Sie sehen wirklich nicht danach aus. Nahezu alle Frauen auf den Fotos machen einen ausgesprochen freundlichen und netten Eindruck. Sie könnten unsere Nachbarinnen sein, Arbeitskolleginnen, oder vielleicht Freundinnen aus dem Sportverein. Es sind sehr junge Frauen dabei, aber auch welche im mittleren und fortgeschrittenen Alter; gewiss haben sie teilweise sehr unterschiedliche Hobbies und Interessen. Aber alle haben sie eines gemeinsam: sie engagieren sich in der rechtsextremen Szene, sind in der NPD aktiv, oder in rechten Frauenorganisationen.
Dr. Esther Lehnert hat die Fotocollage rechtsextremer Frauen ganz bewusst an den Anfang ihres Vortrags gestellt, um deutlich zu machen: Genau in der vermeintlichen Harmlosigkeit und freundlich-unauffälligen Ausstrahlung dieser Frauen liegt ihre Stärke – und die große Gefahr, dass Demokraten sie übersehen oder unterschätzen. Esther Lehnert arbeitet in der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) in Berlin zum Thema “Gender und moderner Rechtsextremismus”. Gemeinsam mit der Soziologin Johanna Sigl recherchiert sie seit vielen Jahren im Forschungsnetzwerk “Frauen und Rechtsextremismus”. Beide berichteten am 22. Januar im Rahmen des zweiten Politischen Salons des Projektes „Lola für Lulu“ in Ludwigslust über die Erkenntnisse aus ihren langjährigen Forschungen. Eine dieser Erkenntnisse ist, dass rechtsextreme Frauen für die meisten Menschen als solche nicht erkennbar, also in gewisser Weise „unsichtbar“ sind. Nur wenige sind anhand äußerer Merkmale auf der Kleidung (z.B. der in neonazistischen Kreisen beliebten „Triskele“) zu entlarven.
Die rechtsextreme Szene hat sich in den letzten 20 Jahren stark gewandelt. Vorbei sind die Zeiten, als männliche Neonazis fast ausschließlich an Glatze und Springerstiefel erkennbar waren. Was die Frauen in der Szene betrifft, erschienen diese schon immer weit unauffälliger als ihre männlichen Mitstreiter. „Es gibt Fälle von Frauen, die jahrelang im sozialen Bereich in ihrem Ort aktiv waren, bevor sie durch Zufall entdeckt und als rechtsextrem geoutet wurden“, berichtet Dr. Esther Lehnert.
Engagiert im sozialen Bereich – und in der NPD
Der Frauenanteil in rechtsextremen Organisationen und Parteien ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen, und das ist kein Zufall: „Frauen sind außerordentlich wichtig für die rechte Szene, sie geben ihr ein sanfteres Gesicht“, weiß Esther Lehnert zu erzählen. Der Zuwachs an engagierten Rechtsextremistinnen ist Teil der neonazistischen Überlebensstrategie. Frauen schweißen die Szene zusammen, sie übernehmen häufig soziale Funktionen und fördern dadurch das bürgerliche Image rechtsextremer Parteien und Organisationen, auf das diese angewiesen sind, wenn sie in der Mitte der Gesellschaft punkten wollen. Lehnert betont, dass die Verankerung rechter Frauen in den Kommunen und Vereinen besonders gefährlich sei. Denn diese Frauen geben sich nicht von Anfang an als rechtsextrem zu erkennen, sondern halten lange Zeit mit ihrer politischen Einstellung hinter dem Berg, um Sympathien zu gewinnen. Ist ein Grundvertrauen erst einmal hergestellt, tun sich nicht wenige Menschen sehr schwer damit, eine geschätzte Kollegin aufgrund ihrer Zugehörigekeit zur rechtsextremen Szene auszuschließen. „Die ist doch so nett und hilfsbereit, die kann doch gar nicht so schlimm sein“, heißt es dann oft.
Einige der Themen, mit denen sich rechtsextreme Frauen beschäftigen, sehen auf den ersten Blick harmlos aus, und auch demokratisch orientierte Menschen könnten sich gut damit identifizieren: Bildung und Erziehung, Gesundheit, Kultur. Doch auch deutsches Brauchtum, Mutterschaft und den „wehrhaften Opfermythos“ haben sich die neuen rechten Frauen auf die Fahnen geschrieben: „Das Konstrukt der ‚Volksgemeinschaft’ dient als Basis“, so Lehnert. Wenn diese Frauen ihre Pflichten als Mütter und Ehefrauen, oder gar als „Hüterinnen der weißen Rasse“ propagieren, wird schnell klar, welchem politischen Spektrum sie angehören. Andere Themen, wie beispielsweise Kindesmissbrauch, werden auch von demokratischen Parteien aufgegriffen, die extreme Rechte dagegen schlachtet sie genüsslich aus und fordert für „Kinderschänder“ schon mal die Todesstrafe. Die NPD weiß um die Anschlussfähigkeit dieses Themas in der Mitte der Gesellschaft, und nicht zufällig sind es die Frauen, die es innerhalb der NPD besetzen.
