Im ersten Teil wurde die Geschichte des Berliner Landesverbandes der NPD von seiner Gründung im Jahr 1966 nachgezeichnet. Wachsende Bedeutung erhält die Organisation mit der Festigung des neoliberalen Kurses in der BRD, in dessen Zusammenhang die NPD eine »Drei-« und später eine »Vier-Säulen-Strategie« entwickelt: »Kampf um die Parlamente«, »Kampf um die Köpfe«, »Kampf um die Straße« und »Kampf um den organisierten Willen«.
Nach gut zweieinhalb Jahren in den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) scheint der Aufschwung des Berliner NPD-Landesverbandes vorerst beendet zu sein, der am 17. September 2006 mit einem Sprung in die Rathäuser von Lichtenberg, Treptow-Köpenick, Neukölln und Marzahn-Hellersdorf gelungen war. 25557 der 2,6 Millionen wahlberechtigten Berliner votierten seinerzeit bei den Wahlen zu den BVV für die Partei, die in der Hauptstadt gerade mal 300 Mitglieder hat.
Dilettantismus in der BVV
Zweifel an seinem kommunalpolitischen Engagement möchte der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt gar nicht erst aufkommen lassen: »Ich wohne in diesem Bezirk und bin daran interessiert, was hier passiert«, sagt der NPD-Fraktionsvorsitzende in Treptow-Köpenick auf die Frage, wie wichtig ihm die Bezirkspolitik sei. Tatsächlich hat die Partei in den letzten zwei Jahren zahlreiche Anträge und Anfragen zu bezirkspolitischen Themen formuliert.
So stellt Voigt eine Anfrage zur Anzahl der Widerspruchsverfahren gegen ALG-II-Bescheide in Treptow-Köpenick und erkundigt sich nach dem Ausmaß der Überschuldung privater Haushalte im Bezirk. Auch in den anderen BVV präsentieren sich die NPD-Bezirksverordneten mit sozialpolitischen Forderungen als »Partei der kleinen Leute«.
Torsten Meyer, Bezirksverordneter in Lichtenberg, kümmert sich ebenfalls um örtliche Belange. Am 22. Februar 2007 fragt er das Bezirksamt, ob »sämtliche Kraftfahrzeuge des bezirklichen Fuhrparks auf die kommende Umweltzone in Berlin vorbereitet sind«. Zwei Monate später spricht er das Thema erneut an. Meyer thematisiert außerdem den Alkoholmißbrauch von Jugendlichen in Lichtenberg, fordert die Rückerstattung von BVG-Zeitkarten während eines Streiks der Beschäftigten des Verkehrsbetriebes und engagiert sich für die Belange der Pförtner im Rathaus des Bezirkes. Mit weiteren Anträgen bittet die dreiköpfige Lichtenberger NPD-Fraktion das Bezirksamt, »dafür Sorge zu tragen, daß das Essen in Kitas, Schulen und Kantinen kommunaler Einrichtungen frei von gentechnisch manipulierten Lebensmitteln ist« und darum, »den Schulbustransport zur Karlshorster Grundschule weiter zu erhalten«.
Ein ähnliches Bild in Marzahn-Hellersdorf. Dort sorgt sich die NPD um Unterrichtsausfall, die Sicherheit eines S-Bahn-Tunnels und um den Stellenabbau bei der Polizei. Im Juli 2008 will Matthias Wichmann wissen, wie viele Familien in Marzahn-Hellersdorf von Armut betroffen sind.
Immerhin 39 der insgesamt 111 NPD-Anträge im Zeitraum von Oktober 2006 bis August 2008 behandeln kommunale Fragen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des »Vereins Demokratischer Kultur Berlin« (VDK). Es folgen Anträge zu Migrationspolitik (15), Schule/Jugend (14), Geschichtspolitik (13), Soziales (10), Kriminalität (9), Frauen/Umweltthemen (8) Rechtsextremismusbekämpfung (2), und linker Gewalt (1). Auch wenn die Einteilung des VDK willkürlich wirkt – denn eine genaue Abgrenzung einzelner Politikfelder ist in der Kommunalpolitik kaum möglich –, so zeigt die doch, daß Bezirkspolitik für die NPD eine hohe Priorität hat.
