehnung beispielsweise aus dem Neonazi- oder Reichsbürgerspektrum. Inhaltliche Widersprüche zwischen den unterschiedlichen Veranstaltenden und Teilnehmenden werden ignoriert oder als Zeichen von Toleranz und Vielfalt verkauft, Kritiker als „Spalter“ denunziert.
Die Beteiligung von Rechtsextremen ist kein Zufall
Von einer „Unterwanderung“ der Proteste gegen die Pandemieeindämmung durch Rechtsextreme, wie sie in einigen Medien dargestellt wurde, kann indes nicht gesprochen werden. Vielmehr handelt es sich bei den Events des Wochenendes vom 28.– 30. August um Bündnisveranstaltungen, bei denen Organisator_innen und Teilnehmende die Präsenz von Rechtsextremen bewusst akzeptieren. Die Bezugnahme auf das Grundgesetz seitens einiger Organisator_innen steht insofern in Widerspruch zu ihrem Handeln und fungiert lediglich als Nebelkerze. Nach der Großdemonstration vom 1. August in Berlin gab es trotz des offensiven Auftretens rechtsextremer Gruppen und Einzelpersonen keinerlei Diskussionen oder gar Distanzierungen dazu in anderen teilnehmenden Spektren. Vielmehr bestehen zentrale inhaltliche Schnittmengen: Das Bündnis mit Rechtspopulist_innen und Rechtsextremen ist nur folgerichtig. Die Teilnehmenden werden geeint durch die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie als „Merkel-Regime“ oder „Merkel-Diktatur“, durch die Ablehnung der Maßnahmen zur Pandemieeindämmung als „Corona-Diktatur“ und durch verschwörungsideologische Annahmen über Covid19. Dabei drückt sich die Verschwörungsideologie immer wieder in offen antisemitischen Formen aus.
Zum kommenden Wochenende mobilisieren erneut rechtsextreme Gruppierungen und Einzelpersonen – dieses Mal allerdings in deutlich größerer Breite und Anzahl als zum 1. August. So rufen Gliederungen der NPD aus unterschiedlichen Bundesländern (u.a. Sachsen, Hessen, Berlin) und die neonazistische Kleinstpartei „Der III. Weg“ zur Teilnahme auf. Ebenso wird der Termin auf den Internetseiten aktionsorientierter Rechtsextremer und innerhalb des rechtsextremen Musiknetzwerks beworben. Das reichweitenstarke Magazin „Compact“ will sich bereits ab Freitag an den Veranstaltungen beteiligen, ebenso Protagonisten der „Identitären Bewegung“ und anderer Zusammenschlüsse der sogenannten „Neuen Rechten“. Die Gruppierung „Patriotic Opposition Europe“ plant für den Aufzug am Samstag erneut einen eigenen Lautsprecherwagen in Kooperation mit den Berliner „Corona-Rebellen“.
Führende rechtsextreme Ideologen wie Götz Kubitschek (u.a. „Institut für Staatspolitik“) und Jürgen Elsässer (Magazin „Compact“) streben seit Jahren nach einer kontinuierlichen außerparlamentarischen Massenmobilisierung und erhoffen sich diese aktuell von den „Corona-Protesten“. Beide Ideologieproduzenten rufen zu den Veranstaltungen am kommenden Wochenende auf.
Auch Anhänger_innen der AfD beteiligten sich regelmäßig an vergangenen „Corona-Protesten“. Für kommenden Samstag rufen nun auch Personen aus der AfD-Führungsriege auf, wie der thüringische Landesvorsitzender Björn Höcke, die Fraktionsvorsitzende im Bundestag Alice Weidel oder der Chef der Bundespartei Tino Chrupalla. Verschiedene AfD-Regionalverbände und Akteur_innen aus der Lokalpolitik werben ebenfalls für die Teilnahme.