Erstaunlich: Auch das eigentlich linke Thema „Gender Mainstreaming“ gewinnt in der rechtsextremen Szene zunehmend an Bedeutung – und das, obwohl es der neonazistischen Ideologie mit ihrer Betonung der Mutterpflichten deutlich widerspricht. „Die Gleichstellung der Geschlechter ist innerhalb der Szene ein geliebtes Hassthema, aber viele schreiben es sich auf die Fahnen“. Ein Widerspruch, mit dem die extreme Rechte sich arrangiert, so lange sie durch die Öffnung für bestimmte Themen viele neue Mitstreiterinnen ins Boot holen kann.
„Endlich hatte ich mal das Gefühl, wichtig zu sein“
Doch wie und aus welchen Gründen gelangen Mädchen und Frauen in diese Szene? Und welche Möglichkeiten gibt es, sie zum Ausstieg zu bewegen, oder noch besser: sie von vornherein für demokratische Alternativen zu gewinnen? Mit diesen Fragen beschäftigte sich die Soziologin Johanna Sigl im Rahmen ihrer Examensarbeit. Sie hat sich ein Feld ausgesucht, das noch wenig beackert ist, denn insgesamt wurde zur Ein- und Ausstiegsmotivation von rechtsextremen Frauen bislang kaum geforscht. Der geschlechtsspezifische Blick wird bei dem Thema häufig außer acht gelassen.
„Ich bin da so reingerutscht wegen meines Freundes“, sagen die einen. Andere wieder schwärmen davon, dass sie in der Szene „endlich mal ernst genommen“ wurden und das Gefühl bekamen, wichtig zu sein. Doch weder der Einstieg noch der Ausstieg passieren zufällig – immer kommen unterschiedliche Faktoren zusammen, die eng mit der eigenen Biografie und dem Lebensumfeld verwoben ist. Die Sozialwissenschaftlerin Michaela Köttig hat herausgefunden, dass mindestens drei Fäden zusammenlaufen müssen, damit ein Einstieg in die Neonazi-Szene begünstigt wird: Über die Verstrickungen der Familie in die NS-Zeit wird im Elternhaus nicht gesprochen; das Verhältnis zu den Eltern ist von Schwierigkeiten und Distanz geprägt; ein stützendes, außerfamiliäres (rechtsextremes) Umfeld ist vorhanden.
Prävention wirkt nur bei denjenigen, die auf der Kippe stehen
Ähnlich war es auch bei Anna (Name geändert). Das Verhältnis zu ihren Eltern war schon immer unterkühlt, weder Vater noch Mutter zeigten je ein großes Interesse ihrer Tochter gegenüber. Anna baute sich ein soziales Umfeld außerhalb der Familie auf und geriet auf diese Weise allmählich in lose Kameradschaftsstrukturen. In dieser Zeit begann sie auch, sich für die NPD zu engagieren. Keineswegs im Widerspruch zu diesen Aktivitäten stand ihr Freiwilliges Soziales Jahr, das sie bei der Lebenshilfe ableistete, danach machte sie eine Ausbildung zur Erzieherin. Durch zufällige Kontakte zu einer Recherchegruppe aus dem Antifa-Spektrum wuchsen schließlich erste Zweifel an ihren alten Freunden, was dazu führte, dass sie sich allmählich von der rechten Szene löste. Ganz gelungen sei ihr der Ausstieg jedoch keineswegs, so Johanna Sigl: „Zwar wird Anna offiziell als Aussteigerin bezeichnet, doch sie pendelt bis heute zwischen diesen beiden Szenen hin und her“.
Der Fall Anna macht denjenigen, die Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus leisten, durchaus Mut. Denn wer von klein auf mit der rechtsextremen Ideologie aufwächst, lässt sich nur selten zur Umkehr bewegen. Je fester verankert diese Ideologie, desto schwieriger ist es, sich davon wieder zu lösen. Annas Vater ist politisch zwar als eher rechtskonservativ einzustufen, ihre Mutter ist jedoch in der SPD aktiv. Bei Anna’s Einstieg spielte wohl eher die mangelnde Anerkennung zu Hause eine Rolle als politische Indoktrination im Elternhaus; innerhalb der Szene war sie eher Mitläuferin als Überzeugnungstäterin. „Mitläufer machen einen großen Teil der rechten Szene aus“, so Esther Lehnert, „und genau deswegen müssen wir mit unseren Präventionsangeboten diejenigen Mädchen erreichen, die auf der Kippe stehen!“
(Jan Schwab)