Bisher allerdings wurde keiner dieser Vorschläge realisiert. »Eine konstruktive Arbeit ist leider unmöglich, da alle unsere Anträge abgelehnt werden«, kritisiert Udo Voigt. Tatsächlich gibt es eine fraktionsübergreifende Vereinbarung, bei sämtlichen NPD-Vorlagen – auch bei solchen ohne erkennbaren rechtsextremen Hintergrund – geschlossen mit Nein zu stimmen. Zudem wurde verabredet, daß jeweils nur ein Bezirksverordneter auf Beiträge der NPD antwortet. Man werde die Partei nicht dadurch aufwerten, daß jede Fraktion einzeln die Beiträge der Rechtsextremen kommentiert, so die Begründung. Die NPD wolle »Politik für die Lichtenberger« machen, werde aber daran gehindert, da sich die anderen Parteien in einem »Korsett des Schweigens« befinden würden, klagte Manuela Tönhardt bereits im Februar 2007 über den Umgang mit ihrer Fraktion.
Allerdings läßt die NPD mit ihren teilweise dilettantisch vorbereiteten Anträgen den anderen Parteien oft schon rein formal keine andere Wahl. »Herr Voigt fordert mehr öffentliche Toiletten, kann aber nicht sagen, wo welche fehlen«, berichtet etwa Oliver Igel, SPD-Fraktionsvorsitzender in Treptow-Köpenick, auf einer Informationsveranstaltung. Es gibt weitere Beispiele, die an der bezirkspolitischen Kompetenz der NPD zweifeln lassen. So formuliert die Partei Forderungen, die bereits verwirklicht wurden oder entwirft Empfehlungen zu Themen, die nicht in der Zuständigkeit der Bezirke liegen.
Der Lichtenberger Bezirksverordnete Meyer beantragt beispielsweise, daß die befristeten Arbeitsverträge der Mitarbeiter des JobCenters in unbefristete Verträge umgewandelt werden und muß sich belehren lassen, daß bereits alle kommunalen Angestellten unbefristete Verträge besitzen. Am 31. Mai 2007 fordert Meyer, daß ALG-II-Bezieher das Recht erhalten, über Gebührenbefreiungen informiert zu werden. Auch diese Maßnahme war seinerzeit bereits Realität.
Auch Voigt formuliert Anfragen, die auf mangelnde Sachkenntnis schließen lassen. »Welche Maßnahmen leitet das Bezirksamt ein, damit durch Brüche alter Wasserleitungen in Zukunft keine Verkehrseinschränkungen in der Köpenicker Altstadt eintreten«, fragt er am 25. September 2008. Die Frage sei unsinnig, antwortet der zuständige Stadtrat: »Wenn eine Leitung defekt ist, muß eine Instandsetzung erfolgen, und da kann es zu Verkehrseinschränkungen kommen.«
Öffentliches Image aufpolieren
Seit September 2006 ist die NPD in vier Berliner Bezirksverordne
Seit September 2006 ist die NPD in vier Berliner Bezirksverordnetenversammlungen vertreten und agiert z.B. gegen einen geplanten Hindutempel in Berlin-Neukölln (23.8.2008)
Foto: Christian Ditsch/Version
Es wäre jedoch verfrüht, von solchen Anträgen, die entweder von einem mangelnden Verständnis für politische Strukturen und Entscheidungsprozesse oder aber von purem Populismus zeugen, Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Akzeptanz der NPD zu ziehen. Deren Auftritte in den BVV finden nämlich normalerweise nahezu ohne Publikum statt. Während im Treptower Rathaus an manchen Sitzungstagen immerhin bis zu 30 Besucher die Debatten verfolgen, sind es in Neukölln oder Lichtenberg selten mehr als zehn Einwohner. Um bei Wählern außerhalb des rechtsextremen Spektrums als politische Alternative anerkannt zu werden, ist also nicht unbedingt die reale Kompetenz in den BVV ausschlaggebend, sondern ob die NPD genügend Sachverstand suggerieren kann.
