Neonazi bleibt eben Neonazi. Am 11. Januar durchsuchten Mitarbeiter der Berliner Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamtes insgesamt 20 Wohnungen und Geschäftsräume in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Die groß angelegte Aktion richtete sich gegen 14 Beschuldigte. Grund der Durchsuchungen war ein Verstoß gegen das Vereinsgesetz. Die Mitglieder der im März vergangenen Jahres verbotenen Kameradschaft Tor haben sich nach Ansicht von Polizei und Staatsanwaltschaft unter einem anderem Namen in den gleichen organisatorischen Zusammenhängen betätigt.
»Die Ermittler fanden umfangreiches Propagandamaterial, kleine Mengen Munition, sowie Unterlagen und Datenträger, die ausgewertet werden müssen«, teilte Michael Grunwald, der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, mit. Da die Auswertung des Materials noch laufe, könne er zu den Ergebnissen nichts sagen.
Die Ermittlungen gegen die Angehörigen der ehemaligen KS Tor liefen bereits seit August 2005. Die im Jahr 2000 geründete Kameradschaft hatte sich zu einer der umtriebigsten neonazistischen Guppen in Berlin entwickelt. Der Name geht zurück auf das Frankfurter Tor im Berliner Stadtteil Friedrichshain, wo viele der Neonazis zu Gründungszeiten wohnten. Mittlerweile residiert der Großteil im Stadtteil Lichtenberg. Dort betrachten die Neonazis die Gegend rund um den Bahnhof als ihr Territorium.
Die KS Tor tat sich mit vielen Aktionen auf der Straße hervor und zählte zum Flügel der »Autonomen Nationalisten«. Optisch waren sie von Antifas nicht mehr zu unterschieden, betrieben »Anti-Antifa-Arbeit« und liefen mit Transparenten herum, die sich auf den ersten Blick von linken Transparenten kaum unterschieden. Im Sommer 2004 wurde die »Mädelgruppe Tor« gegründet, die auf ihrer seit längerem abgeschalteten Homepage wissen ließ: »Wir sind selbständig denkende und handelnde Frauen aus dem Umfeld der Kameradschaft Tor.« Sie versorgten die national eingestellte Frau mit einem braunen Allerlei, das von Aktions- und Reiseberichten bis zu Bastel- und Backanleitungen für Weihnachten reichte.
Den ersten größeren Staatsbesuch erhielten die Angehörigen der KS Tor im Januar 2005. Auf einem zu einer Demonstration mitgebrachten Transparent war eine stilisierte Figur zu sehen, die mit einem Karate-Kick einen Davidstern zertritt. Auf einem anderen war die Rede von der »Reichshauptstadt Berlin«, die »deutsch bleiben« müsse. Die Behörden sahen den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt und wurden tätig.
Am 9. März vergangenen Jahres wurde die KS Tor zusammen mit ihrer »Mädelgruppe« und der »Berliner Alternative Südost« (Baso) auf Weisung des Berliner Innensenators Erhart Körting (SPD) verboten. Die Gruppen seien dem Nationalsozialismus wesensverwandt und versuchten, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu untergraben, hieß es damals. Erneut wurden Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht und etliche Computer und Propagandamaterial beschlagnahmt.
Die ehemaligen Mitglieder der KS Tor indes verbreiteten in der Folgezeit munter weiter ihre Propaganda, traten bei Aufmärschen gemeinsam auf, sollen an gewalttätigen Übergriffen beteiligt gewesen sein, klebten Spuckis und Plakate und hielten ihre Transparente in die Luft; etwa am Todestag des 1930 erschossenen Angehörigen der SA, Horst Wessel, der seit jeher von Alt- und Neonazis als Märtyrer verehrt wird, oder auf dem »Heldengedenken« im brandenburgischen Halbe, wo die Überreste der in der Kesselschlacht im Winter 1945 gefallenen Wehrmachtssoldaten verscharrt liegen.
»Szeneintern liefen sie weiter unter dem Namen KS Tor«, sagt Marie Roth von der Antifa Friedrichshain. »Ein harter Kern an Aktiven bleibt auch nach den Razzien bestehen. Bei dieser Kameradschaft gibt es kaum einen Generationsbruch, aber einige Aktivisten sind wegen der starken Repressalien weniger aktiv oder machen gar nichts mehr«, meint sie weiter. Markus Ragusch vom Antifaschistischen Info Blatt (AIB) hingegen meint: »Die Verbote der Kameradschaft Tor und der Baso sind bisher wirkungslos verpufft. Die Aktivisten der Kameradschaft Tor bedienten sich nach außen neuer Namen wie etwa ›Freie Kräfte Berlin‹.« Auch der kurz nach den Verboten neu gegründete Landesverband der Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der NPD, sei eine politische Wirkungsstätte für die Kameradschafter geworden.
Erneut wurde darüber diskutiert, ob Verbote überhaupt etwas bewirken. Erhart Körting sagte der jungen Welt, dass den Neonazis die existenzielle Grundlage entzogen worden sei, auf der sie neue Mitglieder rekrutieren könnten. Bianca Klose, die Leiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR), sieht das anders: »Durch das Verbieten ist erstmal nichts gelöst, es ist im Gegenteil viel unübersichtlicher geworden, weil die Neonazis jetzt in anderen Strukturen wie auch der JN untergetaucht sind.« Zudem sei es ein Problem, dass die Gesellschaft wegen der Verbote denke, »der Staat hat das schon im Griff«.
Dass die Neonazis unverändert aktiv seien, habe auch die alljährliche Demonstration »für nationale Jugendzentren« gezeigt. Diese sei in den Vorjahren von der Baso angemeldet worden und habe auch im Dezember 2005 wieder stattgefunden, sagt Klose weiter. Zur KS Tor bzw. zu den »Freien Kräften« meint sie: »Das ›autonome‹ Kameradschaftsspektrum in Berlin ist so verzahnt, dass die Labels letztlich eine untergeordnete Rolle spielen.«
Sie findet es wichtig, dass die Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus nicht nur aus Repressalien besetehen. An der Schaffung und Förderung alternativer Jugendkulturen müsse ebenso gearbeitet werden. Markus Ragusch vom AIB meint: »Verbote können die Arbeit von Neonazis zeitweilig behindern – nicht mehr, aber auch nicht weniger.«
(Peter Sonntag)