Bianca Klose ist Leiterin der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin“ (MBR).
Wie sieht Rechtsextremismus in Berlin derzeit aus?
Rechtsextreme Parteien konnten bei der Abgeordnetenhaus- und Bezirksverordnetenversammlungs-Wahl 2006 in die BVVen der Bezirke Treptow, Marzahn, Lichtenberg, Neukölln und Pankow einziehen – in drei Bezirken sogar in Fraktionsstärke. Die freien Kameradschaften sind derzeit in einer Phase der Reorganisation und treten eher in losen Verbänden für Aktionen in Erscheinung. Die Zusammenarbeit zwischen beiden Lagern ist sehr stark. Im letzen Jahr hat es fast eine Verdopplung rechtsextremer Gewalt gegeben.
Wie zeigt Rechtsextremismus sich hauptsächlich? Gibt es Schwerpunkt-Regionen?
Es gibt in Berlin Orte, an denen Rechtsextreme Dominanzverhalten zeigen. Dort kommen viele Dinge zusammen: rechtsextremes Wahlverhalten, meist wohnen dort wichtige Aktivisten der Szene, es gibt rechtsextreme Infrastruktur wie Kneipen oder Geschäfte. Insgesamt bietet Berlin Rechtsextremen eine klassische urbane Situation. Es gibt Musiknetzwerke, Konzerte, Geschäfte, in denen sie sich ausstatten können. So kommt es in etlichen Sozialräumen zu einer kulturellen Dominanz durch rechtsextremen Lifestyle, also Kleidung, Musik, Sprüche, Haltungen. Diese Phänomene lassen sich in Sportvereinen, Diskos, Kneipen, auf Straßenfesten und in Schulen beobachten. Die Menschen, die rechtsextreme Angebote im vorpolitischen Raum nutzen, sind in ihrer Mehrheit keine organisierten Rechtsextremen, aber sie stimmen Teilen der Ideologie zu, zum Beispiel den rassistischen Einstellungen, sind für rechtsextreme Aktivisten ansprechbar und schaffen insgesamt ein Klima, dass es schwer macht, nicht-rechte Einstellungen zu äußern. Die Rechtsextremen oder aber auch die Rechtsextrem-Orientierten, die im öffentlichen Raum als diese eindeutig erkennbar sind, gehören in der Regel zum unorganisierten Teil der Szene. Sie sind eine große Bedrohung für potenzielle Opfer. Sie stellen jene Tätergruppe, die rassistische Gewalt verüben – oft spontan, aber nicht unpolitisch, denn sie suchen ihre Opfer ja gezielt aus rassistischen Gründen aus. Anders ist das mit den Angriffen auf linke und alternative Menschen in Stadtteilen wie Friedrichshain und Prenzlauer Berg, bei denen wir derzeit eine starke Zunahme feststellen müssen: Diese Übergriffe werden zu einem großen Teil auch von organisierten Rechtsextremen verübt, die maskiert und bewaffnet gezielt (vermeintliche) politische Gegner angreifen.
Welche sind die wichtigsten Organisationen?
Der Landesverband der NPD geht in Berlin derzeit stark in die Offensive, auch wenn die Partei hier eigentlich recht schwache Strukturen hat. Das wird allerdings dadurch aufgefangen, dass es eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen der NPD und den freien Kameradschaften gibt, die in Berlin praktisch die Arbeit von NPD-Ortsstrukturen übernehmen, zum Beispiel das Plakatieren im Wahlkampf. Es gibt auch etliche personelle Überschneidungen.
Die Kameradschaftsszene organisiert sich derzeit – nach dem Verbot der Kameradschaften Tor und deren Mädelgruppe und der Berliner Alternative Südost (BASO) 2005 – weniger in festen Gruppen, sondern findet sich anlassbezogen für Aktionen zusammen. Dabei werden bereits bestehende Labels in veränderten Personenkonstellationen genutzt. Es gibt einen relativ kleinen Personenkreis, der sich aus ideologisch gefestigten Kadern zusammensetzt und Aktionen plant und organisiert, zu denen eine weitaus größere Zahl freier Aktivisten mobilisiert werden kann. Das konnten wir etwa bei der Störung von Wahlkampfveranstaltungen oder beim Schutz der NPD-Infostände im Wahlkampf beobachten. Es sind zum großen Teil die gleichen Rechtsextremen, die vorher in den verbotenen Kameradschaften aktiv waren. Jetzt agieren sie unter Labels wie „Freie Kräfte Berlin“, „Autonome Nationalisten Berlin“ oder sogar legal unter dem Dach der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten (JN)“.
Gibt es „lokale Spezialitäten“ der Szene?