Teilweise scheint das zu gelingen. Als im Juni 2007 die Mitarbeiter einer Musikschule im Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf gegen die geplante Streichung von sieben der zwölf festen Musiklehrerstellen demonstrierten, verteilte der NPD-Verordnete Matthias Wichmann Visitenkarten an die protestierenden Bürger. Wer Hilfe brauche, könne sich jederzeit an ihn wenden, versprach er. »Ist doch egal, von welcher Partei der ist, wenn er was tut«, kommentierte eine Angestellte der Musikschule Wichmanns Aktion.
»Indem wir auf solche Angelegenheiten aufmerksam machen, können wir trotz der Isolation durch die anderen Parteien etwas bewegen«, konstatiert Udo Voigt. Gewiß gebe es auch viele Menschen, die sich noch nicht öffentlich zur NPD bekennen wollen. »Aber auch diese Bürger informieren wir laufend über unsere Arbeit – etwa mit unserer Zeitung Weiterdenken«, sagt er. Darin zeige man, wie die anderen Parteien NPD-Anträge ablehnen, die im Interesse der Bürger seien.
Zweifellos dürfte zumindest bei einem Teil der Adressaten das über die Zeitung transportierte Image einer konsequenten Protestpartei auf Sympathie stoßen. Nach eigenen Angaben verteilt die NPD das Blatt in einer Auflage von 500000 Stück. Ursprünglich sollte die Zeitschrift alle drei Monate erscheinen. Doch 2008 veröffentlichte der Landesverband gerade mal zwei Ausgaben der Weiterdenken. Aber selbst damit erreicht die Partei ein deutlich größeres Publikum als mit ihren Beiträgen in den BVV. Im Oktober 2007 hatte die Berliner NPD zudem zwei Zeitungen publiziert, die sich speziell an Schüler richteten. Das zwölfseitige Blatt Der Titellose beschäftigte sich mit den Themen: »Darum sind wir Nationalisten«, »Schöner leben ohne Drogen«, »Nationalismus ist auch Mädchensache«, »Bildung steht Kopf« sowie »Deutscher Kulturkampf«.
Neben der Nutzung von Medien versuchte die NPD in den vergangenen zweieinhalb Jahren auch, in direkten Kontakt mit den Bürgern zu treten. Mit ihrer am 4. Februar 2007 auf dem Landesparteitag in Treptow-Köpenick angekündigten »Informationsoffensive« hatte sie bisher aber nur mäßigen Erfolg. Allein im Jahr 2007 hatte die Partei geplant, 30 öffentliche Veranstaltungen durchzuführen. Diese Zahl erreichte der Landesverband nicht annähernd. Zudem sind bei den wenigen Informationsveranstaltungen kaum Bürger aus dem nicht rechtsextremistischen Spektrum anwesend. Trotzdem wirbt man weiter um diese Zielgruppe.
Rathaus Treptow am 18. August 2008: Wer den großen Saal betreten will, muß seine Taschen zunächst von uniformierten NPD-Ordnern durchsuchen lassen. Eigentlich unnötig, denn fast alle der zirka 120 Anwesenden geben sich als Sympathisanten der NPD zu erkennen. »Nationaler Sozialist« steht auf einem Pullover. Ein anderer Gast wirbt für die Berliner Rechtsrockband »Spreegeschwader«, die auf ihren CDs von der »Reinheit des Blutes« singt. Neben Udo Voigt und Eckart Bräuniger sind auch der NPD-Fraktionsgeschäftsführer in Treptow-Köpenick, Stefan Lux, NPD-Generalsekretär Peter Marx sowie das Präsidiumsmitglied der Bundespartei Frank Schwerdt anwesend. »Ich werde mich heute nicht rassistisch äußern«, verspricht Bräuniger zu Beginn der Veranstaltung. Er hat einen guten Grund dafür. Das Bezirksamt hatte der NPD unter Androhung einer Geldstrafe verboten, rechtsextreme Inhalte im Rathaus zu verbreiten. Und so spricht der frühere Berliner Landeschef Bräuniger über öffentliche Toiletten, Denkmäler und die Umbenennung einer Uferpromenade. Dennoch gelingt es ihm, der von den anwesenden Neonazis mit stürmischem Beifall begrüßt wird, die jugendlichen Besucher zu begeistern. Der NPD-Funktionär versteht es, kommunale Themen mit rechtsextremer Ideologie zu verbinden.
