Mangelndes Problembewusstsein werfen die
Berliner Sozialdemokraten der städtischen
Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte vor,
Proteste hagelt es von vielen Seiten. Die
Gesellschaft hatte vor drei Jahren nahe dem
Alexanderplatz, wo sich Touristenströme
kreuzen, an den Laden Tønsberg vermietet.
Das Geschäft verkauft Kleidung der Marke
Thor Steinar, die bei Neonazis und dem
Umfeld als angesagt gilt. Aber auch Ahnungslose
greifen schon mal zu, weil sie die verwendeten
Symbole und das Label nicht einordnen
können. Die Berliner Wohnungsbaugesellschaft
kündigte den Mietvertrag jetzt
fristgerecht zum 31. Januar nächsten Jahres.
Schlimmer dran ist das Siedlungswerk St.
Gertrud in Magdeburg. Gehört es doch dem
Bistum Magdeburg und hat gerade erst einen
Dreijahresvertrag für einen Laden im Hundertwasserhaus
in Magdeburg abgeschlossen.
Auch dorthin pilgern die Touristen, und
die neue Boutique widmet sich dem Label
Thor Steinar. Deren Betreiber hatten ebenfalls
das Sortiment schlicht als Sportkleidung
umschrieben. Wanderschuhe, Jacken, lange
Hosen, kurze Hosen, das klingt unverfänglich.
Allerdings wussten die neuen Mieter
sehr genau, sagt die Geschäftsführerin des
Siedlungswerks, Kathleen Schechowiak, dass
sie es mit einem kirchlichen Haus zu tun
haben. „Wir fühlen uns in Treu und Glauben
verletzt, man hat uns Details verschwiegen.“
Das Siedlungswerk kündigte fristlos. Sollte
der Ladenbetreiber dennoch ausharren wollen,
will man auf Räumung klagen und sofort
ein Eilverfahren bei Gericht beantragen.
Auf eine kirchliche Aura können sich die
Kollegen der Berliner Wohnungsbaugesellschaft
nicht berufen. Sie sahen für eine fristlose
Kündigung keine Chance. Schließlich
konnte das Berliner Kammergericht, das einem
Oberlandesgericht entspricht, eine eindeutige
Nähe zu NS-Symbolen nicht erkennen
und lehnte im vergangenen Jahr ein
Verbot der Marke Thor Steinar ab.
Zuvor war der Firma jedoch ihr Runenlogo,
das sich an das SS-Symbol anlehnte,
gerichtlich untersagt worden. Die Wohnungsbaugesellschaft
Berlin-Mitte hat die Sachbearbeiter
für die Vermietung ihrer 1500 Gewerberäume
inzwischen geschult. Die Sprecherin
Steffi Pianka wünscht sich, genau wie ihre
Kollegin in Magdeburg, „dass unser Fall wenigstens
eine Warnung ist für andere Vermieter
von Gewerberäumen“. Vermietern oder
etwa Konzertveranstaltern, die den Verdacht
hegen, es könnte ihnen ein rechtsextremes
Kuckucksei ins Nest gelegt werden, bietet die
Berliner Mobile Beratung Rechtsextremismus
(MBR) Informationen an. In sechs Jahren, seit
die Beratungsstelle Lehrer, Bezirksverwaltungen
oder auch normale Bürger unterstützt,
die gegen Rechtsextremismus, Rassismus
oder Antisemitismus aktiv werden wollen,
hat sie einiges an Wissen über die Strukturen
der Neonaziszene gesammelt. „Eine Art Normalisierungsstrategie,
um die Marke zu etablieren“,
sagt der MBR-Berater Matthias Müller:
Ein Kinder-T-Shirt mit Thor-Steinar-
Schriftzug und einem Löwen darauf macht
Unbefangene nicht unbedingt hellhörig.
Müller empfiehlt, sich zum Beispiel auf
der Website www.dasversteckspiel.de kundig
zu machen. Einen Informationstisch bauten
die Berliner Grünen gestern vor dem
Laden auf, direkt gegenüber dem Fernsehturm.
Manche Passanten seien ganz erstaunt
gewesen, sagt die Grünen-Abgeordnete Clara
Herrmann, weil sie die Zusammenhänge
nicht kannten. Passanten erhielten Flugblätter
mit der Warnung, mit Kleidungs- und
Musikstil versuchten Neonazis, in den sogenannten
Mainstream vorzudringen. „Wo
könnten wir das besser zeigen“, sagt die
Grünen-Politikerin, „als vor einem Thor-
Steinar-Laden zwischen Blumengeschäft und
Supermarkt am Alexanderplatz.“
(Birgit Loff)