*Schon in der Kindheit geht es los: Da lernt man, was erlaubt ist und was nicht. Heutzutage möglichst ohne Ohrfeige. Anstelle von Bestrafung wird eher auf den positiven Lerneffekt gesetzt – durch Lob und Ermutigung. Was in der modernen Erziehung durchaus Sinn macht, muss nicht automatisch im Jugendstrafrecht richtig sein. Das zeigt das Beispiel von Dennis E. aus Berlin. Der mittlerweile 24jährige gehört seit Jahren zur rechtsextremen Szene. Er wurde mehrfach wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung verurteilt. Doch ins Gefängnis musste er deshalb nie. Jo Goll und Norbert Siegmund berichten.*
Schönefeld, 18.6.2006
Einer der blutigsten Neonazi-Überfälle der letzten Jahre in Brandenburg.
Eine Gruppe Rechtsextremer greift mutmaßlich mehrere Berliner Jugendliche an.
Für die Opfer eine lebensbedrohliche Situation. Ein 16jähriger Afrikaner aus Neukölln erleidet einen Schädelbruch.
Bis heute wagen die Angegriffenen nicht, vor der Kamera zu sprechen. Gegenüber Helfern sagen die Opfer später, dass sie bei dem Überfall um ihr Leben fürchteten.
Gesa Köbberling, Opferperspektive Potsdam
„Dabei wurde unter anderem ‚Nigger’, ‚Neger’, ‚Scheißausländer, ich schlage Dich tot’ gesagt, und diese ganze Situation, dieses extrem aggressive Auftreten der Täter, wurde von den Jugendlichen als eine ganz gefährliche, extrem gefährliche Situation wahrgenommen, so dass sie Todesangst hatten.“
Einige Opfer wehren sich verzweifelt – Schließlich wird auch ein mutmaßlicher Angreifer verletzt: der einschlägig vorbestrafte Neonazi Dennis E.
Königswusterhausen heute Morgen. Dennis E., laut Anklage Rädelsführer des Angriffs, und ein weiterer Verdächtiger vor dem Gerichtssaal. Schon mehrfach wurde Dennis E. wegen rassistischer Gewalttaten verurteilt. Doch immer wieder wurde er laufengelassen. Der Anwalt des Opfers traute seinen Augen nicht, als er die Akten las.
Sven Lindemann, Anwalt des Opfers
„Mein erster spontaner Gedanke war, dass diese schlimme Gewalttat, wo mein Mandant ja schwer verletzt worden ist, die hätte nicht passieren dürfen, wenn die Justiz sich normal an die eigenen Regeln gehalten hätte, die sie eben sonst auch für alle Angeklagten hat, dann wäre Herr E. nämlich an dem Punkt gar nicht auf freiem Fuß gewesen.“
Wer ist Dennis E.? Hier sehen wir ihn vor zweieinhalb Jahren bei einem Aufzug mittlerweile verbotener Nazi-Kameradschaften in Berlin – wie so oft im Kreis bekannter Neonazi-Größen. Dennis E. sichert den Lautsprecherwagen. Diese so genannte Kameradschaftsszene gilt als gewaltbereit – und Dennis E. seit Jahren als einer ihrer gefährlichsten Schläger. Rückblende.
April 2003, Berlin-Rudow
Auch er gehört zu den Opfern von Dennis E. Ramis A. wird lebensbedrohlich verletzt – niedergeschlagen und schließlich zusammengetreten.
Ramis A., Opfer
„Erst Hitlergruß gemacht. Und der Anführer hat seinen Baseballschläger raus genommen.“
Schläge auf den Schädel, die hätten tödlich sein können. Rund 25 Neonazis waren über Stunden regelrecht auf der Jagd nach Ausländern.
Dennis E. war mit einer Flasche bewaffnet: Schon zu dieser Zeit ist er bereits einschlägig vorbestraft und steht unter Bewährung. Dennoch dauert es über drei Jahre bis das Strafverfahren um die Jagd auf Ausländer in Rudow beginnt. Mit fatalen Folgen: Dennis E gewinnt offenbar den Eindruck, dass er die Justiz nicht fürchten muss.
April 2004, Berlin Köpenick
Wieder ein Angriff, an dem Dennis E. beteiligt ist. Es trifft einen Vietnamesischen Imbissbesitzer. Wieder ist der Angriff lebensbedrohlich. Mit einem Kantholz schlägt ein rechtsextremer Mittäter derart auf den Kopf des Opfers, dass der Mann glaubt, sie wollten ihn töten. Diesmal reagiert die Justiz schneller.
Ein halbes Jahr nach der Tat – der Prozess um den Imbissüberfall. Dennis E., damals mit einem Brecheisen bewaffnet, hat zwar nicht selbst zugeschlagen. Dennoch wird er wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren Haft verurteilt
Obwohl Dennis E. bereits wegen anderer Straftaten zu Bewährung verurteilt ist, gewährt ihm das Gericht vorläufig die Chance, auf freiem Fuß zu bleiben. Die Richter verpflichten Dennis E., sich an die Neonazi-Aussteiger-Organisation Exit zu wenden. Er habe sich – so das Urteil wörtlich…
…Zitat:
„… um Kontakte zu EXIT zu bemühen, was ihm bei der Verwirklichung seiner guten Vorsätze helfen soll.“
Sven Lindemann, Anwalt des Opfers
„Also eine solche Auflage ist ja mehr in Anführungszeichen, also wirkt in meinen Augen überhaupt nicht. Das ist ja, als wenn man seinem Kind sagt: ‚Räum Dein Zimmer auf oder lass es bleiben.’“
Dennis E. lässt es lieber bleiben. Kein Ausstieg aus der rechten Szene. Im Gegenteil. Als Ordner sichert er weiterhin Neonazi-Aufmärsche wie hier Ende 2005 in Köpenick.