So kritisiert er einen Antrag der Linksfraktion im Treptower Rathaus, in der Bibliothek des Bezirkes jene Bücher zu kennzeichnen, die während des Faschismus verboten waren. Er habe in der BVV gefragt, was denn mit Büchern sei, die im »Dritten Reich« verlegt wurden und heute verboten sind, so Bräuniger. »Wir haben dem Antrag der Linken zur Kennzeichnung dann doch zugestimmt, man weiß ja nie, was noch kommt«, sagt Bräuniger anschließend augenzwinkernd zum Publikum, das diese Pointe mit langem Applaus goutiert.
Deutlich ruhiger wird es danach im Saal. Denn im Gegensatz zur Bräunigers teilweise aggressiv vorgetragener Polemik, langweilen die anderen NPD-Funktionäre vor allem mit Larmoyanz. »Ich denke, daß sich heute jeder davon überzeugen konnte, daß wir keine antisemitische, ausländerfeindliche oder rechtsradikale Propaganda brauchen. Wenn wir sagen, deutsches Geld für deutsche Kinder, wenn wir fordern, daß deutsche Kinder ein kostenloses Mittagessen bekommen, dann heißt es, das sei ausländerfeindliche Propaganda. Aber für was bin ich denn gewählt worden? Ich bin eben nicht für die Fremden, sondern für die Deutschen gewählt worden«, schließt Voigt seinen Vortrag.
Die Fortsetzung der NPD-Werbetour findet am 5. September 2008 in der Neuköllner Volkshochschule statt. Über »Frauen in nationaler Politik« spricht Stella Hähnel vom »Ring Nationaler Frauen« (RNF). 21 Anhänger sind der Einladung gefolgt, darunter vier Frauen. Zu denen sagt Hähnel dann Sätze wie diesen: »Die Wissenschaft hat längst belegt, daß es Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, wir nationalen Frauen bejahen diesen Unterschied und fühlen keinerlei Leid deswegen.« Die 36jährige, die im Bundesvorstand das Referat Familienpolitik leitet, möchte zeigen, daß die NPD eine ganz normale Partei ist. Doch bei den wichtigsten Bündnispartnern der NPD stößt die bürgerliche Mimikry der Partei auf Skepsis.
Die NPD in Berlins rechter Szene
Zu den Verbündeten zählen die gewalttätigen und offen neonazistischen Kameradschaften. Doch ausgerechnet das Verhältnis zu den parteiunabhängigen Neonazis ist seit Monaten gestört. Zuletzt hatte sich NPD-Chef Voigt – besorgt um das Image seiner Partei – von den sogenannten »Autonomen Nationalisten« distanziert, die sich linker Symbole und Rituale, wie Palästinensertücher, Che-Guevara-Shirts und schwarzer Blöcke bei Demonstrationen bedienen. Auch die Affäre um die Beerdigung des ehemaligen Waffen-SS-Mitglieds Friedhelm Busse im Juli 2008 demonstriert, wie fragil das Bündnis ist. Nachdem die Staatsanwaltschaft das Grab Busses zur Sicherstellung einer Reichskriegsflagge öffnen ließ, die der NPD-Aktivist Thomas Wulff bei der Beisetzung auf dem Sarg drapiert hatte, distanzierte sich das NPD-Präsidium von dieser »Symbolik von gestern«. Empört reagierten Neonazis aus dem Kameradschaftsspektrum auf die nachträgliche Kehrtwende und drohten mit der Beendigung der Zusammenarbeit. »Die Autonomen Nationalisten lassen sich nicht durch Polit- und Parteifunktionäre lenken und vereinnahmen. Und das ist gut so, sollte auch so bleiben!«, schrieb etwa das »Aktionsbündnis Mittelhessen« mit Blick auf die NPD am 23. August 2008 im rechten Internetportal Altermedia.
