Rückblickend erscheint die Anti-Antifa-Arbeit von Berliner Neonazis aus früheren Jahren lächerlich. Einige abgeschriebene Adressen aus linken Kalendern, ein paar Fotos, welchen in der Regel kein Name zugeordnet werden konnte. Waren die Kameraden mal an Namen oder gar an Anschriften gelangt, stammten diese häufig aus Ermittlungsakten der Polizei. Gewalttätige Übergriffe erfolgten eher aus der Gelegenheit heraus denn aus planvollem Handeln. Das hat sich mittlerweile geändert.
Dutzende Namen mit Fotos von engagierten Bürgern, aktiven Antifaschisten, Journalisten und Politikern finden sich in einer »Chronik Berlin«, welche an Berlins wichtigstes Neonazi-Webportal nw-berlin.net angegliedert ist. Pedantisch werden dort »linke Aktivitäten« dokumentiert, Namen diesen zugeordnet und verschlagwortet. Unter der Rubrik »Linke Läden« findet man auf der Seite nach Bezirken sortiert eine Auflistung von alternativen Kneipen, Bücherläden, Parteibüros und Hausprojekten. Die Listen sind mit Fotos der Objekte und einer Beschreibung des Publikums bestückt. Der Aufstellung von »linken Läden« in Neukölln merkt man an, dass die Macher in einige der genannten Gaststätten zumindest einen kurzen Blick geworfen haben müssen. Unverhohlen wird diesen Örtlichkeiten gedroht.
Seit Winter 2009 wird nicht mehr nur eingeschüchtert, sondern auch in Kiezen wie Kreuzberg und Neukölln zur Tat geschritten. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) zählte seitdem rund 100 Attacken auf alternative Projekte, Parteibüros, antirassistische Organisationen und Wohnungen von Privatpersonen. Handelte es sich anfänglich um Schmierereien und Sachbeschädigungen wie das Verkleben von Schlössern, wurde später mehrfach nachts an Wohnhäusern Feuer gelegt. Es hätte Tote geben können. Am härtesten traf es bisher den sozialistischen Jugendverband Die Falken: Zweimal wurde der von ihnen betrieben Jugendclub »Anton-Schmaus-Haus« im südlichen Neukölln angezündet. Jedes Mal stand dessen Weiterbestehen wegen der Brandschäden in Frage.
Keine gute Figur macht in dieser Angelegenheit die Berliner Polizei. Keine der Taten ist aufgeklärt worden. Der Internetseite, gegen die es zahlreiche Anzeigen gab, kann angeblich keinem Urheber zugeordnet werden. Nach Anfragen von Abgeordneten der Linkspartei und der Grünen verwies der rot-schwarze Senat auf den Standort des Servers in den USA. Da die Inhalte der Website nach US-amerikanischen Recht von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, sei ein auf Bekanntgabe des Betreibers gerichtetes Rechtshilfeersuchen an die Justizbehörden der USA nicht erfolgversprechend, erklärte der Justizstaatssekretär Alexander Straßmeir (CDU). Kenner der rechten Szene bringen den stellvertretenden Landesvorsitzenden der Berliner NPD, Sebastian Schmidtke, in Zusammenhang mit der Website. Schmidtke, der bei der Wahl des Berliner NPD-Vorstands im Februar für den Landesvorsitz kandidieren möchte, streitet dies ab. Die Justiz konnte ihm weder eine Urheberschaft noch eine Beteiligung an der Seite nachweisen. Auf Aufklebern, mit denen 2010 die Website beworben wurde, wird Schmidtke als Verantwortlicher im Sinne des Presserechts angegeben.
Um zumindest einen EU-Bürger zu finden, der Verantwortung für die Gestaltung des Webauftritts tragen könnte, reichen ein paar Klicks und geringfügige Internetkenntnisse. Nach Angaben der dänischen Antifa-Internetseite Projektantifa soll der schwedische Neonazi und IT-Spezialist Christian K. der Website mit der Vereinigung Bifrost Media aus nationalistischen »designers and coders« geholfen haben. Christian K. lebt in Dänemark. Aber egal wie viel technischer Support aus Skandinavien kam, mit Informationen wird die Seite in Berlin gefüttert. Derzeit wird die »Chronik Berlin« wieder überarbeitet.
Nun hat die Polizei auf den Druck der Lokalpolitik und der Medien reagiert. Sie verschickte einen Brief an die Betroffenen. Darin wird den Empfängern versichert, es gebe keine »Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung«. Bei einigen der Angeschriebenen löste das nur verständnisloses Kopfschütteln aus. Ihnen wurden bereits Morddrohungen an die Hauswand gesprüht. Auch die von der Senatsverwaltung für Justiz auf eine Anfrage der Abgeordneten Clara Herrmann (Grüne) genannten Zahlen sprechen eine andere Sprache. Dort zählte man alleine sechs Brandstiftungen. Unter dem Motto »Es brennt! Wer stoppt Neonazis in Berlin?« wird am 31. Januar bei einer Veranstaltung im Festsaal Kreuzberg über die Aktivitäten des »Nationalen Widerstands«, deren Auswirkungen in Berlin und die Reaktionen der zuständigen Behörden informiert.
Die Staatsanwaltschaft scheint indes die Vorfälle nicht allzu ernst zu nehmen. Eine kleine Anfrage von Abgeordneten der Linkspartei, ob im Zusammenhang mit einem Artikel auf nw-berlin, in dem es um einen Neonazi-Aufmarsch in Bautzen geht, wegen »Mordaufrufs« ermittelt werde, wurde verneinend beantwortet. In dem Beitrag stand, adressiert an das »System«, als Prophezeiung in der Abschlusszeile: »Dann heißt es Strick um den Hals oder Kugel in den Bauch!«