Wer die Nachwuchskader sind, die der Verfassungsschutz in Neonazikreisen beobachtet, ist nur hinter geschlossenen Türen besprochen worden. Und auch, wie die Staatsschützer des Landeskriminalamtes das Konzert der rechtsextremen NPD kommenden Samstag unter Kontrolle halten wollen, teilte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) erst mit, als sich die Verfassungsschutzexperten des Abgeordnetenhauses am Mittwoch zu einer nichtöffentlichen Sitzung zurückzogen. Fest steht aber: In der Szene ist einiges los. Mehrere hundert Rechtsextreme werden am Sonnabend ab 12 Uhr auf dem Busbahnhof am S-Bahnhof Schöneweide erwartet.
Neben den bekannten Rechtsrockbands „Exzess“ und „Kahlschlag“ soll dort auch die unbekannte Truppe „Totalverlust“ auf die Bühne. Nach Tagesspiegel-Informationen soll sich dahinter die einschlägig bekannte Band „Tätervolk“ verbergen – und die hat sich mit Textzeilen wie „der Rassenkrieg beginnt, seht ihr es denn nicht“ einen Namen gemacht. Fraglich ist, welche Lieder die Gruppe in Schöneweide spielen wird. Ihr einziges Album „In brauner Uniform“ wurde 2009 indiziert. Wegen Volksverhetzung wird gegen Bandmitglieder ermittelt. „Wir haben kein Interesse, dass Gesetze gebrochen werden oder das Konzert frühzeitig beendet wird“, sagte der Berliner NPD-Chef Uwe Meenen dem Tagesspiegel. Wie sich die Band nun nenne oder genannt habe, spiele für ihn keine Rolle. Meenen wies daraufhin, dass die Texte im Vorfeld von den Behörden gesichtet worden seien. Dies ist bei Veranstaltungen dieser Art üblich. Der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus“ zufolge hat „Tätervolk“ bereits auf einem NPD-Treffen in Brandenburg gespielt.
Zahlreiche Verbände haben für Sonnabend zu Protesten gegen das NPD-Konzert aufgerufen. Geplant sind Demonstrationen rund um den S-Bahnhof Schöneweide. Erwartet werden bis zu 1000 Gegendemonstranten – unter anderem von SPD, Grünen, Linken, den Gewerkschaften, der Jüdischen Gemeinde und des Türkischen Bundes. Unterstützt werden sie von den Bezirksbürgermeisterinnen von Treptow-Köpenick, Gabriele Schöttler (SPD), und von Lichtenberg, Christina Emmerich (Linke).
Immerhin wertet die Berliner Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid das Konzert „als Wahlkampfauftakt zur Abgeordnetenhauswahl“ im kommenden Jahr. Den nimmt die NPD ernst, schließlich gibt es diesmal rechte Konkurrenz. Die Initiative „Pro Deutschland“ tritt an, die als „Pro Köln“ bei den dortigen Kommunalwahlen 2009 mit 5,4 Prozent in den Stadtrat einzog. Durch Stimmung gegen Muslime sollen Rechtsextreme wie auch Nationalkonservative gewonnen werden.
Immerhin schafft sich die NPD die konkurrierende DVU vom Hals – durch eine geplante Fusion. „Ende des Jahres wird es dazu eine Urabstimmung unter unseren Mitgliedern geben“, sagte ein NPD-Sprecher. Verfassungsschützerin Schmid sprach davon, dass sich dessen Partei die schwächere DVU einverleibe. Mit dem Auftritt einschlägiger Bands auf ihrem Schöneweider Fest dürfte die NPD jedoch kaum das Alt-Herren-Milieu der DVU begeistern, sondern jugendliche Neonazis. „Die Partei macht einen Spagat“, sagte Schmid.
Anlässlich des geplanten Konzertes war auch von Interesse, inwieweit martialisch auftretende Neugründungen aus der Neonaziszene vor Ort sein würden. So spukt ausgerechnet in dem von Einwanderern geprägten Stadtteil Wedding seit Monaten eine neue Kameradschaft herum. Die „Freien Nationalisten Mitte“ sind Schmid zufolge eine Neugründung aus diesem Jahr – junge, aktivistische Männer. Als wie gefährlich die Gruppe eingestuft wird, wollte Körting nicht öffentlich erklären. Mitglieder der Clique hatten kürzlich in Weißensee versucht, vermeintliche Linke zu überfallen. Polizisten verhinderten das, sie fanden Schlagstöcke und Teppichmesser.
Unter Sicherheitsexperten gilt die Hauptstadt im Umgang mit Nazimusik als Vorbild. Anders als in einigen anderen Bundesländern haben die Behörden rechtsextreme Konzerte seit Jahren fest im Blick. Dem Verfassungsschutz zufolge gab es 2009 in Berlin nur ein einziges konspirativ organisiertes Konzert. Allerdings droht in zwei Wochen das nächste: Am 2. Oktober will die Bremer Rechtsrockband „Kategorie C“ in der Stadt auftreten. Wo, sagen die Veranstalter nicht. Konzerte der Truppe werden konspirativ vorbereitet. Den Veranstaltungsort bekommen Gäste über bestimmte Handynummern mitgeteilt, sie werden dann über Schleusungspunkte zum Konzert geleitet – so wollen die Macher verhindern, dass militante Linke das Treffen stören.
Vergangenen November konnte die Polizei in Köpenick einen Auftritt der Gruppe „Kategorie C“ nur mit einem Großaufgebot verhindern. Rund 300 betrunkene Neonazis, unterstützt von rechten Hooligans, wurden nach Hause geschickt. Unter Rechtsextremen ist „Kategorie C“ populär. Der Sänger ist wegen eines Anschlags auf ein Flüchtlingsheim 1991 verurteilt worden.
(_Hannes Heine, Johannes Radke_)