Für Samstag, den 1. August 2020, mobilisieren verschiedene Akteur_innen des heterogenen und primär verschwörungsideologisch geprägten Spektrums der „Corona-Proteste“ bundesweit zu einer „Großveranstaltung“ nach Berlin. Unter dem Motto „Das Ende der Pandemie – Der Tag der Freiheit“ haben die beiden Zusammenschlüsse „Querdenken 711“ aus Stuttgart und die Berliner „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ (KDW), die auch unter dem Label „nichtohneuns“ auftritt, mehrere Versammlungen in der Berliner Innenstadt angemeldet. Zudem sind am Freitag und am Sonntag ebenfalls Veranstaltungen geplant. Ursprünglich wollten die Organisator_innen eine Demonstration auf dem Tempelhofer Feld durchführen.
Zuletzt abnehmende Resonanz in Berlin
Angesichts der Tatsache, dass aus diesem Spektrum in Berlin zuletzt nur wenige hundert Personen mobilisiert werden konnten und entsprechende Veranstaltungen auch medial kaum mehr Beachtung fanden, erscheint die ursprüngliche Zahl angemeldeter Teilnehmender von 500.000 fernab jeglicher Realität. Mit dem neuen Versammlungsort wurde die Anmeldung auf 10.000 Personen reduziert. Zunächst ist ab 11:00 Uhr ein Aufzug vom Brandenburger Tor aus angemeldet, der u.a. über Friedrichstraße, Oranienburger Straße, Alexanderplatz, Leipziger Straße und Potsdamer Platz zur Straße des 17. Juni führen und dort um 14:30 Uhr enden soll. Im Anschluss sind auf der Straße des 17. Juni eine Kundgebung sowie eine Art Tanzveranstaltung geplant. Sie sollen zwischen 15:30 und 22:00 Uhr stattfinden. Für den Folgetag, den 2. August 2020, rufen die Veranstalter_innen alle angereisten Initiativen zu dezentralen eigenen Versammlungen im Berliner Stadtgebiet auf. Bisher gibt es Anmeldungen am Platz des 18. März ab 12 Uhr und im Mauerpark ab 15 Uhr. Zudem plant die KDW bereits am Freitagabend ab 17:30 Uhr einen Aufzug vom Reichstag zum Rosa-Luxemburg-Platz.
Nach der allgemein abnehmenden Resonanz bei den sogenannten Corona-Protesten sowie einer Ausdifferenzierung in verschiedene Gruppierungen und Veranstaltungen waren in Berlin seit mehreren Wochen Bestrebungen feststellbar, ein temporäres Bündnis zu schließen und alle Akteur_innen unter dem Dach einer Veranstaltung zu vereinigen. Offenbar stellt die Anmeldung für den 1. August nach mehreren erfolglosen Anläufen nun den bundesweiten Versuch dar, den Protesten wieder größere Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Verschwörungsideologie als verbindendes Element
Inhaltlich und bezüglich der Zusammensetzung der Protestakteur_innen hat sich insgesamt wenig geändert. Wie bereits in früheren Analysen der MBR (1) beschrieben, handelt es sich bei den Protestierenden um ein diffuses Spektrum, deren verbindendes Element in verschwörungsideologisch beeinflussten Vorannahmen besteht. Die Veranstaltungen waren zudem von Beginn an offen für rechtspopulistische und rechtsextreme Inhalte. Unwidersprochen konnten beispielsweise Rechtsextreme, Anhänger_innen antisemitisch codierter Verschwörungserzählungen oder Reichsbürger_innen teilnehmen und vereinzelt sogar Reden halten. Immer wieder kam es auch zu Relativierungen der Verbrechen des Nationalsozialismus. So wurden die Corona-Eindämmungsmaßnahmen mit der antisemitischen Politik des NS verglichen. Vielfach sind Inszenierungen Teilnehmender dokumentiert, bei denen sie sich als politisch Verfolgte darstellten und durch das Anbringen von „Judensternen“ mit der Aufschrift „ungeimpft“ Analogien zum nationalsozialistischen Antisemitismus suggerierten. Derartige antisemitische Erscheinungsformen und Relativierungen waren auch bei den Protesten in Stuttgart zu beobachten. (2)
