Diese Woche nun wurde in den Räumen der SPD- nahen Stiftung in Berlin eine an der Universität Leipzig erstellte Nachfolgestudie vorgestellt, die diese These vertieft und dabei noch zuspitzt. Glaubt man den Autoren, wandern die rechtsextremen Denkmuster nicht “vom Rand zur Mitte” – so der Titel der Studie von 2006 – , es verhält sich eher umgekehrt: Die demokratiefeindlichen Ressentiments, die rechts außen in rassistische und neonazistische Ideologien umgemünzt werden, entstammen gleichsam als Rohmaterial einer in der gesellschaftlichen Mitte tief verwurzelten Vorurteilsstruktur.
Betrachtet man die jüngsten Kommunalwahlen in Sachsen, wo die NPD sich mit insgesamt 5,1 Prozent flächendeckend in Kreistagen und Gemeinderäten festsetzen konnte, ist größte Beunruhigung über wachsende Akzeptanz des Rechtsextremismus angebracht. Dies umso mehr, als sich nicht nur im Osten, sondern zunehmend auch im Westen eine profunde Demokratieverdrossenheit breitmacht. Der Anspruch der neuen Studie mit dem Titel “Ein Blick in die Mitte”, rechtsradikale Einstellungen nicht erst zu betrachten, wenn sie sich politisch verfestigt haben, sondern ihnen schon im Stadium ihrer Entstehung auf den Grund zu gehen, klingt vor diesem Hintergrund vielversprechend.
Je mehr die Autoren, vertreten durch Oliver Decker und Katharina Rothe, jedoch von ihrer Methodik und ihren Ergebnissen preisgaben, umso größer wurde das Fragezeichen, ob ihr Ansatz die Wechselbeziehungen von Extremismus und Mitte nicht eher verdunkelt als verdeutlicht. Zunächst wundert man sich, dass die Studie eine mehr oder weniger gerade Linie von weitverbreiteten demokratie- und ausländerfeindlichen, chauvinistischeren und antisemitischen Klischees nur zur extremen Rechten zieht. Dabei profitiert von der nagenden Unzufriedenheit mit der Demokratie punktuell zwar auch die NPD, im nationalen Maßstab derzeit aber doch vor allem die Linke. Ohne sie mit der NPD gleichsetzen zu wollen, ist es ein offenes Geheimnis, dass die Linkspartei auch Wähler anzieht, die auch rechtslastige Parteien wählen könnten. Dass antidemokratisches, autoritätssüchtiges Denken sich keineswegs nur in rechtsextremer Form niederschlägt, sollte bekannt sein. Eine der Diskutantinnen, die Schriftstellerin Tanja Dückers, wies indirekt auf diese Verengung der Studie hin, als sie feststellte, dass sich linke und rechte Extremisten nicht nur in ihren Feindbildern – Amerika, Bush, Israel -, sondern auch in Symbolik und Habitus immer mehr angleichen.
Fragwürdig ist vor allem jedoch die von Decker vertretene These, rechtslastige “Einstellungen” seien für die Demokratie im Grunde gefährlicher als manifeste rechtsextreme Handlungen. Aus den Diskussionen der Probandengruppen, die für die Studie zusammengestellt wurden, lasen die Autoren jede Menge bedenkliche Pauschalurteile über als fremd oder minderwertig empfundene Menschengruppen heraus. Nichts Erhellendes hatten die Autoren aber über den Mechanismus zu sagen, wie solche Pauschalurteile in aktive Verfolgungsmentalität umschlagen. So entstand der Eindruck, die Autoren setzten jede gedankenlose oder auch böswillige Äußerung über andere Menschen – aber auch kritikwürdige Äußerungen demokratischer Politiker wie Roland Koch – grundsätzlich mit rechtsextremer Hasspropaganda gleich und unterschieden nicht klar zwischen vorurteilsbeladenem Denken und aktiv antidemokratischem Tun.
Es blieb der einzigen Praktikerin in der Podiumsrunde vorbehalten, auf diese Bruchlinie in der Logik der Studie hinzuweisen. Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin berichtete, dass ihr ausgrenzende Klischees gegen als fremd empfundene Gruppen durchaus auch bei den zivilgesellschaftlichen Kräften begegne, die sich gegen die Ausbreitung des Rechtsradikalismus wendeten und dazu ihre Hilfe suchten. Aber liegt hier nicht ein Unterschied ums Ganze? Ressentiments unter Verteidigern der Demokratie sind zwar nicht schön und sollten auch nicht unwidersprochen bleiben – doch solange sie nicht zu hasserfülltem Handeln führen, muss man damit leben. Das macht ja den Sinn der Demokratie aus: rationale und irrationale Konflikte zivil zu bändigen, damit sie nicht zu bösartigem Ausbruch kommen. Wer zwischen allgemeinen Ressentiments und gewaltbejahender Hassideologie keine klare Grenze sieht, hängt nicht nur dem unerfüllbaren Idealbild einer ressentimentfreien Demokratie nach, sondern redet ungewollt den Extremisten das Wort. Denn die wollen sich nur zu gern in Übereinstimmung mit der Volksmehrheit sehen.