Trotz seiner weiterhin aktiven Rolle in der Neonazi-Szene wird die Haftstrafe des Überfalls auf den Vietnamesen schließlich zur Bewährung ausgesetzt – eine Entscheidung, die schon damals bei Rechtsextremismus-Experten Kopfschütteln auslöst.
Bianca Klose, Mobile Beratung Rechtsextremismus
„Ich denke, wir haben es in diesem Fall bei Denis E. mit einem hochgradig gewalttätigen Mitglied der rechtsextremen Szene zu tun, der in der Vergangenheit keinerlei Anzeichen gezeigt hat von Ausstiegswilligkeit und eine sehr hohe Ideologiedichte aufweist und meines Erachtens nach die fortwährenden Bewährungsmöglichkeiten und positiven Sozialprognosen als eine Art Einladung versteht, weiter zu machen.“
Dennis E. macht weiter. Zunächst politisch. Er tritt der NPD bei und erwägt sogar eine Kandidatur bei den Kommunalwahlen in Köpenick. Sein Bewährungshelfer rät ihm ab – wohl auch mit Rücksicht auf laufende Strafverfahren.
Mai 2006
Erst drei Jahre nach der Ausländerjagd von Rudow beginnt der Prozess gegen Dennis E. Schon zwei Mal hat er die Bewährung verletzt. Zwei Mal war Dennis E. bei lebensbedrohlichen Attacken dabei. Doch wieder meinen es Richter gut mit ihm – und glauben ihm seine angeblich guten Vorsätze. Deshalb gibt es erneut zwei Jahre auf Bewährung. Begründung:
Zitat:
„Insgesamt haben sich seine Lebensverhältnisse – bis auf die nach wie vor problematische politische Betätigung – stabilisiert. Es ist daher zu erwarten, dass er künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird.“
Die Prognose für ein straffreies Leben, eine positive Sozialprognose – obwohl sich der Täter weiterhin offensiv zum Rechtsextremismus bekennt.
Bianca Klose, Mobile Beratung Rechtsextremismus
„Na, die rechtsextremen Aktivisten kennen sich inzwischen aus und spielen natürlich auch mit diesem Sozialprognosesystem. Und es scheint doch fachlich ein wenig unbekümmert zu sein, wenn Richterinnen und Richter davon ausgehen, dass mit einer Familiengründung oder einem Alkoholentzug die rechtsextremen Einstellungen und Weltbilder verschwinden würden.“
Wir fassen zusammen: Zwei Jahre Bewährungsstrafe wegen des Überfalls auf den vietnamesischen Imbißbesitzer in Köpenick. Plus zwei Jahre auf Bewährung wegen der Ausländerjagd von Rudow – macht insgesamt vier Jahre.
Normalerweise wäre damit jetzt keine Bewährung mehr möglich und Dennis E. müsste ins Gefängnis. Doch ausnahmsweise verzichten die Richter darauf, die Strafen zusammenzuziehen – auch wegen der angeblich günstigen Sozialprognose. Folge: Dennis E. bleibt auf freiem Fuß.
Sven Lindemann, Anwalt des Opfers
„Ich habe das noch nie erlebt und auch die Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich über den Fall diskutiert habe, die haben mir bestätigt, dass sie das auch selbst noch nicht erlebt haben. Und das jemand jetzt quasi mit vier Jahren offener Bewährung durch die Gegend rennt, das ist natürlich dann auch unfasslich.“
Ein Richterspruch mit verheerenden Folgen. Nur vier Wochen später schlägt Dennis E. laut Anklage in Schönefeld erneut zu. Zum dritten Mal ist er dabei, als ein Opfer lebensbedrohlich verletzt wird. Auch Sicherheitspolitiker wundern sich bisweilen:
Ehrhart Körting (SPD), Innensenator Berlin
„Vom Grundsatz her meine ich, dass rechtsextremistische Gewalttaten wie auch andere Gewalttaten angemessen bestraft werden müssen. Da muss man sehr schnell ein Stop-Schild setzen. Sonst machen die immer weiter. Wenn der Staat nicht sagt: ‚Hier ist Schluss!’, dann wird das als Schwäche des Staates ausgelegt und die Leute brüsten sich eher damit, dass sie vor Gericht gestanden haben und sie machen immer weiter damit.“
Gesa Köbberling, Opferperspektive Potsdam
„Wenn Opfer merken, dass über das, was ihnen widerfahren ist, hinweggegangen wird. Wenn das nicht ernst genommen wird, herunter gespielt wird, dann fühlen sie sich weniger beschützt von der Justiz. Dann haben sie das Gefühl: Das, was mir angetan wurde, wird im Prinzip gebilligt von der Mehrheit der Gesellschaft.“
Und noch etwas, was die Richter bei ihren Urteilen bedenken sollten: Die Zahl der rechtsextremen Straftaten in Deutschland ist 2006 im Vergleich zum Vorjahr um fast 15 Prozent gestiegen. Das hat der Verfassungsschutz gerade bekannt gegeben.
*(Beitrag von Jo Goll, Norbert Siegmund)*
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