Auch bei einigen Redner_innen wird die rechtsoffene und verschwörungsideologische Stoßrichtung deutlich. Der Tagesspiegel beschreibt dies am Beispiel des Autors Thorsten Schulte, der im Juni 2020 bei Pegida in Dresden aufgetreten war und „dort vor einem multikulturellen Europa und vor Masseneinwanderung unter jüdischem Einfluss [warnte].“ Der Tagesspiegel berichtet weiter: „Daneben sind Auftritte des Verschwörungsideologen Heiko Schrang und des Rappers Kevin Mohr vorgesehen. Letzterer behauptet, die Bevölkerung werde gezielt durch Chemtrails – so bezeichnen Verschwörungstheoretiker Kondensstreifen hinter Flugzeugen – vergiftet, um die Menschheit zu dezimieren.“ (3) Darüber hinaus ist Michael Ballweg, Gründer von „Querdenken 711“ aus Stuttgart und einer der Mitorganisatoren, als Redner angekündigt. Der Pressesprecher der Initiative hat auf seinen Social-Media Kanälen wiederholt rassistische Texte verbreitet und zuletzt etwa ein Video empfohlen, das beschreibt, „wie das deutsche Volk angeblich durch den Import ‚Stammeskriegern aus Afrika‘ und ‚Massen von Muslimen‘ systematisch ausgelöscht werden soll.“ (4)
Rechtsextreme mobilisieren nach Berlin
Auch wenn sich in der Vergangenheit Beiträge auf der Internetseite „nichtohneuns“ und Einzelpersonen des KDW vereinzelt von Rechtsextremen distanzierten, ist diese Abgrenzung in dem mobilisierenden Spektrum keineswegs Konsens. Der Berliner Zusammenschluss der „Corona-Rebellen“ (mitunter Bündnispartner von KDW und Unterstützer der Mobilisierung am 1. August) suchte in den vergangenen Wochen vielmehr bewusst die Nähe zur rechtsextremen Gruppierung „Patriotic Opposition Europe“, mit der am 4. Juli 2020 sogar eine gemeinsame Kundgebung auf dem Alexanderplatz durchgeführt wurde. Beide Gruppierungen werben für die Teilnahme an der Veranstaltung am 1. August und stellen einen eigenen Lautsprecherwagen.
Ähnlich verhält es sich mit dem rechtsextremen Videoaktivisten Nikolai Nerling, der in den vergangenen Monaten regelmäßig bei den „Corona-Protesten“ in Berlin und darüber hinaus auftrat und Kundgebungen mit bekannten Holocaustleugner_innen organisierte. Auch er ruft seine Anhänger_innen in Videobotschaften auf, am 1. August nach Berlin zu kommen. Mittlerweile wurden außerdem Aufrufe der Berliner NPD, des verschwörungsideologischen und flüchtlingsfeindlichen „Compact-Magazins“ und eines der Organisatoren der flüchtlingsfeindlichen „Merkel muss weg“-Aufmärsche für kommenden Samstag bekannt. Bereits bei vergangenen Veranstaltungen dieses Spektrums waren Anhänger_innen der NPD und der rechtsextremen Kleinstpartei „Der III. Weg“ unter den Teilnehmenden in Berlin.
Zuspruch in reichweitenstarken „Alternativmedien“
Signifikanten Zuspruch erfährt der Termin am 1. August nicht nur bei den genannten Gruppierungen, sondern auch bei reichweitenstarken „Alternativmedien“ und in entsprechenden Social-Media-Verteilern. Weitere Unterstützung erhält die Mobilisierung durch die Initiative „#honkforhope“, die sich die Rettung des Busreisegewerbes auf die Fahnen geschrieben hat. Nach Angaben der Veranstalter_innen will die Initiative „einen bundesweiten, preisgünstigen Bustransfer-Dienst für die Demonstrationsteilnehmer organisieren“. Zudem sind der MBR konkrete Mobilisierungsaufrufe und Anreiseankündigungen bei thematisch verwandten Versammlungen im übrigen Bundesgebiet bekannt geworden.
Insofern dürfte am ersten Augustwochenende bei den Versammlungen in Berlin im Vergleich zu den vergangenen Wochen mit einer deutlich höheren Anzahl von Teilnehmenden zu rechnen sein. Eine größere vierstellige Anzahl erscheint angesichts des Bündnischarakters und der bundesweiten Mobilisierung durchaus realistisch. Allein für den Aufzug unter dem Motto „Das Ende der Pandemie – Der Tag der Freiheit“ sind aktuell 13 Lautsprecherwagen von verschiedenen Gruppierungen aus dem Bundesgebiet eingeplant und mehrere Busse angekündigt.
Alle Informationen zu den Positionierungen und Protesten gegen diese rechtsoffenen Versammlungen finden Sie bei unserem Partnerprojekt Berlin gegen Nazis.
(1) https://www.mbr-berlin.de/aktuelles/aktualisiert-einschaetzung-der-mbr-zu-den-rechtsoffenen-versammlungen-in-berlin-am-30-31-mai-2020/?lang=de
(2) z.B. am 1. Mai 2020: https://twitter.com/Report_Antisem/status/1256667799449227266, am 9. Mai: https://twitter.com/report_antisem/status/1259189592235925512 und https://twitter.com/Report_Antisem/status/1259453995996905474, sowie am 16. Mai: https://twitter.com/Report_Antisem/status/1261673547606503425
(3) https://www.tagesspiegel.de/berlin/sie-wollen-das-ende-der-pandemie-feiern-coronaleugner-und-rechtsextreme-rufen-zu-grossdemo-in-berlin-auf/26045322.html
(4) Ebd.
Stand 30. Juli 2020