In Berlin ist die Situation etwas anders. Im Gegensatz zum Bundesgebiet sei das Verhältnis zwischen »Autonomen Nationalisten« und der NPD hier »eng und vertrauensvoll«, konstatiert der Verfassungsschutz im Juni 2008 in einer Studie. Damit das so bleibt, versucht die NPD, auch in den BVV die Forderungen dieser Klientel zu berücksichtigen. Entsprechende Provokationen sind – trotz der Bemühungen um gesellschaftliche Akzeptanz – also unvermeidbar; konterkarieren diese jedoch gleichzeitig. So nutzen die NPD-Verordneten die BVV-Sitzungen auch, um ganz konkrete Forderungen für ihre jugendliche Klientel zu formulieren. Bereits in der vierten BVV-Sitzung bringt Manuela Tönhardt einen »Antrag auf Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten für ein selbstverwaltetes nationales Jugendzentrum« ein.
Mit anderen Anträgen versuchen die NPD-Verordneten, Neonazis vom Makel der Gewalttätigkeit zu befreien, indem sie in den BVV eine verstärkte Aufmerksamkeit für politisch linke Jugendliche verlangen. So fordert Torsten Meyer das Bezirksamt auf »zu veranlassen, daß neben der Erfassung von rechtsextremen Vorkommnissen im Bezirk Lichtenberg auch solche Vorkommnisse erfaßt werden, die eher der linken bzw. linksextremen Szene zugeordnet werden«. Zwei Jahre später ersucht die Lichtenberger NPD-Fraktion das Bezirksamt, »die Jury für die Vergabe des Preises für Demokratie und Zivilcourage um einen Vertreter gegen Linksextremismus zu erweitern«. Die Liste mit solchen Anträgen ließe sich fortsetzen. Die NPD fordert den Ausstieg aus dem Bundesprogramm »Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie« oder erkundigt sich nach der »Verwendung finanzieller Mittel des Bezirks im Zusammenhang mit dem ›Fasching gegen Rechts‹«.
Das Problem der NPD: Die eigentlichen Adressaten dieser Anträge zeigen immer weniger Interesse am Engagement der Partei. Verfolgten ein halbes Jahr nach dem Einzug der NPD teilweise noch zehn bis 15 Rechtsextremisten aus dem Kameradschaftsspektrum die mehrstündigen Sitzungen in den Rathäusern und diskutierten in den Pausen intensiv mit den NPD-Bezirksverordneten, verzichten Anfang 2009 Neonazis oft ganz auf die Anwesenheit in den BVV. In Lichtenberg sind es derzeit meist nur zwei oder drei NPD-Mitglieder, die »ihre« Bezirksverordneten bei der Arbeit beobachten; in Neukölln finden die Auftritte der NPD-BVVler Jan Sturm und Thomas Vierk schon seit Monaten ohne Anteilnahme von Rechtsextremisten statt.
Schwächen und Stärken
Zwar ist eine starke kommunale Verankerung der NPD, im Gegensatz zu Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern, in Berlin bislang nicht zu beobachten. Zudem sind einige NPD-Mandatsträger mit der Arbeit in den BVV offensichtlich überfordert. Auch öffentliche Personalquerelen, wie der Parteiaustritt des Bezirksverordneten Wolfgang-Dieter Chieduch aus Marzahn-Hellersdorf oder die Affäre um die Exkreischefin Gesine Hennrich dürften dem Erscheinungsbild der rechtsextremen Partei eher schaden.
Dennoch ist es der NPD gelungen, als politischer Akteur in der Stadt wahrgenommen zu werden und die gesellschaftliche Akzeptanz der Partei zumindest geringfügig zu erhöhen. So wurde die Möglichkeit, Parteiveranstaltungen in repräsentativen Rathaussälen durchführen zu können – wenn auch nicht in dem angekündigten Umfang –, regelmäßig genutzt.