Anhänger_innen der „QAnon“-Verschwörungserzählung waren schon am 1. August zahlreich und deutlich erkennbar vor Ort. Diese Verschwörungserzählung findet im Milieu der „Corona-Proteste“ immer größeren Zuspruch. Auch die Organisator_innen selbst sind davon nicht auszunehmen: Der Gründer von „Querdenken 711“ sprach auf der Bühne der Abschlusskundgebung die in „QAnon“-Kreisen gebräuchliche Erkennungsformel WWG1WGA („Where we go one, we go all“) aus. Dies zeigt beispielhaft, wie auch die nicht aus dem rechtsextremen Milieu stammenden Veranstalter_innen immer wieder antisemitische Verschwörungsideologien gebrauchen. Sie haben nicht nur keine Probleme, mit Personen zu kooperieren, die Antisemitismus und Verschwörungsideologie vertreten oder sogar den Holocaust leugnen, sie bauen auch selbst aktiv Brücken ins rechtsextreme Lager.
Mobilisierung bundesweit und in Nachbarstaaten
Das Milieu der „Corona-Proteste“ hat am 1. August in Berlin bewiesen, dass es in der Lage ist, eine deutlich fünfstellige Anzahl an Menschen zu mobilisieren. Für die Organisator_innen und Teilnehmenden waren die Veranstaltungen am 1. August ein Erfolg und ein Motivationsschub. Dies dürfte zur erneuten Mobilisierung eines Großteils der Teilnehmenden und zur zusätzlichen Aktivierung von weiteren Sympathisant_innen führen.
Die Unterstützung durch die Initative „Honk for hope“, die günstige Anreisemöglichkeiten mit Bussen aus dem Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland anbietet, verstärkt den Zustrom auch aus weiter entfernten Regionen, wie bereits am 1. August. Anders als bei früheren Großevents in Berlin entfällt so die Notwendigkeit, Fahrgemeinschaften und Reisegruppen zu bilden, wodurch sich der organisatorische Aufwand für die Einzelpersonen stark reduziert. Dies fördert die Mobilisierung.
Neben „Querdenken“ sind auch einige erfolgreiche YouTube-Akteure führende Protagonisten des Milieus der „Corona-Proteste“. Diese verdienen aufgrund ihrer hohen Reputation in der Szene, ihrer großen Reichweite in sozialen Medien und durch eine entsprechende Selbstvermarktung als „Bewegungsunternehmer“ ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise mit der Verbreitung von Verschwörungserzählungen und können viele Anhänger_innen mobilisieren.
Aus diesen Gründen sowie wegen der starken Mobilisierung in rechtsextremen Kreisen muss für das Wochenende 28.–30. August von einer höheren Teilnehmendenzahl als am 1. August ausgegangen werden. Insbesondere der Anteil Rechtsextremer wird am kommenden Wochenende deutlich höher liegen als bei den vergangenen Versammlungen.
Gefahrenpotential
Die angekündigten Versammlungen bergen in doppelter Hinsicht ein Gefahrenpotential. Zum einen als potentielles „Super-Spreading-Event“, zum anderen durch die hohe Aggressivität vieler Teilnehmender.
Die aktuell wieder steigende Zahl an Neuinfektionen mit dem Corona-Virus hat für diese Personen keine Relevanz, im Gegenteil: Schon am 1. August lag der Zweck der Veranstaltung im demonstrativen, kollektiven Verstoß gegen die Maßnahmen zur Pandemieeindämmung. Die Veranstaltenden gefährden mit ihrer Massenmobilisierung und der bewussten Verweigerung von Schutzmaßnahmen nicht nur sich selbst, sondern auch andere. Schon am 1. August lag der Zweck der Veranstaltung im demonstrativen, kollektiven Verstoß gegen die Maßnahmen zur Pandemieeindämmung. Das Tragen von Schutzmasken wird als Zeichen diktatorischer Unterdrückung gedeutet und abgelehnt. Teilnehmende gingen sogar gewaltsam gegen Personen vor, die eine Maske trugen. Trotz der visuellen und rhetorischen Selbstinszenierung als friedlich (u.a. durch eine vielfache Nutzung von Begriffen wie „Freiheit“, „Frieden“ oder „Liebe“) distanzierten sich große Teile der Teilnehmenden am 1. August nicht von gewalttätigen Aktionen gegen Journalist_innen, Maskenträger_innen und andere Personen, geschweige denn, dass sie gegen diese Aktionen eingeschritten wären. Solche Taten wurden in der Regel beklatscht, bejubelt und so noch befördert.
