Spiegel online (27.10.2006)

Berlin – Es ist noch nicht einmal ein ganzer Meter, der den Sozialdemokraten Sebastian Ebel von Udo Voigt trennt. Hier, im braun getäfelten Ratssaal von Treptow-Köpenick, sitzt er links neben dem Bundesvorsitzenden der rechtsextremistischen NPD – in der letzten Reihe. Freiwillig wollte auf diesem Stuhl neben Voigt niemand sitzen. Ebel hat aber keine Wahl, denn als die SPD-Fraktion die Plätze verteilte, lernte er für sein Jura-Staatsexamen.

Fünf Jahre lang wird er nun Nachbar der NPD sein in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Treptow-Köpenick, dem Parlament auf Bezirksebene. “Das ist kein gutes Gefühl”, sagt Ebel. Zwar könnte er in Voigts Papiere schauen, so dicht stehen die Tische beieinander. Doch er ignoriert Voigt – und Voigt ignoriert ihn. Starr blicken die beiden Männer nach vorne.

Es ist an diesem Donnerstagabend die erste BVV-Sitzung nach den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus. Und zum ersten Mal ist die NPD mit dabei. 2,6 Prozent der Stimmen bekamen die Rechtsextremen am 18. September in Berlin ingesamt. Doch in vier von zwölf Bezirken sprang sie über die Drei-Prozent-Hürde und ist damit in den jeweiligen Berliner Kommunalparlamenten vertreten – hier in Treptow-Köpenick sogar mit ihrer Führungsspitze: Voigt ist NPD-Vorsitzender auf Bundesebene, Eckart Bräuniger Landesvorsitzender in Berlin. Zusammen mit Fritz Liebenow bilden sie nun eine Fraktion – es ist die erste parlamentarische Sitzung ihres Lebens. In dem Ostberliner Bezirk unterhält die NPD ihre Bundeszentrale.

“Die Nazis kommen rein, und schon gibt es Rummel”

Als die drei Männer am späten Nachmittag mit einem dunkelblauen VW-Bus am Rathaus vorfahren, werden sie von etwa 70 Demonstranten mit lauten Pfiffen und “Nazis raus-Rufen empfangen. Rund 100 Polizisten sind um das Rathaus verteilt – doch die NPD-Verordneten beachtet das enorme Aufgebot nicht. Mit schnellen Schritten geht Voigt hinauf in den dritten Stock zum Sitzungssaal. Bräuniger, Liebenow und sein Sprecher folgen ihm – genauso wie zahlreichen Fotografen und Fernsehteams. Die Kameras blitzen, als sich Voigt auf seinen Stuhl setzt. Petra Reichardt beobachtet das von ihrem Sitzplatz in der ersten Reihe und schüttelt verärgert den Kopf. “16 Jahre lang hatten wir unsere Ruhe, und dann kommen die Nazis rein und wir haben hier so einen Rummel”, sagt die PDS-Vertreterin.

Alle Zuschauerplätze im Saal sind besetzt. Wer keinen Platz mehr bekommt, muss nach draußen in den Flur. Hier wird die Sitzung auf einem großen Flachbildschirm übertragen: Rechtsextremisten im Public-Viewing-Programm – spannend ist das nicht. Denn während der nächsten fünfeinhalb Stunden ignorieren sich die anderen Parteien und die NPD weitestgehend. Nur selten kommt es zu Begegnungen – und diese sind dann sehr verkrampft: Als Petra Allemann, WASG-Verordnete, an Voigts Tisch vorbeigeht, wirft sie versehentlich einen Papierstapel herunter. Erschrocken bleibt sie stehen, geht dann aber schnell weiter. Voigt schaut gar nicht erst zu ihr hoch, sondern sammelt hastig die Papiere ein, unter denen auch die Rede ist, die er eigentlich zu Beginn vortragen wollte. Dass es an den Abgeordneten liege, ob sie in Zeiten sozialer Not “sinnlos Kräfte im so genannten ‘Kampf gegen Rechts’ verschwenden” wollen, steht darin. Auch, dass er “als neuer Hoffnungsträger von vielen Menschen gewählt” sei und mit seiner Partei “konstruktive Zusammenarbeit zum Wohle der Bürger” anbiete.

Aber Voigt darf noch keine offizielle Rede halten – genau so wenig wie Vertreter der anderen Parteien. So steht es in den Regeln für die konstituierende Sitzung. Und dass diese eingehalten werden, darauf sind hier alle Fraktionen bedacht. Sie wollen sich von der NPD nicht vorwerfen lassen, die demokratischen Standards nicht einzuhalten.

Trotzdem versuchen die Fraktionen, so weit wie möglich Distanz zur NPD zu schaffen. Gleich zu Beginn ändern sie die Geschäftsordnung – künftig dürfen sich Parteien den Initiativen einer anderen Partei nur anschließen, wenn diese einverstanden ist. Die NPD, aber auch die Grünen stimmen dagegen – eine Koalition der kleinen Parteien, die den Grünen nicht passt. “Aber nur weil die NPD die gleiche Ansicht hat, können wir doch nicht zurückstecken”, sagt Axel Sauerteig, Fraktionsvorsitzender der Grünen.

An diesem Abend gibt es keine Konflikte

Während der Sitzung verweigern die NPD-Verordneten noch einige Male ihre Zustimmung. Zum Beispiel, als über den Ältestenrat abgestimmt wird. Dabei sind sie darin selbst vertreten – wie jede Partei der BVV. “Vielleicht haben sie die Geschäftsordnung nicht richtig gelesen”, sagt Siegfried Stock aus dem BVV-Vorstand. An diesem Donnerstag ist die BVV eine einzige Wahlmaschine für Vorstands- und Bezirksamtsmitglieder.

Voigt und seine Kollegen verhalten sich ebenso unauffällig. Doch Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) warnt: “Die rechtsextremistischen Parteien versuchen, sich in den Parlamenten als Saubermänner zu verkaufen.” Ihre Organisation hat die Bezirkspolitiker im Vorfeld vorbereitet, wie sie mit der NPD umgehen sollen. “Gegenüber der Wählerschaft muss die Partei als eine zutiefst antidemokratische demaskiert werden”, sagt Klose.

Doch an diesem Donnerstagabend scheint keiner der Fraktionsmitglieder an einer solchen Entzauberung Interesse zu haben. Vielmehr sind die Verordneten dankbar für das starre Gerüst der Wahlregeln, an denen sie sich noch entlang hangeln können. “Wir interessieren uns heute nicht für die NPD, denn die steht nicht auf der Tagesordnung”, sagt Oliver Igel, SPD-Fraktionsvorsitzender. Diese Gelassenheit überrascht die Rechtsextremen. Draußen, vor dem Sitzungssaal, sagt Voigt, er habe erwartet, von den anderen Parteien angegriffen zu werden. Der NPD-Vorsitzende, im Umgang mit den Medien gebübt, weiß, wie er Botschaften zu senden hat. Und so erklärt er mit ironischem Unterton: “Aber das Klima ist hier sehr angenehm. Wir haben keine Ablehnung gespürt.”

Das dürfte sich ändern, spätestens, wenn Voigt seine erste Rede hält.

(Sonja Pohlmann)

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