Und obwohl dabei Besucher aus dem nicht rechtsextremistischen Spektrum in der Minderzahl waren, so ist der Gewinn an Prestige durch solche Auftritte in öffentlichen Räumen nicht zu leugnen. Selbst innerhalb der BVV gab es vereinzelt Normalisierungstendenzen. So stimmten am 4. Juni 2008 die Verordneten Christian Kind (SPD), Albrecht Hofmann (CDU) sowie der Bürgerdeputierte Christoph Schütte (CDU) im Haushaltsausschuß der Lichtenberger BVV einem Antrag des NPD-Vertreters Meyer zu. Dieser hatte im Zusammenhang mit einer Auszeichnung von Lichtenberger Schülerzeitungen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren gefordert, den Begriff »Rechtsextremismus« durch die Formulierung »jeglichen Extremismus« zu ersetzen.
Innerhalb der rechtsextremen Szene Berlins konnte sich die NPD weiter als zentraler Akteur behaupten. Auch wenn das anfängliche Interesse der »Kameradschaften« an den Auftritten der NPD in den BVV stark nachgelassen hat, so scheint die Verbindung zwischen Partei und militanten Neonazis dennoch intakt zu sein. Im Gegensatz zum Bundesgebiet wird seitens der »Kameradschaftsszene« zumindest öffentlich kaum Kritik am teilweise bürgerlichen Erscheinungsbild der NPD-Mandatsträger geäußert. Dies dürfte hauptsächlich dem Engagement Bräunigers geschuldet sein, der durch seine vielfältigen Kontakte in die rechtsextreme Szene den zwiespältigen Kurs kompensieren kann, mit dem der Parteivorsitzende und Berliner Bezirksverordnete Voigt seit einigen Monaten gegenüber den sogenannten Freien Kräften laviert.
Die Unterstützung durch die Neonaziszene ist einer der Faktoren, von denen auch die künftige Entwicklung des Berliner Landesverbandes der NPD abhängig ist. Mit dem neuen Landesvorsitzenden Jörg Hähnel dürfte die Zusammenarbeit schwieriger werden. Zwar hat Hähnel, der ebenfalls dem neonazistischen Spektrum zugerechnet wird, nach seiner Wahl am 7. Juni 2008 angekündigt, den von Bräuniger eingeschlagenen Weg fortzusetzen, allerdings verfügt er nicht annähernd über die Autorität seines Vorgängers, der unter anderem von seinem Nimbus als ehemaliger Kroatiensöldner profitieren konnte.
Hinzu kommt, daß mit dem derzeitigen Personal der Berliner NPD auch keine rasche Professionalisierung im Sinne einer Steigerung der kommunalpolitischen Kompetenz zu erwarten ist. Ansatzweise gelingt das derzeit nur der Lichtenbergerin Manuela Tönhardt. Zudem ist fraglich, ob Multifunktionär Hähnel, der außer seinem Sitz in der BVV auch einen im NPD-Bundesvorstand hat und darüber hinaus als hauptamtlicher Mitarbeiter der NPD-Fraktion im Schweriner Landtag arbeitet sowie bundesweit als Liedermacher auftritt, den Landesverband mit derselben Intensität wie sein Vorgänger führen kann.
Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, daß die NPD in Berlin – trotz ihrer gegenwärtigen Personalprobleme – weiter an Zustimmung gewinnt. Denn kommunalpolitische Inkompetenz bedeutet nicht zwangsläufig mangelnde Zustimmung in Teilen der Bevölkerung. Ein zumindest formal geringes Bildungsniveau der Funktionsträger müsse nicht unbedingt von Nachteil für das rechtsextremistische Lager sein, will es doch nicht primär die gebildeteren Schichten ansprechen. Die auch mit Blick auf die Berliner NPD häufig geäußerte Prognose, daß die oftmals peinlichen Auftritte der rechtsextremen Bezirksverordneten potentielle Wähler bei den nächsten Abstimmungen abschrecken würden, resultiert wohl eher aus der speziellen akademischen Sichtweise von Journalisten, Wissenschaftlern oder Akteuren zivilgesellschaftlicher Organisationen, welche die Motivationen von Protestwählern meist ausblendet.
Die möglichen Folgen der aktuellen Wirtschaftskrise dürften die Zahl von »Denkzettelabstimmungen« und auch die jener Bürger, die ganz bewußt rechtsextreme Gruppierungen wählen, noch erhöhen.
(_Frank Brunner_)