Dem Verein democ fiel am 1. August zudem „ein ausgeprägtes Strafbedürfnis unter den Teilnehmenden auf. Politiker_innen wie Angela Merkel oder Jens Spahn, und Wissenschaftler_innen wie Christian Drosten, die für die unliebsamen Corona-Maßnahmen verantwortlich gemacht werden, sollen abgestraft und weggesperrt werden, wie auf mehreren T-Shirts und Bannern zu lesen war. Das autoritäre Bedürfnis zu strafen, statt sich demokratisch auseinanderzusetzen, steht in starkem Kontrast zur Selbstinszenierung als demokratische Freiheitskämpfer.“ (2)
Am 1. August war eine deutliche Grundaggressivität feststellbar. (3) Diese wird am Wochenende 28.–30. August angesichts der vermutlich höheren Beteiligung gerade auch von gewaltbefürwortenden und gewaltsuchenden Rechtsextremen zu einem noch größeren Problem für die Stadtgesellschaft werden. Das Potenzial rechtsextremer Gewalttäter_innen in Kombination mit der massiven Umsturz-Rhetorik und dem Selbstverständnis vieler Teilnehmenden, sich im Kampf gegen eine Diktatur zu befinden, birgt die erhöhte Gefahr von Anfeindungen und gewalttätigen Übergriffen auf als Feinde markierte Personen vor, bei und nach den Veranstaltungen sowie in deren Umfeld. Unabhängig vom Ergebnis der juristischen Auseinandersetzung um das Versammlungsverbot ist es allem voran Aufgabe der Berliner Polizei, für die Sicherheit des demokratischen Gegenprotestes, von Medienvertreter_innen und allen anderen potenziell bedrohten Menschen zu sorgen.
Herausforderung für Demokrat_innen
Die demokratische Zivilgesellschaft Berlins steht hinsichtlich der „Corona-Proteste“ vor einer großen Herausforderung und auch Handlungsunsicherheit. Wie können in Zeiten der Pandemie überhaupt verantwortliche und solidarische Proteste auch in größerer Zahl auf die Straße getragen werden? Angepasste Möglichkeiten der massenhaften demokratischen Positionierung, etwa durch Markierung des öffentlichen Raums oder durch Statements in sozialen Medien, werden noch diskutiert, entwickelt und erprobt.
Zudem stellen die Heterogenität des Spektrums der Corona-Proteste und ihre inhaltliche Offenheit eine Herausforderung dar. Der Protest der demokratischen Zivilgesellschaft ist erst noch dabei, eine Sprache zu finden, mit der die Verschwörungsideologie sowie die Freiheits- und Rebellionsrhetorik der aktuellen Massenmobilisierung mit starker rechtsextremer Beteiligung kritisch erfasst werden kann.
Ǘber geplante Gegenproteste informiert unser Partnerprojekt Berlin gegen Nazis.
*) Beim Berliner Verwaltungsgericht ging am Donnerstag, den 27.08.2020 der entsprechende Eilantrag der Veranstaltenden gegen das Verbot der Versammlungsbehörde ein.
Stand: 27.08.2020, 14:00 Uhr
(1) Sämtliche Veranstaltungen zählt unser Partnerprojekt „Berlin gegen Nazis“ auf seiner Seite auf: https://berlin-gegen-nazis.de/erneute-rechtsoffene-reichsburgerliche-und-rechtsextreme-versammlungen-und-ein-reichsbuerger-aufmarsch-in-berlin/
(2) https://democ.de/zwischen-reichs-und-regenbogenflagge-corona-querfront-befindet-sich-im-aufwind/
(3) https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/corona-demo-in-berlin-die-aggressivitaet-wird-hinter-einigen-peace-fahnen-versteckt