extraDrei (Dezember 2006)

ExtraDrei: Bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und den Bezirkswahlen in Berlin 2006 sind rechte Parteien in die Parlamente gezogen. Wie hast Du Dich bei diesen Ergebnissen gefühlt? War der Erfolg der Rechten so zu erwarten?

Köhler: Dass die rechtsextreme NPD und die Republikaner in die Parlamente einziehen können, deutete sich ja bereits vor den Wahlen an. Erschreckend war jedoch das Ausmaß des Stimmenzuwachses – in manchen Bezirken eine Verdopplung der absoluten Stimmenzahlen.
Bei diesen Wählenden kann jedoch nicht von ProtestwählerInnen gesprochen werden. Die Gewaltexzesse von Rechtsextremen im Berliner Wahlkampf als auch die eindeutig rechtsextremen Äußerungen der NPD waren im Vorfeld der Wahlen ausführlich in den Medien thematisiert werden. Die Menschen wussten, wen sie wählen.

E: Wie sollten die demokratischen Parteien mit Rechten in den Parlamenten umgehen?

K: Auch wenn es für fünf Jahre schwer wird: Die Anwesenheit von Demokratiefeinden in den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) können und dürfen wir nicht als Normalität annehmen. Rechtsextreme Inhalte müssen wahrgenommen, aufgedeckt und – inhaltlich begründet – zurückgewiesen werden. Allein „Nazis raus“ zu sagen reicht nicht. Wir können und müssen begründen, warum rechtsextreme Sichtweisen in unserer Gesellschaft nichts zu suchen haben.
Wir dürfen uns auch nicht die „Tricks“ mit der Geschäftsordnung oder die Absenkung demokratischer Standards verlassen. Diese bedienen die „Opferrolle“ der Rechtsextremen und gehen zu Lasten auch der kleinen demokratischen Parteien. Was im Sächsischen Landtag gilt, stimmt auch für die Pankower BVV – keine Kumpeleien oder vertrauliche Flurgespräche. Die BVV-Sitzungen sind der richtige – weil öffentliche Ort – für die Auseinandersetzung mit den Rechten. Auch bei knappen Mehrheitsverhältnissen darf nicht auf die Stimmen der Rechten spekuliert werden. Aber nicht nur die BVV allein muss sich für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus positionieren. Auch die Bezirksöffentlichkeit kann und sollte einbezogen werden.

E: Was ist in den letzten vier bzw. fünf Jahren passiert, dass die rechten Parteien so davon profitieren konnten?

K: Bei der Mehrheit der NPD-WählerInnen muss davon ausgegangen werden, dass sie über ein rechtsextremes Weltbild verfügen. Repräsentative Untersuchungen belegen, dass rechtsextreme Einstellungen nicht mit Wahlverhalten gleichzusetzen ist. Die Mehrzahl der Menschen mit geschlossenem rechtsextremen Weltbild wählen in Berlin SPD, CDU und Linke.PDS und zwar in dieser Reihenfolge. Die NPD kommt erst an vierter Stelle. Wir erleben jetzt, dass die NPD dieses vorhandene Potenzial in der Bevölkerung für sich nutzbar macht. Einerseits kommt ihr zu Hilfe, dass mit der Großen Koalition auf Bundesebene und Rot-Roter Koalition auf Landesebene die demokratische Opposition geringer ausfällt und somit wenig attraktiv ist. Letztlich muss gesagt werden, dass die NPD vermehrt die soziale Frage thematisiert und sich als wählbare Partei etablieren möchte. Und hier liegen die Potenziale für Gegenstrategien: Thematisierung von Ungleichheit und Rückeroberung der sozialen Frage.

E: In den Medien wird häufig suggeriert, dass Rechtsextremismus nur ein ostdeutsches Problem sei. Wie schätzt Du das ein?

K: Das stimmt und stimmt nicht. Die erwähnten Einstellungsuntersuchungen zeigen, dass rechtsextremes Denken im Westen Deutschlands mindestens ebenso verbreitet ist wie im Osten. Unterschiede ergeben sich in Fragen zu Antisemitismus. Dieser ist im Westen mehr als doppelt so stark, während in den neuen Bundesländern Ausländerfeindlichkeit deutlich überwiegen. Die aktuelle Stärke der NPD im Osten hat jedoch noch andere Gründe: In den neuen Bundesländern ist die Zivilgesellschaft weniger stark ausgeprägt. Die Folge ist, dass Orientierungspunkte für eine demokratische Alltagskultur fehlen und sich Rechtsextreme weithin unhinterfragt entfalten können. Jugendliche, die in den letzten 15 Jahren ihre politische Sozialisation erlebt haben, sind mit Rechtsextremismus aufgewachsen und sehen ihn zunehmend als „normalen“ Bestandteil eines Meinungsspektrum.

E: Was erwartet die Mobile Beratung von der Regierung in Berlin im Kampf gegen rechtes Gedankengut?

K: Berlin hat mit seinem Landesprogramm in den letzten Jahren gute Grundlagen geschaffen, die Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus konzeptionell und finanziell zu unterstützen. Laut Entwurf zum Koalitionsvertrag soll das fortgesetzt werden. Das allein reicht jedoch nicht. Nötig ist zum einen, dass sich der Senat auf Bundesebene für die Weiterfinanzierung der Strukturprojekte einsetzt und auch die notwendige Kofinanzierung absichert. Beispielsweise ist die Existenz der Pankower Netzwerkstelle „Moskito“ nach wie vor akut gefährdet.

(Interview: Julian Plenefisch)

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