Die Berliner Rechtsextremen hatten ja eine Vorreiterrolle bei der Kopie linksautonomen Verhaltens. Sie betreiben Mimikry, imitieren im Outfit den so genannten Schwarzen Block, um politische Gegner zu irritieren und um für sich neue Aktionsfelder zu erschließen. Eine weitere Berliner Spezialität ist es, dass sich hier die rechtsextremen Erlebniswelten äußerst stark verdichten. Es gibt rechtsextreme Biedermänner, rechtsextreme Hooligans, Kameradschaften, NPD-Treffen, rechtsextreme Rocker, Tattoo-Studios und sonstige rechtsextreme Infrastruktur. Da findet praktisch jeder ein Angebot. Es gibt kaum noch eine Jugendkultur ohne rechtsextreme Orientierung. Diese scheinbare Normalität bietet kaum noch Brüche oder Ansatzpunkte zum Eingreifen. Außerdem sind rechtsextreme Kleidung, Musik und Läden eine lukrative Verdienstmöglichkeit.
Bei der NPD spielt es natürlich eine Rolle, dass sich in Berlin die Zentrale der Partei befindet und die Rechtsextremen im Zuge eines von ihnen proklamierten „Marsches auf die Reichshauptstadt“ hier auch ihre Bundesparteitage abhalten.
Welche aktuellen Trends, Strategien beobachten Sie?
Die NPD meldet sich im Rahmen ihres so genannten „Kampfes um die Rathäuser“ und in den BVV-Versammlungen zu Wort. Sie versucht dabei, eine anwaltliche Rolle für aktionsorientierte Rechtsextreme zu spielen und greift deren Themen auf, was etwa in der Forderung nach einem rechtsextremen „Nationalen Jugendzentrum“ sichtbar wird. Außerdem nutzt sie ihren Status als gewählte Partei, um einerseits Events für die Szene und andererseits anzukündigen, eine Welle öffentlicher Veranstaltungen zu organisieren. Das soll die Szene nach innen stärken, mediale Öffentlichkeit erregen, bisher verschlossene Räume zum Beispiel in öffentlichen Gebäuden erobern und engagierte Gegner ermatten. Zugleich werden von der NPD in der Regel scheinbar unverfängliche, bürgernahe Themen aufgegriffen. Damit will die NPD ihr Image als schmuddelige Hinterzimmer-Partei loswerden und signalisieren, dass sie eine wählbare Alternative darstellt. Man kann dieses Vorgehen als „Normalisierungsstrategie“ bezeichnen. Leider stellen sich diese Bemühungen als in Teilen erfolgreich dar. Die breite Bevölkerung ist verunsichert und zieht möglicherweise den fälschlichen Schluss: Wenn die NPD durch Wahlen demokratisch legitimiert ist, müsse sie doch auch demokratisch sein.
Strategien des außerparlamentarischen Rechtsextremismus sind Propaganda, Störungen von demokratischen Veranstaltungen, gezielte Einschüchterungsversuche gegen nicht-rechte Menschen. Es gibt eine Zunahme von Gewalt gegenüber politischen Gegnern. Außerdem haben die Rechtsextremen ihre „Anti-Antifa-Arbeit“ professionalisiert, zeigen etwa politische Gegner an, um über gerichtliche Verfahren an personenbezogene Daten und Informationen über die Betroffenen zu gelangen. Während des Wahlkampfes 2006 gab es eine hohe Frequenz rechtsextremer Aktivitäten aus dem aktionsorientierten Spektrum, über die sie zumindest versucht haben, ihre Dominanzansprüche zu demonstrieren.
Als wie bedrohlich schätzen Sie Rechtsextremismus in Berlin derzeit ein und warum?
Die Zunahme rechtsextremer Gewalt und das vermehrte Ausspionieren von Engagierten, wie oben beschrieben, ist natürlich ganz konkret bedrohlich. Der letzte Wahlkampf hat zudem gezeigt, dass die NPD-Wähler in Berlin diese rechtsextreme Partei bewusst gewählt haben. Sie gaben der NPD ihre Stimme, obwohl die NPD einen äußerst gewalttätigen Wahlkampf geführt hat und schlechte Presse im Vorfeld hatte – von einer Protestwahl kann daher keine Rede sein.
Ein weiteres Problem ist eine rechtsextreme Ästhetisierung des Alltäglichen, die es immer schwerer macht, gegen Rechtsextremismus vorzugehen. Rechtsextreme Musik ist weit verbreitet, Schlüsselanhänger mit Runen, Biergläser mit entsprechender Symbolik – all das ist auch bei nichtrechten Jugendliche beliebt, bei denen man aufgrund nicht vorhandenen Problembewusstseins die ideologischen Bezüge kaum hinterfragen kann. Und wenn solche Artikel, man erinnere sich an die Kollektion von Thor Steinar, in normalen Geschäften erhältlich sind – wie soll da noch jemand wissen, ob ein Jugendlicher das Shirt aus Versehen oder bewusst gekauft hat?
(Interview: Simone Rafael)