Auch der Jahrestag der „Querdenken“-Proteste rund um das kommende Wochenende (27. bis 29. August 2021) wird bundesweit im verschwörungsideologischen und rechtsoffenen Milieu beworben. Im Gegensatz zum 1. August 2021 startete die gesamte Mobilisierung mit geringerem zeitlichen Vorlauf und zeigt sich insgesamt weniger professionell. Ein Grund dafür dürfte der öffentliche Rückzug eines führenden Protagonisten von „Querdenken711“ sein, sowie die damit verbundene Übernahme von Teilen der Veranstaltungsorganisation durch lokale Berliner Aktivist_innen, die u.a. von der „Demo-Tour“ bekannt sind. Diese Gruppe hat im zurückliegenden Jahr eine Vielzahl kleinerer Versammlungen ausgerichtet und dadurch Erfahrungen in der Vorbereitung und Durchführung gesammelt. Außerdem war dieser Personenkreis am 1. August mitverantwortlich für die Koordination der – trotz einer Vielzahl von Versammlungsverboten – durchgeführten spontanen Aufzüge im Stadtgebiet. In der laufenden Mobilisierung wurden mögliche Verbote bereits mitgedacht und auf eine Wiederholung von Spontandemonstrationen, wie am 1. August, hingearbeitet. Da nun tatsächlich zahlreiche Versammlungen verboten wurden, ist am kommenden Wochenende eine vergleichbare Dynamik zu erwarten.
Hohes Gefährdungspotenzial
Ein zentrales Instrument, um die großteils von außerhalb angereisten Teilnehmer_innen zu koordinieren, war der Messengerdienst „Telegram“, über den die Nutzer_innen kilometerweit durch Berlin gelotst wurden. Die unkontrollierten Situationen, die sich dadurch entwickelten, entfalteten zum Teil ein hohes Gefährdungspotenzial ausgehend von aggressiv auftretenden Versammlungsteilnehmenden. Neben Auseinandersetzungen mit der Polizei sind hier besonders die gezielten Attacken auf Pressevertreter_innen und kritische Passant_innen zu nennen. Ausbleibende Mobilisierungserfolge sowie eine fortschreitende Radikalisierung der Pandemieleugner_innen-Szene dürften diese Gefährdungslage noch erhöhen. Sollten, wie schon am 1. August, das Regierungsviertel und der Tiergarten aufgrund erhöhter Polizeipräsenz nicht als Versammlungsorte zur Verfügung stehen, ist es möglich, dass spontan Ausweichziele, wie z.B. Berliner Medienhäuser oder Impfzentren, gewählt werden. In der Vergangenheit haben die involvierten Berliner Strukturen bereits vor solchen Orten Versammlungen durchgeführt.
Widerstandserzählung soll fortgeführt werden
Wie schon zum 1. August ist eine Mobilisierung über das eigene Spektrum hinaus nicht wahrnehmbar. Dennoch kann auch für dieses Wochenende mit einer ähnlich hohen Zahl an Teilnehmenden gerechnet werden. Erneut soll mit emotionalisierenden Aufrufen zum Handeln motiviert werden. So werden beispielsweise mit dem Thema „Impfung von Kindern“ Ängste geschürt und das Aufbegehren gegen eine vermeintliche „Corona-Diktatur“ als rebellischer Akt inszeniert. In Verbindung mit neuerlichen Repressionserfahrungen wird die „Opferstilisierung“ durch eine angebliche staatliche Unterdrückung fortgeführt und in die eigene Widerstandserzählung integriert. Aus dieser Logik heraus scheint es für die Teilnehmenden folgerichtig, sich über Verbotsverfügungen – mitunter auch gewaltsam – hinwegzusetzen.
Stand: 27. August 2021