Ex-Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye hat dem deutschen Schulsystem vorgeworfen, zu Fremdenfeindlichkeit und Gewalt beizutragen. Bei einer Podiumsdiskussion in der Akademie der Künste am Dienstag abend kritisierte er, daß hierzulande Schüler schon im Grundschulalter nach Leistung selektiert würden. Schule ließe zu wenig Raum für Eigeninitiative und könne Schüler “krank und aggressiv” machen, sagte der Vorsitzende des Vereins “Gesicht zeigen”.
Während der Veranstaltung zu sogenannten No-go-Areas und rechter Gewalt sah Heye als Ursachen für Gewalttaten gegenüber Menschen mit anderer Hautfarbe jedoch nicht die Jugendlichen allein. Auch die Erwachsenenwelt, die hinter den Jugendlichen stünde, habe einiges an Erziehung nachzuholen. Viele Lehrer in den neuen deutschen Bundesländern seien in einem erklärt “antifaschistischen Land” aufgewachsen, in dem es offiziell keine rechte Gewalt gab beziehungsweise geben durfte. Sie täten sich noch heute schwer damit, das Problem zu thematisieren. Wenn aus ökonomischen Gründen immer mehr junge Menschen von Ost nach West abwanderten, würden gerade im Osten besonders viele Schulen geschlossen. Viele Lehrer hätten Angst, rechte Tendenzen zuzugeben, weil sie fürchteten, daß ihre Schulen dann zu den ersten gehörten. In der Diskussion schlug die Schauspielerin Katja Riemann vor, Zivilcourage als Schulfach zu lehren “wie etwa Biologie”. Gastgeber und Akademie-Präsident Klaus Staeck zeigte sich erschüttert über das junge “Einstiegsalter” von 13 Jahren in die rechte Szene. Die Jugendlichen benötigten Vorbilder, sagte er. Während sich die Bildungsverwaltung zu Heyes Kritik nicht äußern wollte, warfen Politiker und Extremismus-Experten dem Ex-Regierungssprecher vor, in seiner Argumentation zu kurz zu greifen. “Es ist eben nicht so, daß Probleme mit rechtsextremen Einstellungen Jungendlicher durch eine Veränderung der Schulstruktur gelöst werden können”, sagte Karlheinz Nolte, Vizefraktions-Chef der SPD. Die Ursachen für rechte Einstellungen seien vielschichtig. Eine wichtige Rolle spiele etwa die familiäre Situation und die Chancenlosigkeit vieler Jugendlicher. Nolte räumte jedoch ein, daß Schule eine große Möglichkeit zur Einflußnahme habe.
Als “völlig unverständlich” bezeichnete CDU-Bildungsexperte Gerhard Schmid die Kritik Heyes. Wenn die frühe Auslese nach Leistung schuld an Aggression sein soll, “dann müßte es in Berlin mit seiner sechsjährigen Grundschule ja signifikant anders aussehen”. Das sei aber nicht der Fall.
“Herr Heye macht es sich zu einfach”, sagte auch Timm Köhler vom Verein für Demokratische Kultur, der im Zuge des Projektes “Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin” Schulen unterstützt. “Rechtsextremismus ist ein komplexes, gesamtgesellschaftliches Problem”. Allerdings täten sich viele Schulen schwer damit, Probleme mit Rechtsextremismus zu benennen, bedauerte Köhler. “Denn sie befürchten eine Stigmatisierung.” Gerade an Schulen im Ostteil setzten sich zudem viele Lehrer nicht offen mit dem Thema auseinander, “weil sie eine Scheu haben, sich politisch zu positionieren”. FU-Politologe Hajo Funke wies ebenfalls auf eine Kette von Ursachen für rechtsextreme Einstellungen bei Jugendlichen hin. Schule spiele in dieser Kette eine sehr große Rolle. “Schüler aus geschädigten Familien werden in der Schule unzureichend nachsozialisiert.”
(Andrea Puppe)